DER LETZTE ATEMZUG. Robert Brown

DER LETZTE ATEMZUG - Robert  Brown


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nickt schließlich.

      Hannah war schon immer ein kluges Ding, um genau zu sein, ist keines unserer Kinder auf den Kopf gefallen, doch ich bedauere es trotzdem zutiefst, dass sie einfach nicht das Mädchen bleiben konnte, das bockig wurde und zu weinen anfing, wenn es ein neues Wort nicht lesen konnte oder die Regeln eines Spiels nicht sofort verstand. Jetzt nimmt sie in einer Welt der anhaltenden Schrecken bereits eine Erwachsenenrolle ein. Möglicherweise muss sie mich heute mit einem Schuss töten, um sich selbst sowie ihre Brüder und Schwestern vor dieser verdammten Krankheit schützen zu können. Dennoch akzeptiert sie stoisch wie ein kampferprobter Veteran, was ihr vorgesetzt wird und statt sich zu beschweren oder zu jammern, dass sie es nicht kann, weil ich ihr einfach zu viel bedeute, stellt sie sich ihrer Verantwortung in diesem neuen Leben. Sie macht mich damit ungeheuer stolz. Sollte sie dieses Chaos tatsächlich überstehen, werden sie und alle anderen, die es schaffen, ein deutlich robusteres Volk bilden, als es die kaputte jetzige Generation gewesen ist.

      Der Mann hinter dem Zaun benimmt sich zweifelsohne äußerst merkwürdig. Ich beobachte ihn, während ich darauf warte, dass die anderen ihre Runde um den Zaun gedreht haben, und dieser Kerl kommt mir einfach komplett unberechenbar vor. Er soll hier draußen anscheinend Wache halten, dreht sich aber immer wieder zum Haus um und benimmt sich wie einer jener erwartungsvollen Väter im Fernsehen, die nervös vor einem Entbindungssaal im Krankenhaus auf und ab gehen. Dennoch höre ich nichts Ungewöhnliches und sehe auch keine anderen Bewegungen auf dem Grundstück.

      Zumindest weiß ich so wenigstens, dass ich mir keine Sorgen um andere herumstreifende Patrouillen machen muss, wenn ich mich gleich dem Zaun nähere, um mit ihm zu reden, denn die hätte ich nämlich mittlerweile längst gesehen. Das umzäunte Gelände ist nicht so weit, dass sich jemand darin unerkannt bewegen könnte, jedenfalls nicht beim Beobachten bestimmter Stellen im vorderen Bereich des Grundstücks, und jeder andere, der ringsherum entlanggehen würde, hätte diesen Teil hier längst wieder erreicht. Also bin ich ungestört mit ihm und werde ihn einfach fragen, wer er ist und was er auf meinem Land zu suchen hat und wo alle anderen abgeblieben sind.

      »Marco?«, ruft nun eine Stimme aus dem Wald.

      »Polo«, antworte ich.

      Olivia tritt von rechts hervor, und Simone sollte auch bald mit William wieder zurückkehren. Wir verwenden dieses simple Passwort, um uns zu erkennen zu geben, wenn wir uns einmal trennen müssen, so wie jetzt, was allerdings nur sehr selten vorkommt. Wie wir finden, eignet sich »Marco Polo« gut zum Unterscheiden Gesunder von Kranken und kündigt außerdem an, dass jemand aus unserer Gruppe im Anmarsch ist.

      Die Infizierten können nicht sprechen, wenigstens jetzt im Augenblick noch nicht, und ich hoffe, dass sie diese Fähigkeit auch nicht wiedererlangen werden. Das Einzige, was sie von sich geben, ist ein entsetzliches Schmatzen. Man kann es als Mischung aus Knurren und Gurgeln bezeichnen: kehlig und gluckernd wie jemand mit Flüssigkeit im Rachen. Es klingt zutiefst verstörend und sollte eigentlich von keinem Menschen erzeugt werden können. Sie tun es jedoch, wann immer sie auf Beute stoßen, die sie nicht fassen können. Das hängt wohl mit ihrem Jagdinstinkt zusammen, schätze ich.

      Wenn sie das Gefühl haben, einen gesunden Menschen, oder auch Tiere, schnappen zu können, bleiben sie ganz still. Dann kriechen sie geradezu heran in der Hoffnung, uns überraschen zu können, so als würden sie nicht weiter auffallen. Halten wir uns hinter einer Mauer oder anderen Hindernissen auf, gelingt es den Infizierten allerdings nicht, diese zu überwinden oder zu umgehen. Sie stoßen dann diese Laute aus, die ich außerdem als eine Art Ruf interpretiere, um anderen Kranken zu vermitteln, dass Nahrung in der Nähe ist und sie Hilfe benötigen. Immerhin tauchen stets auch andere auf, wenn dieser Ruf ertönt.

      »Hast du etwas gesehen, Olivia?«, frage ich.

      »Ja, hinter dem Haus steht ein kleiner Zugwagen mit ein paar Sachen darauf. Ich habe ihn noch nie zuvor hier gesehen, also gehört er wahrscheinlich diesem Mann. Er hat den üblichen Kram geladen, den man beim Stöbern entdeckt, aber dort liegt auch eine Stoffdecke mit Blutflecken.«

      »Marco?«, hören wir von rechts.

