Im Sonnenwinkel Staffel 1 – Familienroman. Patricia Vandenberg
auch in ihm schwelten an diesem Abend Probleme.
Rosemarie Rückert hatte festgestellt, dass es ein reizender Abend gewesen sei und wie erfreulich es wäre, so sympathische Nachbarn zu haben. Stella war ihrer Mutter gefolgt. Vater und Sohn saßen noch in dem gemütlichen Bauernzimmer pfeiferauchend beieinander. Charly streckte sich zu ihren Füßen aus, nachdem er erst eine Weile geschmollt hatte, weil er sich zurückgesetzt fühlte.
»Eine schwierige Situation«, stellte Dr. Rückert fest und ließ seinen Blick forschend auf dem Gesicht seines Sohnes ruhen.
»Ja, Papa«, erwiderte Fabian gepresst, denn er wusste genau, worauf sein Vater anspielte. »Überaus schwierig. Ich würde Henrike auf der Stelle heiraten.«
»Blödsinn, mein Junge. Es wäre ein Jammer, wenn ein so begabtes Mädchen vor dem Abitur kapitulieren würde. Das wäre sicher auch ihren Eltern nicht recht. Jetzt heißt es halt hart sein und Rückgrat beweisen.«
»Mach dir keine Sorgen. Ich werde es schon schaffen. Kann es mir eigentlich jeder vom Gesicht ablesen?«
»Ich kann es schon«, lächelte der Ältere. »Ich kenne dich ja bereits fast siebenundzwanzig Jahre, Fabian. Weißt du überhaupt, dass ich immer schrecklich stolz auf meinen Sohn war? Du hast mir nie Kummer bereitet.«
»Danke, Papa, dass du es so sagst. Ich habe dich verstanden. Ich werde dir auch weiterhin keinen Kummer bereiten.«
»Das weiß ich. Ich denke auch nicht an mich, sondern an dich. Es ist immerhin ein bezauberndes Mädchen, diese Ricky, und es ist verdammt hart, wenn man seine Gefühle unterdrücken muss. Ich habe ja nie verstanden, dass du ausgerechnet Lehrer werden wolltest. Heute wäre alles bedeutend einfacher, wenn du Jura studiert hättest!«
»Ich bereue nichts. Mein Gott, wie habe ich immer gewünscht, einen Lehrer zu haben, vor dem man nicht in Ehrfurcht erstirbt. Es ist doch so wahnsinnig wichtig, dass gerade junge Menschen Vertrauen haben. Hätte ich von Anfang an gewusst, dass Ricky einmal meine Schülerin sein wird.«
Heinz Rückert hob abwehrend die Hand. »Mach dir nicht selbst etwas vor, mein Junge. Gegen Liebe ist kein Kraut gewachsen. Und ich möchte meinen, dass ihre Eltern dies ebenso gut wissen. Ich will mich nicht einmischen, aber wenn es dir ernst ist, Fabian, dann sprich bei Gelegenheit mal mit ihrem Vater.«
»Vielen Dank für dein Verständnis«, erwiderte Fabian weich. »Wie kann ein nüchterner Jurist nur so viel Gemüt haben?«
»Vergiss nicht, dass ich mehr als manch anderer mit den Nöten der Menschen konfrontiert werde, mein Junge. Fast in jedem Vertrag, den ich unterzeichnen muss, steckt ein Stückchen Herz. Sei es, dass man sich ein Heim schaffen will, ein Kind adoptiert oder sein Testament macht.«
Fabian war aufgestanden, und auch Charly erhob sich sofort. »Ich liebe Henrike«, sagte er leise. »Es ist keine Laune.«
»Das möchte ich dir auch geraten haben«, lächelte sein Vater.
»Komm, Charly, du darfst noch Gassi gehen«, sagte Fabian zu dem Collie, der darauf einen freudigen Laut von sich gab.
»Psst, weck die anderen nicht auf«, wurde er ermahnt. Der Hund blieb an seiner Seite, als Fabian zum See hinunterging, der im Licht des vollen Mondes silbrig glitzerte.
»Leicht werden wir es nicht haben, Charly«, murmelte Fabian. »Ein Jahr kann zur Ewigkeit werden. Aber ein Hundejahr sind sieben Menschenjahre. Dann bist du schon ein alter Herr.«
Charly benahm sich durchaus nicht so. Er freute sich seiner Freiheit und sprang munter herum. Doch plötzlich blieb er stehen und gab leise Laute von sich.
Auch Henrike hatte es hinausgetrieben in die milde Spätsommernacht. Leise hatte sie sich aus dem Haus geschlichen. Bambi und Hannes schliefen fest. Sie hatte noch einmal in ihre Zimmer geschaut.
