Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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lieber Freund«, sagte er, sich umblickend, »daß du nicht luxuriös wohnen würdest, hatte ich erwartet; aber ich hatte wirklich nicht gedacht, daß ich dich in einer solchen Kiste finden würde. Das ist eine Kiste und keine Wohnung. Na, darauf kommt ja freilich im übrigen nicht viel an; aber der Hauptschade ist, daß dich all diese äußeren Sorgen von der Arbeit abhalten. Ich habe daran schon gestern gedacht, als wir zu Frau Bubnowa fuhren. Ich, lieber Freund, gehöre ja nach meinem ganzen Wesen und nach meiner gesellschaftlichen Stellung zu den Leuten, die selbst nichts Gescheites leisten, sondern nur andere dazu ermahnen. Nun höre: ich werde vielleicht morgen oder übermorgen zu dir kommen; komm du aber unter allen Umständen Sonntag vormittag zu mir! Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Angelegenheit dieses Mädchens, wie ich hoffe, ganz ins reine gebracht sein; gleichzeitig will ich dann auch mit dir ein vernünftiges Wort reden, weil für dich etwas Ernstliches getan werden muß. So darfst du nicht weiterleben. Ich habe dir das gestern nur angedeutet; aber jetzt werde ich es dir logisch auseinandersetzen. Ja, und schließlich sage mal: hältst du es denn für eine Unehre, von mir für einige Zeit Geld anzunehmen?«

      »Fang keinen Streit an!« unterbrach ich ihn. »Sage mir lieber, welchen Ausgang die Sache da bei euch gestern genommen hat.«

      »Nun, den allerbesten; das Ziel ist erreicht, du verstehst? Jetzt aber habe ich keine Zeit. Ich bin nur für einen Augenblick gekommen, um dir mitzuteilen, daß ich keine Zeit habe, mich dir zu widmen; aber beiläufig möchte ich noch fragen: wirst du sie irgendwo unterbringen, oder willst du sie bei dir behalten? Denn das muß überlegt und entschieden werden.«

      »Das weiß ich noch nicht bestimmt, und ich muß gestehen, ich hatte auf dich gewartet, um dich um Rat zu fragen. In welcher Stellung könnte ich sie denn bei mir behalten?«

      »Was ist da für eine Schwierigkeit? Etwa als Magd…«

      »Ich bitte dich nur, leiser zu sprechen. Wenn sie auch krank ist, so ist sie doch vollkommen bei Bewußtsein, und als sie dich erblickte, da bemerkte ich, daß sie zusammenzuckte. Jedenfalls erinnerte sie sich an die gestrigen Erlebnisse…«

      Nun erzählte ich ihm von ihrem Charakter und berichtete alles, was ich an ihr wahrgenommen hatte. Meine Mitteilungen erregten Masslobojews Interesse. Ich fügte hinzu, daß ich sie vielleicht in einer mir bekannten Familie unterbringen würde, und erzählte ihm einiges wenige von den alten Ichmenews. Zu meiner Verwunderung kannte er Nataljas Geschichte schon teilweise; auf meine Frage, woher er es wisse, antwortete er:

      »Ich habe es so zufällig gehört, schon vor längerer Zeit, anläßlich einer anderen Sache. Ich sagte dir ja schon, daß ich den Fürsten Walkowski kenne. Du tust gut daran, daß du sie zu jenen alten Leuten bringen willst. Sonst stört sie dich hier nur. Noch eins: sie braucht irgendein Ausweispapier. Darüber mache dir keine Sorgen; das nehme ich auf mich. Leb wohl, besuche mich recht oft! Wie ist’s? Schläft sie jetzt?«

      »Es scheint so«, antwortete ich.

      Aber kaum war er hinausgegangen, als Jelena mich sofort zu sich rief.

      »Wer war das?« fragte sie. Ihre Stimme zitterte; aber sie sah mich immer noch mit demselben starren und abweisenden Blick an. Anders kann ich mich nicht ausdrücken.

      Ich nannte ihr Masslobojews Namen und fügte hinzu, daß es mir nur durch seine Hilfe gelungen sei, sie von Frau Bubnowa loszubekommen, und daß diese vor ihm große Furcht habe. Ihre Wangen überzogen sich augenblicklich mit dunkler Glut, wahrscheinlich infolge der Erinnerungen.

      »Und sie wird jetzt nie hierherkommen?« fragte Jelena, indem sie mich forschend anblickte.

      Ich beeilte mich, sie zu beruhigen. Sie schwieg und ergriff mit ihren heißen Fingerchen meine Hand, ließ sie aber, wie wenn ihr etwas einfiele, sofort wieder fahren. »Es ist doch nicht möglich, daß sie gegen mich wirklich eine solche Abneigung empfinden sollte‹, dachte ich. ›Das ist eben ihre Manier so, oder… oder das arme Kind hat soviel Leid erfahren, daß sie zu niemandem mehr auf der Welt Vertrauen hat.‹

      Zur bestimmten Stunde ging ich, um die Arznei abzuholen, und gleichzeitig in ein mir bekanntes Restaurant, wo ich manchmal zu Mittag aß und Kredit hatte. Diesmal hatte ich, als ich das Haus verließ, eine Menage mitgenommen und ließ mir in dem Restaurant eine Portion Hühnersuppe für Jelena geben. Aber sie wollte nichts essen, und so stellte ich denn die Suppe vorläufig auf den Ofen.