      »Polo«, rufe ich Simone zu.

      »Noch etwas, Olivia?«

      »Nein, Dad, keine Spuren von einem Kampf. Keine Patronenhülsen auf der Erde und keine Schäden am Haus oder Löcher im Zaun. Alles sieht irgendwie verlassen aus.«

      Simone stellt sich nun neben William und sagt: »Hallo Schatz. Freut mich, dass du noch da bist.« Sie lächelt verschmitzt, aber unterschwellig gequält.

      »Erzähl schnell, ich gebe ja bald den Löffel …«, beginne ich zu scherzen, bringe es aber einfach nicht über die Lippen, nicht einmal mit der Absicht, die Stimmung ein wenig aufzulockern.

      Dass ich gebissen wurde, passt mir ganz und gar nicht, wobei ich dank unserer Erlebnisse während der letzten Monate wenigstens weiß, was mir blüht. Simone hat als Krankenschwester in einer der örtlichen Kliniken gearbeitet, als die Leitung eines Tages das ganze Personal vor Personen gewarnt hat, die mit einer bestimmten Art von Fieber oder Menschenbissen ähnelnden Verletzungen auftauchen würden. Jeder von ihnen erfuhr daraufhin, dass die Seuchenschutzbehörde dies als ernste Bedrohung für unsere Region einstufte, und Simone rief mich sofort nach dem Ende ihrer Besprechung an. Wir unterhielten uns kurz, und als sie mir von der Gefahr erzählt hatte, verlangte ich von ihr, dass sie mir versprach, sofort nach Hause zu kommen. Ich weiß nicht mehr genau, welche Ausrede sie angegeben hat, doch sie meldete sich auf der Stelle für ein paar Wochen ab.

      So undenkbar es auch wirkte, konnte sie sich, weil ich ihr von den Büchern erzählte, die ich gelesen hatte, gut vorstellen, wie sich eine potenzielle Zombie-Epidemie gestalten könnte. Infolge der Nachrichten von Ausschreitungen, willkürlichen Gewaltakten und Hungersnöten in anderen Ländern aufgrund des Zusammenbruchs der Weltwirtschaft saß sowieso schon jedermann auf glühenden Kohlen. Zum Glück ließ sich Simone schneller als ich davon überzeugen, dass uns die Apokalypse bevorstand. Als sie mich zu Hause anrief und meinte, in den Krankenberichten sei die Rede von Zombies, dachte ich zuerst, sie wolle mich verarschen. Dann jedoch gab sie wieder, was die Krankenhausleitung ihr und den anderen Mitarbeitern erzählt hatte.

      In der Warnmeldung des Seuchenschutzes wurden Gewaltbereitschaft, Fieber und Schüttelfrost mit dem Hinweis erwähnt, die Symptome würden an Tollwut erinnern, denn alle beobachteten Infizierten hätten versucht, andere Menschen zu beißen und anschließend zu essen. Am Schlimmsten war der Umstand, dass die Verwaltung der Klinik den Kontakt zum Sprecher der Behörde verlor, nachdem Geschrei am anderen Ende der Telefonleitung ausgebrochen war, und sie auch nicht mehr zu anderen Einrichtungen im Umland durchkamen.

      Mir graut deshalb vor dem Fieber und den Schüttelkrämpfen, vor allem aber vor der Verwandlung und dem neuen Hunger, der sich nach einem Biss einstellt. Im Moment will ich aber nur eines: Meine Familie ins Haus schaffen.

      »Mein Plan sieht so aus, Leute«, sage ich, und sofort hören mir alle zu. »Hannah hält sich mit dem Laser an ihrer 10/22 bereit. Schalte ihn ein, falls der Mann den Eindruck erweckt, aggressiv zu werden oder wenn ich auf ihn anlege. Ziele aber nur auf seine Brust, damit er den Punkt sieht. Ihr anderen werdet hier außer Sicht bleiben. Ich gehe los und rufe nach ihm. Wir dürften an seiner Reaktion auf mich ziemlich schnell erkennen, ob er uns gefährlich werden kann. Ist dem nicht so, nähere ich mich dem Zaun weiter, um eine Unterhaltung mit ihm zu beginnen. Dabei erkläre ich ihm, wer ich bin, entriegele das Tor und trete ein … oder ich erschieße ihn und entriegele dann das Tor, um einzutreten. Sollte ich die Waffe früher oder später benutzen müssen, seid darauf gefasst, mir entweder Feuerschutz geben zu müssen oder euch zurückzuziehen je nachdem, was genau passiert. Könnt ihr mir so weit alle folgen? Noch irgendwelche Unklarheiten … nein? Gut. Denkt daran, ich wurde schon gebissen, also möchte ich keine Heldentaten sehen, um mich zu retten, falls plötzlich eine Armee aus dem Haus oder den Nebengebäuden auf mich zurollt.« Ich schaue jeden Einzelnen von ihnen mit einem strengen Blick an.

      »Simone und Olivia, haltet eure Gewehre bereit und stellt euch darauf ein, zum Haus hinaufzulaufen, wenn ich euch grünes Licht gebe. William, du schaust weiter durch den Feldstecher auf alles außer mich und den Fremden. Du musst voraussehen, ob sich eine böse Überraschung


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