Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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Franc, wenn du ihn zerbrichst!‹ (Ein Franc, das ist nach unserem Geld ein Viertelrubel.) Er lächelte und sah mich an; ich saß gegenüber auf dem Sofa und eine schöne Dame neben mir; nicht so eine Fratze wie diese hier, sondern mit Schück, kurz gesagt. Er schreit: ›Stepan Terentjewitsch, Stepan Terentjewitsch! Soll es halbpart gelten, wie?‹ Ich sage: ›Es gilt!‹ Da schlägt er mit der Faust gegen den Trüma – klirr! Die Scherben polterten nur so. Die Joubert kreischte auf und fuhr ihm ordentlich ins Gesicht: ›Du Räuber, was fällt dir ein?‹ (Das heißt, sie sagte das in ihrer Sprache.) Aber er antwortete ihr: ›Nehmen Sie Ihr Geld, Madam Joubert; aber stören Sie mir nicht mein Vergnügen!‹ und gab ihr sofort sechshundertfünfzig Franc. Fünfzig handelte er ihr ab.«

      In diesem Augenblick erscholl ein furchtbarer, durchdringender Schrei durch mehrere Türen hindurch, zwei oder drei Zimmer entfernt von dem, in welchem wir uns befanden. Ich fuhr zusammen und schrie ebenfalls auf. Ich erkannte diesen Schrei: es war Jelenas Stimme. Sogleich nach diesem kläglichen Schrei ertönten andere Schreie, Schimpfworte, Lärm und zuletzt deutliche, schallende Schläge mit der flachen Hand auf ein Gesicht. Das war wahrscheinlich Mitrofans Tätigkeit in seinem Departement. Plötzlich wurde die Tür heftig aufgerissen, und Jelena stürzte ins Zimmer: blaß, die Augen voll Tränen, in einem weißen Musselinkleid, das völlig zerknittert und zerrissen war, mit gekämmtem, aber wie infolge eines Kampfes zerzaustem Haar. Ich stand der Tür gegenüber, und sie stürzte gerade auf mich los und umschlang mich mit ihren Armen. Alle sprangen erschrocken auf, schrien und kreischten bei ihrem Anblick. Hinter ihr erschien in der Tür Mitrofan, der seinen übel zugerichteten, dickbäuchigen Gegner an den Haaren schleppte. Er zerrte ihn bis zur Schwelle und warf ihn zu uns ins Zimmer.

      »Da habt ihr ihn! Nehmt ihn hin!« rief Mitrofan mit sehr zufriedener Miene.

      »Höre«, sagte Masslobojew, indem er ruhig an mich herantrat und mir auf die Schulter klopfte, »nimm unsere Droschke und fahre mit dem Mädchen zu deiner Wohnung; hier hast du nichts weiter zu tun. Morgen werden wir auch das übrige erledigen.«

      Ich ließ mir das nicht zum zweiten Male sagen, sondern nahm Jelena bei der Hand und führte sie aus dieser Lasterhöhle hinaus. Wie die Sache in diesem Haus endete, weiß ich nicht. Uns beide hielt niemand auf: die Wirtin war vom Schrecken wie gelähmt. Alles hatte sich so schnell abgespielt, daß sie nichts hatte hindern können. Die Droschke hatte auf uns gewartet, und zwanzig Minuten darauf war ich schon in meiner Wohnung.

      Jelena war halbtot. Ich öffnete die Haken an ihrem Kleid, bespritzte ihr Gesicht mit Wasser und legte sie auf das Sofa. Sie begann zu fiebern und irrezureden. Ich betrachtete ihr blasses Gesichtchen, die farblosen Lippen, das schwarze zerzauste Haar, das aber vorher sorgfältig gekämmt und pomadisiert gewesen war, ihren ganzen Anzug, diese rosa Schleifen, die noch hier und da am Kleid saßen – und verstand den ganzen abscheulichen Hergang. Das arme Kind! Ihr Zustand wurde immer schlimmer. Ich wich nicht von ihrer Seite und nahm mir vor, an diesem Abend nicht zu Natascha zu gehen. Manchmal schlug Jelena ihre langen Wimpern auf und blickte mich lange unverwandt an, als ob sie mich erkenne. Erst spät, nach Mitternacht, schlief sie ein. Ich schlief neben ihr auf dem Fußboden.

      Achtes Kapitel

      Ich stand sehr früh auf. Die ganze Nacht über war ich fast jede halbe Stunde aufgewacht, zu meiner armen Kranken herangetreten und hatte sie aufmerksam betrachtet. Sie hatte Fieber und phantasierte ein wenig. Aber gegen Morgen schlief sie fest ein. ›Das ist ein gutes Zeichen‹, dachte ich, beschloß aber, als ich am Morgen aufwachte, möglichst schnell, solange das arme Kind noch schlief, zum Arzt zu laufen. Ich kannte einen Arzt, einen alten, gutherzigen Junggesellen, der seit undenklicher Zeit mit seiner deutschen Haushälterin zusammen auf der Wladimirskaja wohnte. Er versprach, um zehn Uhr zu mir zu kommen. Als ich bei ihm war, war es acht. Ich hatte die größte Lust, im Vorbeigehen bei Masslobojew vorzusprechen; aber ich gab diesen Gedanken auf: er schlief gewiß noch von gestern her, und außerdem konnte Jelena aufwachen und sich vielleicht in meiner Abwesenheit ängstigen, wenn sie sich in meiner Wohnung sah. In ihrem krankhaften Zustand konnte sie vergessen haben, wie, wann und auf welche Weise sie zu mir gekommen war.

