Die Geschichten von Hans Bürgers Kindheit (Über 100 Kunstmärchen in einem Buch). Richard von Schaukal

Die Geschichten von Hans Bürgers Kindheit (Über 100 Kunstmärchen in einem Buch) - Richard von Schaukal


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      Und du tratest an der Hand des Vaters, den du bewundertest als den schönsten, gütigsten und gerechtesten Mann, in den gebohnerten räumlichen Flur. Da lagen die Zimmer in wohlig atmender Kühle, und wohin du auch blicktest, zwischen Reben, dein seliges Kinderauge fand sich beruhigt im Einklange mit der sanft zur Weihe des Hauses geladenen Natur. Da gab es träumende Sandsteinbänke, murmelnde Springbrunnen, eine Flora etwa in der dunkeln beschnittenen Taxuswand, einen kleinen Amor, der den Bogen spannte, moosübersponnen. Weißt du, Großmutter, was sie heute mit deinen Häusern machen, diese Barbaren, unter denen dein geängstigter Enkel lebt? Sie verachten sie, nennen sie mit groben Namen, weisen höhnend auf die Risse der ehrwürdigen Mauern und ringen die Hände über die wohnliche Niedrigkeit ihrer lieben weißgetünchten Decken.

      Die alten Gärten betrachten sie mit mißbilligendem Kopfschütteln. Sie wollen nichts wissen von ihren verschwiegenen Geißblattlauben, ihren weich und schmiegsam vom Rasen umlagerten Brunnenrändern. Sie messen mit berechnendem Stirnrunzeln die Bauplätze und brechen deine lieben alten Häuser ab, ihre Mongolenschrecknisse von Aftergebäuden schändend an die geweihten Stätten deiner Jugend zu setzen. Da regt es sich bald von klotzigen Ziegelhaufen, »verziert« vom Affensinn der Neuzeitlichen mit Urnen und Pyramiden, Medaillons und Lyren, Göttinnen und Festons, Zinken und Türmchen, alles durcheinander, wie's eben kommt und im Formenbuche steht oder als neu gilt. Bis ans Dach aber muß das entsetzliche Haus angefüllt werden mit Einwohnern: drei Zimmer und eine Küche, drei Zimmer und eine Küche, drei Zimmer und eine Küche und noch einmal und noch zehnmal so.

      Die Gärten aber der Ahnen, tief und schattig gebreitet in gelassenem Rhythmus, heute sind sie auf ein mageres Endchen verringert, mit der Elle zugemessen und hinter angestrichenen Bleirohren mit vergoldeten Blechspitzen in ihrer frierenden Armut schamlos zur Schau gestellt. Meterhohe, verschieden gefärbte Buchstaben brüllen und quieken auf allen Mauern. Vor schmalen, lächerlich langen Fenstern ohne Bord hängen Blechkästen für krüppelige Topfgewächse, und zwischen gigantischen Firmenschildern fast erdrückt sind da und dort ängstlich-enge, schenkelniedrige gußeiserne Balkons an die Fronten genagelt, aber elektrisches Licht »durchflutet« allabendlich die mit dem Schockfirlefanz der Galanteriewarenhändler angeräumten, nach Fußbodenwichse und der anstoßenden Küche riechenden Räume.

      Wo ist die Schönheit hin, die ihr in den Adern trugt, ausatmetet wie den Atem, den euch Gott gegeben hatte, einsogt wie den Duft eurer geliebten Blumengärten! Häßlich und unsäglich traurig ist diese Welt des »Fortschritts« geworden, bei all ihrem unaufhörlichen Geklapper bettelarm! Oh, ihr seid arm, Nachfahren erlauchter Ahnen, arm bis ins enge Gehirn, ins engere Herz hinein! Ruhelos stoßt ihr einander durchs Leben. Eure Vergnügungen sind Orgien der nackten behaarten Barbarei, eure Sorgen wie Stechmücken quälende Daseinsfragen, die ihr euch in Reinkultur herauferzoget. Ihr habt kein Heim, keinen Hof, keine gefällige Kleidung, keine Sitte mehr. Sitte, anmutige Ordnerin der übereinander schwebend gelagerten Gesellschaftskreise, wo bist du in dieser Welt der frechen Nüchternheit, der Gottesvereinsamung geblieben, die von Jobbern, Protzen und Zeilenschmierern regiert wird? Du Welt, in allen Furchen und Falten deiner welken Fratze gleißend von verlogenem Liberalismus, Welt der Güterschlächtereien und der falschen Diamanten, der Gips»supraporten«, die Holzgesims vorstellen, der »Glasmalereien« aus Papier, der gestärkten »Vorhemden« über schafwollener Unterwäsche, der Plüschfauteuils auf Drahtgebein!

      Großmutter, um das hohe, schwere, eichene Tor des Hauses deiner Ahnen, das zu stolz war, in der »Fassade« den Prunk zu entfalten, der verborgen-gediegen in den Zimmern sich den Insassen schenkte, um die einst so sorglich bewässerten Stämme der mannesdicken Platanen und Ulmen deines väterlichen Hofes – bald wird man sie niederschlagen: man braucht ja Platz – webt dein versöhnender Schatten. Du zürnst ihnen nicht, den verblendeten Tempelräubern, du, die du zu den Quellen zurückgekehrt bist, an denen die aus dem Leben verstoßene Schönheit leise weinend weilt, den Quellen, die um Gott rauschen, den Vereinsamten ...

