Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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gewissermaßen übermäßig entwickelt gewesen, schlau, verschmitzt, ein Intrigant und Ränkeschmied schon auf der Schule; aber im Grunde war er ein Mensch mit einem guten Herzen, ein verlorener Mensch. Solche Menschen sind unter den Russen zahlreich zu finden. Sie besitzen oft große Fähigkeiten; aber in ihrem Kopf herrscht die größte Verwirrung, und überdies sind sie aus moralischer Schwäche imstande, mit Bewußtsein gegen ihr Gewissen zu handeln; und sie gehen nicht nur zugrunde, sondern wissen auch selbst voraus, daß sie zugrunde gehen werden. Masslobojew zum Beispiel ertrank im Branntwein. »Jetzt noch ein Wort, lieber Freund«, fuhr er fort. »Ich habe gehört, wie zuerst überall dein Ruhm erscholl; ich las dann verschiedene Kritiken deines Werkes (wirklich, ich habe sie gelesen; du denkst wohl, ich lese gar nichts mehr?); dann traf ich dich mit schlechten Stiefeln, im Schmutz ohne Überschuhe, mit einem zerknickten Hut und erriet manches. Du schreibst jetzt für Journale?«

      »Ja, Masslobojew.«

      »Du bist also Postgaul geworden?«

      »So etwas Ähnliches.«

      »Na, dann höre, lieber Freund, was ich dir mit Bezug darauf sagen will: da ist es schon besser, du legst dich aufs Trinken! Siehst du, ich betrinke mich, lege mich auf mein Sofa (ich habe ein prächtiges Sofa mit Sprungfedern) und denke mir, daß ich zum Beispiel so ein Homer oder Dante oder so ein Friedrich Barbarossa bin – ich kann mir ja alles mögliche vorstellen. Na, aber du kannst dir nicht vorstellen, daß du Dante oder Friedrich Barbarossa bist, erstens, weil du du selbst sein willst, und zweitens, weil dir alles Wollen verboten ist; denn du bist eben ein Postgaul. Ich lebe im Reich der Phantasie und du im Reich der Wirklichkeit. Höre, was ich dir offen und geradezu als guter Kamerad sage (durch eine Ablehnung würdest du mich auf zehn Jahre kränken und beleidigen): brauchst du Geld? Ich habe welches. Mach keine Umstände! Nimm das Geld, zahle deinen Verlegern die Vorschüsse zurück, wirf das Kumt ab, lege dir soviel Geld hin, daß du für ein ganzes Jahr sicher zu leben hast, und dann mach dich an die Ausführung einer Lieblingsidee, schreib ein großes Werk! Nun? Was sagst du?«

      »Hör mal, Masslobojew! Deinen kameradschaftlichen Vorschlag weiß ich nach Gebühr zu schätzen; aber ich kann dir jetzt nichts darauf antworten; warum ich es nicht kann, das zu erzählen würde zu lange dauern. Es liegen besondere Umstände vor. Übrigens verspreche ich dir: ich werde dir später alles als Freund erzählen. Für deinen Vorschlag danke ich dir; ich verspreche dir, dich zu besuchen, und ich werde dich oft besuchen. Aber jetzt handelt es sich um folgendes: du bist gegen mich offen, und daher möchte ich dich um Rat fragen, um so mehr, da du, wie es scheint, mit solchen Sachen gut Bescheid weißt.«

      Und ich erzählte ihm meine Erlebnisse mit Smith und seiner Enkelin, von dem Vorfall in der Konditorei an. Sonderbar: während ich erzählte, glaubte ich ihm an den Augen anzusehen, daß er von dieser Geschichte schon etwas wußte. Ich fragte ihn danach.

      »Nein, das nicht!« antwortete er. »Übrigens, über Smith habe ich einiges gehört: daß da ein alter Mann in einer Konditorei gestorben ist. Aber über Frau Bubnowa weiß ich in der Tat dies und das. Dieser Dame habe ich vor zwei Monaten eine kleine Summe abgenommen. Je prends mon bien, où je le trouve und habe nur hierin mit Moliére Ähnlichkeit. Aber obgleich ich ihr hundert Rubel abgezwackt habe, habe ich mir doch gleich damals vorgenommen, nächstens nicht bloß hundert, sondern fünfhundert Rubel aus ihr herauszuschinden. Ein gräßliches Weib! Sie treibt ein unerlaubtes Gewerbe. Und das hätte noch nichts zu besagen; aber manchmal versteigt sie sich zu allzu argen Sachen. Bitte, halte mich nicht für einen Don Quichotte! Die Sache ist die, daß dabei tüchtig etwas für mich abfallen kann, und als ich vor einer halben Stunde Ssisobruchow traf, freute ich mich sehr. Ssisobruchow ist offenbar hierhergeführt worden, und zwar von dem Dickwanst, und da ich weiß, mit was für Geschäften sich dieser Dickwanst besonders abgibt, so schließe ich daraus … Na, ich werde ihn schon überrumpeln! Ich freue mich sehr, daß ich von dir etwas über dieses Mädchen gehört habe; ich bin jetzt auf eine andere Spur gekommen. Ich beschäftige mich ja damit, allerlei Privataufträge zu erledigen, lieber Freund, und mit was für Leuten werde ich dabei bekannt! Da habe ich neulich für einen Fürsten Nachforschungen in einer Angelegenheit angestellt, ich kann dir sagen, in einer derartigen Angelegenheit, wie man sie von diesem Fürsten nicht erwartet hätte. Oder wenn du willst, werde ich dir eine andere Geschichte von einer verheirateten Frau erzählen? Besuche mich nur, lieber Freund; da werde ich dir solche Stoffe mitteilen, daß, wenn du sie in deinen Erzählungen behandelst, dir kein Mensch glauben wird …«

      »Wie heißt denn dieser Fürst?« unterbrach ich ihn, von einer Art Ahnung erfüllt.