      Sie erwachte gerade in dem Augenblick, als ich ins Zimmer trat. Ich ging zu ihr hin und fragte vorsichtig, wie sie sich befinde. Sie antwortete nicht, sondern sah mich lange und unverwandt mit ihren ausdrucksvollen schwarzen Augen an. Nach ihrem Blick schien es mir, daß sie alles erkenne und bei vollem Bewußtsein sei. Daß sie mir nicht antwortete, beruhte vielleicht auf ihrer dauernden Gewohnheit. Auch gestern und vorgestern hatte sie mir auf manche meiner Fragen nicht eine Silbe erwidert, sondern mir nur mit ihrem langen, starren Blick in die Augen gesehen, mit diesem Blick, in welchem außer Erstaunen und scheuer Neugier auch noch eine seltsame Art von Stolz gelegen hatte. Jetzt aber bemerkte ich in ihrem Blick etwas Finsteres und sogar ein gewisses Mißtrauen. Ich wollte ihr die Hand auf die Stirn legen, um zu fühlen, ob sie Fieber habe; aber sie schob meine Hand mit ihrem kleinen Händchen schweigend und sacht zurück und wendete sich mit dem Gesicht von mir ab, der Wand zu. Ich ging fort, um sie nicht weiter aufzuregen.

      Ich besaß einen großen kupfernen Teekessel. Diesen benutzte ich schon seit längerer Zeit als Samowar und machte in ihm Wasser heiß. Holz hatte ich; das hatte mir der Hausknecht gleich für fünf Tage mit einem Male heraufgebracht. Auf dem Tisch stellte ich mein Teegeschirr zurecht. Jelena wandte sich zu mir und sah alles neugierig mit an. Ich fragte sie, ob sie etwas wünsche; aber sie wandte sich wieder von mir weg und gab keine Antwort.

      »Ob sie mir aus irgendeinem Grund böse ist?« dachte ich. »Ein seltsames Mädchen!«

      Mein alter Arzt kam, wie er gesagt hatte, um zehn Uhr. Er untersuchte die Kranke mit deutscher Gründlichkeit und beruhigte mich sehr durch seine Äußerung, es liege zwar ein fieberhafter Zustand vor, jedoch sei keine besondere Gefahr vorhanden. Er fügte hinzu, sie müsse eine andere, chronische Krankheit haben, so etwas wie unregelmäßige Herztätigkeit; aber dieser Punkt werde besondere Beobachtung erfordern; zur Zeit sei sie außer Gefahr. Er verschrieb ihr eine Mixtur und irgendein Pulver, mehr gewohnheitsmäßig, als weil es nötig gewesen wäre, und begann dann sogleich, mich auszufragen: auf welche Weise sie zu mir gekommen sei. Gleichzeitig sah er sich erstaunt in meiner Wohnung um. Dieser alte Herr war außerordentlich gesprächig.

      Über Jelena war er erstaunt; sie hatte ihm ihre Hand entrissen, als er ihr den Puls fühlen wollte, hatte ihm nicht die Zunge zeigen wollen, auf alle seine Fragen keine Silbe geantwortet, sondern die ganze Zeit über nur unverwandt nach dem großen Stanislausorden gesehen, den er am Hals hängen hatte.

      »Sie hat gewiß starke Kopfschmerzen«, bemerkte der Alte; »aber was hat sie für einen Blick, was hat sie für einen Blick!«

      Ich hielt es nicht für nötig, ihm über Jelena viel zu erzählen, und machte mich durch die Bemerkung los, das sei eine lange Geschichte.

      »Lassen Sie es mich wissen, wenn ich nötig sein sollte«, sagte er beim Weggehen. »Augenblicklich ist keine Gefahr.«

      Ich beschloß, den ganzen Tag bei Jelena zu bleiben und sie bis zur völligen Wiederherstellung möglichst selten allein zu lassen. Aber da ich wußte, daß Natascha und Anna Andrejewna sich ängstigen würden, wenn sie mich vergebens erwarteten, so wollte ich wenigstens Natascha brieflich durch die Stadtpost benachrichtigen, daß ich heute nicht zu ihr kommen würde. An Anna Andrejewna dagegen durfte ich nicht schreiben. Sie hatte, als ich ihr einmal während Nataschas Krankheit Nachricht gesandt hatte, mich ein für allemal gebeten, ihr keine Briefe zu schicken. »Der Alte«, sagte sie, »macht ein finsteres Gesicht, wenn er einen Brief von dir sieht; er möchte gern wissen, was drinsteht, der gute Mann, mag aber nicht danach fragen. Dann ist er den ganzen Tag verdrießlich. Außerdem, lieber Freund, ist ein Brief von dir für mich nur eine zwecklose Aufregung. Was habe ich von zehn Zeilen? Ich möchte dann nach allen Einzelheiten fragen, und du bist dann nicht hier.« Darum schrieb ich nur an Natascha und steckte, als ich das Rezept in die Apotheke trug, den Brief gleich in den Kasten.

      Inzwischen war Jelena wieder eingeschlafen. Im Schlaf stöhnte sie leise und zuckte zusammen. Mitunter schrie sie leicht auf und erwachte. Dann sah sie mich ordentlich ärgerlich an, wie wenn ihr die Aufmerksamkeit, die ich ihr zuwandte, besonders peinlich wäre. Ich muß gestehen, daß mir das sehr schmerzlich war.

      Um elf Uhr kam Masslobojew. Er war mit ernsten


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