Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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von oben bis unten entzwei. Nachdem sie das getan hatte, schaute sie auf und blickte mich trotzig mit funkelnden Augen an. Ihr Gesicht war blaß.

      »Was tust du, Jelena?« rief ich, überzeugt, daß ich eine Wahnsinnige vor mir hatte.

      »Das ist ein häßliches Kleid«, erwiderte sie, keuchend vor Aufregung. »Warum haben Sie es ein schönes Kleid genannt? Ich will es nicht tragen«, schrie sie plötzlich und sprang von ihrem Platz auf. »Ich werde es zerreißen. Ich habe sie nicht gebeten, mich herauszuputzen. Sie hat das von selbst getan, mit Gewalt. Ich habe schon ein Kleid zerrissen und werde auch dieses zerreißen. Zerreißen werde ich es, zerreißen, zerreißen! …«

      Wütend machte sie sich über das unglückliche Kleid her. In einem Augenblick hatte sie es in Stücke zerrissen. Als sie damit fertig war, war sie so blaß, daß sie kaum auf den Füßen stehen konnte. Verwundert stand ich dieser wilden Heftigkeit gegenüber. Sie aber sah mich gewissermaßen herausfordernd an, als ob auch ich mich irgendwie gegen sie vergangen hätte. Aber ich wußte schon, was ich zu tun hatte.

      Ich beschloß, ihr unverzüglich, gleich an diesem Vormittag, ein neues Kleid zu kaufen. Auf dieses scheue, verbitterte Wesen mußte man durch Güte wirken. Sie machte den Eindruck, als wäre sie nie mit guten Menschen zusammengekommen. Wenn sie schon einmal trotz der zu erwartenden strengen Strafe ihr erstes derartiges Kleid in Stücke gerissen hatte, mit welcher Wut mußte sie dann jetzt dieses ansehen, durch das sie an die schrecklichen unlängst durchlebten Augenblicke erinnert wurde!

      Auf dem Trödelmarkt konnte man ein hübsches, einfaches Kleid sehr billig kaufen. Das Unglück war nur, daß ich in diesem Augenblick fast gar kein Geld besaß. Aber ich hatte mir schon tags zuvor beim Schlafengehen vorgenommen, mich heute an einen Ort zu begeben, wo ich hoffen konnte, welches zu bekommen, und es traf sich gut, daß ich zu diesem Zweck nach derselben Seite gehen mußte, wo der Trödelmarkt lag. Ich griff nach dem Hut. Jelena beobachtete mich unverwandt, wie wenn sie auf etwas wartete.

      »Werden Sie mich wieder einschließen?« fragte sie, als ich den Schlüssel nahm, um wie an den beiden vorhergehenden Tagen die Wohnung hinter mir zuzuschließen.

      »Liebes Kind«, sagte ich, zu ihr tretend, »nimm mir das nicht übel! Ich schließe deswegen zu, weil jemand kommen könnte. Du aber bist krank und könntest dich womöglich ängstigen. Und es kann ja auch Gott weiß wer kommen; vielleicht gerät Frau Bubnowa auf den Einfall, sich hierherzubegeben…«

      Das sagte ich absichtlich zu ihr. In Wirklichkeit schloß ich sie ein, weil ich ihr mißtraute. Ich glaubte, sie könne plötzlich auf den Gedanken kommen, von mir wegzugehen. Ich beschloß, einstweilen möglichst vorsichtig zu sein. Jelena schwieg, und so schloß ich sie denn auch diesmal ein.

      Ich kannte einen Verleger, der schon seit mehr als zwei Jahren ein vielbändiges Werk herausgab. Von diesem erhielt ich häufig Arbeit, wenn es mir wünschenswert war, recht bald etwas Geld zu verdienen. Er zahlte pünktlich und anständig. Ich begab mich zu ihm, und es gelang mir, fünfundzwanzig Rubel Vorschuß zu erhalten, mit der Verpflichtung, ihm innerhalb einer Woche einen kompilatorischen Artikel zu liefern. Aber ich hoffte, daneben noch Zeit zur Arbeit an meinem Roman übrigzubehalten. So verfuhr ich oft, wenn ich besonders arg in Not kam.

      Nachdem ich das Geld erhalten hatte, begab ich mich auf den Trödelmarkt. Dort fand ich schnell eine mir bekannte alte Frau, die mit allerlei Kleiderkram handelte. Ich gab ihr annähernd Jelenas Größe an, und sie suchte mir im Handumdrehen ein helles, sehr haltbares und erst einmal gewaschenes Kattunkleid zu außerordentlich billigem Preis aus. Auch nahm ich gleich noch ein kleines Halstuch. Während ich bezahlte, überlegte ich, daß Jelena auch einen einfachen Pelz, einen Mantel oder etwas Ähnliches nötig habe. Das Wetter war kalt, und sie besaß absolut nichts Derartiges. Aber ich verschob diesen Einkauf auf ein andermal. Jelena war so empfindlich, so stolz. Gott mochte wissen, wie sie schon dieses Kleid aufnehmen würde, obwohl ich absichtlich das einfachste, schlichteste, gewöhnlichste genommen hatte, das zu finden gewesen war. Indes kaufte ich doch noch zwei Paar baumwollene Strümpfe und ein Paar wollene. Diese konnte ich ihr mit der Begründung geben, sie sei krank und es sei im Zimmer kalt. Auch Wäsche brauchte sie. Aber all dies verschob ich bis auf die Zeit, wo ich mit ihr näher bekannt geworden sein würde. Dafür kaufte ich einen alten Vorhang für das Bett, ein notwendiges Requisit, das ihr, wie ich meinte, Freude machen konnte.