      »Wozu willst du das wissen? Na, meinetwegen: Walkowski.«

      »Pjotr?«

      »Ja. Kennst du ihn?«

      »Ja, aber nicht näher. Nun, Masslobojew, ich werde mich nach diesem Herrn noch manchmal bei dir erkundigen«, sagte ich und stand auf; »du hast mein Interesse in hohem Grade wachgerufen.«

      »Na ja, alter Freund, erkundige dich, soviel du willst! Geschichtchen verstehe ich schon zu erzählen, aber selbstverständlich nur innerhalb gewisser Grenzen, du verstehst? Sonst verliert man seinen Kredit und seine Ehre, das heißt die geschäftliche Ehre, na und so weiter.«

      »Nun also, soweit es deine Ehre gestatten wird.«

      Ich befand mich in starker Aufregung. Er bemerkte das.

      »Nun, was kannst du mir denn jetzt über die Geschichte sagen, die ich dir eben erzählt habe?« fragte ich ihn. »Ist dir ein guter Gedanke gekommen?«

      »Über deine Geschichte? Warte einen Augenblick auf mich; ich möchte bezahlen.«

      Er trat ans Büfett und traf dort; wie zufällig, auf einmal mit jenem jungen Menschen im ärmellosen Wams zusammen, den man so schlechthin mit dem Vornamen Mitrofan zu nennen pflegte. Es schien mir, daß Masslobojew ihn etwas näher kannte, als er mir gegenüber selbst zugegeben hatte. Wenigstens war deutlich, daß sie jetzt nicht zum erstenmal zusammenkamen.

      Mitrofan war dem Aussehen nach ein recht origineller Bursche. In seinem Wams, seinem rotseidenen Hemd, mit seinen scharfen, aber wohlgestalteten Gesichtszügen, noch ziemlich jugendlich, sonnengebräunt, mit kühnem, funkelndem Blick, machte er einen interessanten und durchaus nicht abstoßenden Eindruck. Sein Benehmen hatte etwas gekünstelt Keckes; aber im gegenwärtigen Augenblick legte er sich offenbar Zwang auf und suchte sich vor allem ein geschäftsmäßiges, würdiges, solides Aussehen zu geben.

      »Also, Wanjuscha«, sagte Masslobojew, als er zu mir zurückkehrte, »besuche mich heute um sieben Uhr; dann werde ich dir vielleicht etwas sagen können. Siehst du, ich allein vermag nichts zu leisten; früher war das anders, aber jetzt bin ich nur ein Säufer und habe mich von den Geschäften einigermaßen zurückgezogen. Aber ich habe immer noch meine früheren Beziehungen; ich kann über manches Erkundigungen anstellen und im Verein mit allerlei schlauen Leuten dies und das herausschnüffeln; in meiner freien Zeit allerdings, das heißt, wenn ich nüchtern bin, tue ich auch selbst etwas, ebenfalls mit Hilfe von Bekannten … meistens auf dem Gebiet der Nachforschungen … Na, aber nun genug! Da ist meine Adresse: in der Schestilawotschnaja. Jetzt aber, mein Teuerster, bin ich schon ganz unbrauchbar. Ich will noch ein Gläschen Goldwasser trinken und dann nach Hause. Ich will mich hinlegen. Wenn du kommst, will ich dich mit Alexandra Semjonowna bekannt machen, und wenn wir Zeit haben, wollen wir auch über Literatur reden.«

      »Nun, und auch von meiner Angelegenheit?«

      »Vielleicht auch von deiner Angelegenheit.«

      »Nun gut, ich werde kommen, ich werde bestimmt kommen.«

      Sechstes Kapitel

      Anna Andrejewna wartete auf mich schon lange. Durch das, was ich ihr tags zuvor über Nataschas Briefchen gesagt hatte, war ihre Neugier stark erregt worden, und sie hatte mich schon viel früher am Morgen erwartet, mindestens schon um zehn Uhr. Als ich aber bei ihr zwischen ein und zwei Uhr mittags erschien, war die Pein des Wartens bei der armen Frau auf den höchsten Grad gestiegen. Außerdem hatte sie auch das dringende Bedürfnis, mit mir von den neuen Hoffnungen zu sprechen, die seit dem vorigen Tag in ihrem Herzen erwacht waren, und von Nikolai Sergejewitsch, der sich seit dem vorigen Tag unwohl fühlte, ein finsteres Gesicht machte, sich dabei aber doch gegen sie besonders zärtlich benahm.


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