      Ananas

      Eine zornige Grabrede

       Inhaltsverzeichnis

      Großmutter, hör, was ich lese. In Karlsbad, unserm lieben alten Karlsbad, fällt deine »Ananas«! »Ananas« fällt. Ein Symbol scheint mir das warme, geräumige, anheimelnde Haus mit den grünen Fensterladen, den tiefen – nicht wie's der Protzensinn der Gegenwart fordert, lächerlich hohen – Zimmern, deren Wohnlichkeit ihr gediegenes Ausmaß wundersam bedingt. An seine Stelle kommt ein Sparkassapalast. Man sieht ihn schon im schaudernden Geiste, den tönernen Riesen mit seinen Wülsten, Säulchen und Erkern! Was sich das Schillerhaus »Weißer Schwan« denken wird, wenn es ihn neben sich aufwachsen sieht, den ekeln Emporkömmling? Ob wohl ein Kalkrieseln des Entsetzens durch seine braven alten Glieder rinnt, wenn es der entarteten Kinder und Enkel denkt? Ja, Schillerhaus, so sind sie, die Enkel! Ohne Pietät, ohne Anmut und Würde, banal-prosaisch, kaufmännisch-breitspurig, mit einem bedauernden Achselzucken als Antwort auf deine bangen Fragen, wohin das führen solle. Wohin das führen soll? Niederreißen wird man dich, »Weißer Schwan«, niederreißen wird man dich, zierlicher »Strauß«, trotz deiner Goethe-Gedenktafel, niederreißen wird man dich, schlanker, heiterer »Mozart«, wenn eure Zeit gekommen sein wird. Und sie kommt. Sie kommt mit den bekannten Riesenschritten, klobig wie ein Schlächter, breitmäulig grinsend wie ein Marktbudenathlet. Alles wird sie zerstampfen, was edel, innig, heiter, zierlich, lieblich, zart, schlank, fein und leise ist, alles. Das ist ja der Fortschritt. Dafür werden auch allenthalben die Gassen breiter und der Kronenbazare mehr. Was willst du, »Weißer Schwan«? Was ficht dich an zu murren? Was murmelst du da von Stimmung? Stimmung? Kennen wir nicht in der Zeit der nervenzerstampfenden Straßengeräusche und Schnurrbartbinden. Derlei Zwecklosigkeiten mögen zu Herrn von Schillers – Gott hab ihn selig, den Mann mit der »Glocke«! – kleinbürgerlichen Zeiten Wert gehabt haben: wir haben andre Werte heute in der Brieftasche. Weg mit der »Ananas«, weg mit seinem edeln Mahagonigerät (Nußbaum mit aufgepappten Goldleisten und Renaissanceknäufen »macht« viel mehr »her«), weg mit allem alten Gerümpel: wir brauchen Luft und – Lichthöfe, hohe Fenster mit gerafften Samtdraperien, Blattpflanzen aus Stoff und ein Grammophon in den Salon, schön postiert auf das »Prachtwerk« mit Goldschnitt: das Ansichtskartenalbum ...! So leben wir, Großmutter. Ist es nicht eine Lust zu leben? ...

      Von dem Erwachen der Seele

       Inhaltsverzeichnis

      Jüngst bin ich einer wunderbaren Frau begegnet. Sie hat ein starkes, kühnes und doch unendlich freundliches Herz und einen prachtvollen Glauben an ihre Mitmenschen. Sie ist erfüllt von milder Güte und bewegt von inniger Sorge, wie ein Baum vom Winde geschüttelt von treibenden Kräften. Sie hat den unbändigen Drang, sich vielen mitzuteilen. Alle möchte sie umfassen mit den seligen Armen ihrer großen Lehre von der Wiedergeburt der Seele. Großmutter, seltsam hat mich diese milde und doch so starke Frau an dich gemahnt. Du bist keine Predigerin gewesen, keine Verkünderin. Du hast in dein Haupt nicht die Welt der Meinungen aufgenommen wie in eine mächtige Scheuer, wo die Dreschmaschine rasend Taubes von Vollem scheidet. Du hast nicht die Zungen der Völker besessen, selbst dein braves Deutsch nicht nach den Regeln beherrscht – wenn mir auch deine kernige, vollsaftige und immer mit menschlichstem Gehalt erfüllte Sprache tausendmal lieber war als die verblasene, eitle, windige, gauklerische der Literaten von heute –, du hättest bescheiden den grauen Kopf geschüttelt zu den fremden Klängen: aber, Großmutter, dir war der goldene Schlüssel zu den Zaubergärten dieser seltsamen Frau anvertraut. Sie spricht von ihrer ragenden Terrasse, und unten ist viel Volk gelagert und läßt übeln Atem und gepreßten Schweißgeruch und Kleiderdunst aufsteigen zu der Verkünderin. Du aber hättest rückwärts durch die einsamen Laubengänge Einlaß gefunden in die Mitte ihres Reiches, wohin kaum die Ahnungen, geschweige denn die Blicke jener hastigen Horde von Hörern und noch viel mehr Hörerinnen dringen. Großmutter, was sie meint, diese seltsame Frau, die so schrecklich irrt in ihrem Glauben an ihre Mitmenschen, das war dir gegeben. Das »Reich der Mitte« hatte dir längst den Ehrenbürgerbrief ausgestellt. Du


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