      Mit all diesen Sachen kehrte ich erst um ein Uhr mittags nach Hause zurück. Mein Türschloß öffnete sich fast geräuschlos, so daß Jelena nicht sogleich hörte, daß ich zurückgekommen war. Ich bemerkte, daß sie am Tisch stand und meine Bücher und Papiere ansah. Als sie mich hörte, klappte sie schnell ein Buch zu, in dem sie gelesen hatte, und trat, tief errötend, vom Tisch weg. Ich warf einen Blick darauf: es war mein erster Roman, der als gebundenes Buch herausgegeben war und auf dessen Titelblatt mein Name stand.

      »Es hat hier in Ihrer Abwesenheit jemand geklopft!« sagte sie in einem Ton, als ob sie, um mich zu necken, sagen wolle: ›Warum hast du auch zugeschlossen?‹

      »War es der Arzt?« fragte ich. »Hast du auf das Klopfen geantwortet, Jelena?«

      »Nein.«

      Ich erwiderte nichts, nahm das Bündel, band es auf und nahm das gekaufte Kleid heraus.

      »Hier, liebe Jelena«, sagte ich, indem ich zu ihr trat; »in den Fetzen, die du jetzt anhast, kannst du nicht gehen. Ich habe dir ein ganz gewöhnliches, ganz billiges Kleid gekauft, so daß du dich darüber nicht zu beunruhigen brauchst; es kostet nur einen Rubel und zwanzig Kopeken. Trage es auf deine Gesundheit!«

      Ich legte das Kleid neben sie hin. Sie wurde dunkelrot und sah mich eine Weile mit weitgeöffneten Augen an.

      Sie war außerordentlich erstaunt und schämte sich zugleich, wie es mir vorkam, über irgend etwas sehr. Aber eine sanfte, zärtliche Empfindung leuchtete in ihren Augen auf. Da ich sah, daß sie schwieg, wandte ich mich von ihr ab zum Tisch hin. Meine Handlungsweise hatte sie offenbar überrascht. Aber sie bezwang sich mit Anstrengung und saß still da, die Augen auf den Fußboden gerichtet.

      Mein Kopfschmerz und mein Schwindelgefühl waren immer stärker geworden. Die frische Luft hatte mir nicht den geringsten Nutzen gebracht. Indessen mußte ich zu Natascha gehen. Meine Beunruhigung um sie hatte sich seit dem vorhergehenden Tag nicht vermindert, sondern war im Gegenteil immer mehr gewachsen. Auf einmal war es mir, als ob Jelena mich anriefe. Ich wandte mich zu ihr um.

      »Schließen Sie mich nicht ein, wenn Sie fortgehen!« sagte sie, indem sie zur Seite blickte und mit dem Finger an der Kante des Sofabezuges zupfte, wie wenn sie ganz in diese Beschäftigung vertieft wäre. »Ich werde nicht von Ihnen fortgehen.«

      »Gut, Jelena, ich bin einverstanden. Aber wenn ein Fremder kommt? Es kann ja Gott weiß wer kommen!«

      »Lassen Sie mir doch den Schlüssel hier! Ich werde von innen zuschließen, und wenn jemand klopft, werde ich sagen: ›Es ist niemand zu Hause.‹«

      Sie sah mich schelmisch an, wie wenn sie sagen wollte: ›Siehst du, so einfach ist das!‹

      »Wer wäscht denn Ihre Wäsche?« fragte sie plötzlich, ehe ich ihr etwas hatte antworten können.

      »Es ist hier im Haus eine Frau …«

      »Ich kann waschen. Und wo haben Sie gestern das Essen geholt?« »Aus einem Restaurant.«

      »Ich kann auch kochen. Ich werde Ihnen das Essen kochen.«

      »Rede doch nicht, Jelena; was wirst du denn kochen können? Was du da sagst, hat ja keinen Sinn…«

      Jelena schwieg und ließ den Kopf hängen. Augenscheinlich fühlte sie sich durch meine Bemerkung gekränkt. Es vergingen wenigstens zehn Minuten; wir schwiegen beide.

      »Suppe«, sagte sie auf einmal, ohne den Kopf in die Höhe zu heben.

      »Was meinst du mit Suppe? Was ist mit Suppe?« fragte ich erstaunt.

      »Suppe kann ich kochen. Ich habe für Mama welche gekocht, als sie krank war. Ich bin auch auf den Markt gegangen.«

      »Siehst du wohl, Jelena, siehst du wohl, wie stolz du bist!« sagte ich, indem ich zu ihr ging und mich neben sie auf das Sofa setzte. »Ich handle dir gegenüber so, wie es mir


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