Verträumt ließ sie ihren Blick über den See schweifen. Bis zum anderen Ufer konnte man sehen, so klar war die Nacht. Sie wusste, dass der Sonnenwinkel und diese Landschaft ihr zum Schicksal geworden waren. Und wie sehr hatte sie sich dagegen gewehrt!
Diese Stille, diese Einsamkeit, das traute Rauschen der Bäume – ihre Jugend hatte doch nach ganz anderem gedürstet, nach Betriebsamkeit, Leben und Trubel. Und jetzt gab es nur Fabian für sie und den Sonnenwinkel.
Das leise Bellen des Hundes ließ sie zusammenschrecken. Rasch wandte sie sich zur Flucht, aber da stand Fabian Rückert schon neben ihr. Seine Hand umschloss fest ihre Schulter.
»Wir dürfen uns nicht treffen!«, stieß sie hervor.
»Ich weiß, Ricky«, erwiderte er leise, »wir müssen warten. Aber ich werde warten, und wenn ich wüsste, dass du es auch willst, wird es nicht so schwer für mich werden.«
Ein zitternder Seufzer entfloh ihren Lippen. »Ich will auch auf dich warten«, erwiderte sie bebend. »Und ich möchte das beste Abitur machen.« Ihre Stirn sank an seine Schulter, dann wich sie schnell zurück.
»Pass gut auf dein Herrchen auf, Charly«, flüsterte sie, »ich habe ihn nämlich sehr lieb.«
Dann lief sie davon, leicht, den Boden kaum berührend, und er schaute ihr brennend vor Sehnsucht nach, bis sie im Haus verschwunden war …
Charly schickte ihr einen klagenden Laut nach. Mit gesenktem Kopf trabte er neben Fabian heimwärts.
»Dir gefällt sie auch, nicht wahr, mein Guter?«, murmelte Fabian. Charly rieb seine Schnauze an seinem Knie.
»Weißt du was, wir werden Bambi einen von deinen Söhnen schenken. Natürlich den schönsten. Ricky wird verstehen, was ich damit sagen will.«
*
Hannes wollte am nächsten Morgen natürlich ganz genau wissen, wie alles gewesen sei und wie Dr. Rückert seinen Eltern gefallen habe.
Werner Auerbach meinte, dass sie mit einem solchen Lehrer sehr zufrieden sein könnten, und er hoffe, dass sie ihn nicht enttäuschen würden.
»Was heißt denn enttäuschen?«, murmelte Hannes beleidigt. »Entweder man kann’s, oder man kann’s nicht! Mit der englischen Rechtschreibung habe ich es nun mal nicht!«
In diesem Augenblick kam Bambi hereingestürzt. »Der schöne Hund ist da!«, jubelte sie, »er hat mir schon Pfötchen gegeben. Papi, schau ihn dir doch mal an. Er ist ja so brav. Und ganz allein. Können wir ihn nicht behalten?«
Charly war tatsächlich allein gekommen, aller Wahrscheinlichkeit auf Henrikes Fährte. Aber schon wurde er gerufen, und Bambi machte ein enttäuschtes Gesicht, als er auch folgsam zurücklief zu Rückerts Haus.
»Den siehst du ja noch öfter«, tröstete Hannes die kleine Schwester. »Er gehört doch unserm Lehrer.«
»Er hat mich so lieb angeguckt«, meinte Bambi. »Ich hätte gern mit ihm gespielt.«
»Dr. Rückert ist nett, er wird es dir schon erlauben«, versicherte Hannes. »Papi, hast du heute endlich mal Zeit, dass wir auf die Felsenburg gehen können? Jetzt sind wir schon eine ganze Woche hier, und wir haben sie noch immer nicht angeschaut.«
»Sie läuft uns nicht davon«, brummte Werner Auerbach, der schon wieder seine Berechnungen im Kopf hatte.
»Vielleicht zeigt Alexandra von Rieding sie uns«, meinte Hannes. »Sie hat gesagt, dass wir sie mal besuchen sollen.«
»Ihr könnt ja mal hingehen«, erwiderte sein Vater, schon wieder mit seinen Gedanken in höheren Regionen. »Aber fallt ihr nicht auf den Wecker, Herrschaften.«
Inge und Henrike waren in die Stadt gefahren, um die Vorräte aufzufüllen. Hannes und Bambi machten sich auf den Weg zum Herrenhaus, während sich Werner Auerbach wieder in sein Arbeitszimmer verzog.
Die beiden Kinder blieben auf halbem Weg stehen und blickten zum Sonnenwinkel zurück.
»Warum sind in den anderen Häusern keine Menschen?«, fragte Bambi ihren Bruder. »Warum bauen sie Häuser, wenn sie gar nicht darin wohnen?«
»Weiß ich’s?«,