      Nachdem ich ihr die Arznei gereicht hatte, setzte ich mich an meine Arbeit. Ich glaubte, sie schliefe; aber als ich zufällig zu ihr hinblickte, sah ich, daß sie den Kopf in die Höhe gehoben hatte und aufmerksam verfolgte, wie ich schrieb. Ich tat, als ob ich es nicht bemerkte.

      Endlich schlief sie wirklich ein, und zwar zu meiner Freude ruhig, ohne Irrereden und ohne Stöhnen. Ich wurde in meinem Entschluß wankend; ich sagte mir, Natascha, die nicht wisse, um was es sich handle, werde mir möglicherweise zürnen, wenn ich heute nicht zu ihr käme, ja sie werde sich sogar bestimmt gekränkt fühlen durch meinen Mangel an Aufmerksamkeit gerade in einer Zeit, wo ich ihr vielleicht am allernötigsten sei. Es könne sehr leicht sein, daß ihr jetzt irgendwelche Sorge und Mühe erwachse und sie mir einen Auftrag zu geben habe, und dann sei ich gerade in einem solchen Augenblick nicht da.

      Was Anna Andrejewna anlangte, so wußte ich schlechterdings nicht, wie ich mich am folgenden Tag ihr gegenüber rechtfertigen sollte. Ich überlegte lange und entschloß mich endlich, sowohl hierhin als auch dorthin zu laufen. Meine ganze Abwesenheit brauchte nur zwei Stunden zu dauern. Jelena, meinte ich, schlafe und werde es nicht hören, wenn ich fortginge. Ich sprang auf, zog mir den Mantel an und nahm meinen Hut; aber als ich eben hinausgehen wollte, rief mich Jelena auf einmal an. Ich war erstaunt: hatte sie sich wirklich nur so gestellt, als ob sie schliefe?

      Beiläufig bemerke ich: obgleich Jelena so tat, als möge sie nicht mit mir reden, so bewies dieses ziemlich häufige Anrufen, dieses Bedürfnis, sich mit all ihren Zweifeln und Sorgen an mich zu wenden, doch das Gegenteil, und ich muß gestehen, daß mir dies sogar angenehm war.

      »Wo wollen Sie mich hingeben?« fragte sie, als ich zu ihr trat.

      Sie pflegte ihre Fragen überhaupt plötzlich, und wenn ich es ganz und gar nicht erwartete, zu stellen. Im vorliegenden Fall verstand ich sie nicht einmal sofort.

      »Sie sagten vorhin zu Ihrem Bekannten, Sie wollten mich zu einer Ihnen bekannten Familie geben. Aber ich will nirgends hin.«

      Ich beugte mich zu ihr hinab. Sie hatte wieder starkes Fieber und machte eine Krisis durch. Ich begann sie zu trösten und zu beruhigen; ich versicherte ihr, wenn sie bei mir bleiben wolle, würde ich sie nirgendshin fortgeben. Während ich das sagte, legte ich Mantel und Hut wieder ab. Sie in einem solchen Zustand allein zu lassen, dazu konnte ich mich nicht entschließen.

      »Nein, gehen Sie nur fort!« sagte sie, da sie sogleich erriet, daß ich dableiben wolle. »Ich möchte schlafen; ich werde gleich einschlafen.«

      »Aber wirst du auch allein bleiben können?« fragte ich bedenklich. »Ich werde übrigens bestimmt in zwei Stunden zurück sein.«

      »Nun, dann gehen Sie doch! Sonst werde ich womöglich ein ganzes Jahr lang krank sein, und Sie könnten dann ein ganzes Jahr lang nicht aus dem Haus gehen.«

      Sie machte einen Versuch zu lächeln und sah mich ganz eigentümlich an, wie wenn sie mit einem guten Gefühl ränge, das sich in ihrem Herzen rege. Das arme Kind! Ihr gutes, weiches Herz wurde nach außen hin sichtbar trotz all ihrer Menschenscheu und offenbaren Verbitterung.

      Zuerst lief ich zu Anna Andrejewna. Sie wartete auf mich mit fieberhafter Ungeduld und empfing mich mit Vorwürfen; sie befand sich in einer schrecklichen Unruhe: Nikolai Sergejewitsch war gleich nach dem Mittagessen von zu Hause weggegangen, und sie wußte nicht wohin. Ich ahnte, daß die alte Frau sich nicht hatte beherrschen können und ihm nach ihrer Gewohnheit alles ›andeutungsweise‹ erzählt hatte. Übrigens gestand sie es mir beinahe selbst ein, indem sie sagte, sie habe sich nicht enthalten können, ihn an einer so großen Freude teilnehmen zu lassen; aber Nikolai Sergejewitsch sei (dies war ihr eigener Ausdruck) schwarz wie eine Gewitterwolke geworden, habe kein Wort gesagt, immer geschwiegen und nicht einmal auf ihre Fragen geantwortet; nach dem Mittagessen habe er sich auf einmal fertiggemacht und sei davongegangen. Während Anna Andrejewna dies erzählte, zitterte sie vor Angst und


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