Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


Скачать книгу
werde es Ihnen nachher erklären, Nikolai Sergejewitsch. Es ist ein armes, vater-und mutterloses Mädchen; die Enkelin eben jenes Smith, der hier gewohnt hat und in der Konditorei gestorben ist.«

      »Ah, der hat also eine Enkelin gehabt! Na, aber ein wunderliches Ding ist sie, lieber Freund! Wie sie einen ansieht, wie sie einen ansieht! Offen gesagt: wenn du noch fünf Minuten länger ausgeblieben wärst, so hätte ich es nicht mehr ausgehalten, hier zu sitzen. Mit Müh und Not habe ich sie dazu gebracht, mir die Tür aufzuschließen, und seitdem hat sie noch nicht eine Silbe gesagt; es ist einem ordentlich unheimlich, mit ihr zusammen zu sein; sie hat ja gar nichts von einem menschlichen Wesen an sich. Und wie ist sie denn hierhergekommen? Ah, ich verstehe: gewiß hat sie zu ihrem Großvater gewollt und nicht gewußt, daß er gestorben ist?«

      »Ja, sie war sehr unglücklich. Der alte Mann hat noch im Sterben von ihr gesprochen.«

      »Hm, wie der Großvater, so die Enkelin. Das kannst du mir alles nachher erzählen. Vielleicht kann man ihr auch irgendwie helfen, wenn sie so unglücklich ist … Na, aber kannst du ihr jetzt nicht sagen, lieber Freund, sie möchte weggehen? Denn ich muß mit dir etwas Ernstes besprechen.«

      »Sie kann nirgends hingehen. Sie wohnt hier.«

      Ich erklärte dies dem Alten, so gut es ging, in ein paar Worten und fügte hinzu, er könne auch in ihrer Gegenwart reden, da sie noch ein Kind sei.

      »Nun ja … allerdings, sie ist noch ein Kind. Aber du hast mich wirklich in Erstaunen versetzt, lieber Freund. Sie wohnt hier bei dir? Herr du mein Gott!«

      Der Alte sah mich noch einmal höchst verwundert an. Jelena, die merkte, daß von ihr die Rede war, saß schweigend mit gesenktem Kopf da und zupfte mit den Fingern an der Kante des Sofabezuges. Sie hatte bereits das neue Kleid angezogen, das ihr sehr gut paßte. Das Haar hatte sie mit besonderer Sorgfalt glattgekämmt, vielleicht aus Anlaß des neuen Kleides. Überhaupt, hätte sie nicht diesen sonderbar scheuen Blick gehabt, so wäre sie ein recht hübsches Mädchen gewesen.

      »Um es kurz und deutlich zu sagen, die Sache ist nämlich die, lieber Freund«, begann der alte Mann wieder, »es ist eine lange Geschichte, eine sehr wichtige Sache …«

      Er saß mit gesenktem Kopf da, mit wichtiger, nachdenklicher Miene, vermochte aber, trotzdem er es so eilig hatte und trotz seines ›kurz und deutlich‹ nicht die richtigen Worte für den Anfang seiner Mitteilung zu finden. ›Was wird da nur herauskommen ?‹ dachte ich.

      »Siehst du, Wanja, ich bin mit einer sehr großen Bitte zu dir gekommen. Aber vorher… wie ich mir jetzt selbst sage, muß ich dir gewisse Umstände auseinandersetzen, sehr heikle Umstände.«

      Er räusperte sich und streifte mich mit einem Blick; darauf errötete er; dann ärgerte er sich über seine eigene Ungeschicklichkeit, und schließlich faßte er einen energischen Entschluß:

      »Na, was ist da erst noch auseinanderzusetzen! Du wirst es schon von selbst verstehen! Ich will ganz einfach den Fürsten zum Duell fordern und bitte dich, die Sache zu arrangieren und mein Sekundant zu sein.«

      Ich sank gegen die Lehne des Stuhles zurück und blickte ihn, ganz außer mir vor Erstaunen, an. »Nun, warum siehst du mich so an? Ich habe ja doch nicht den Verstand verloren.«

      »Aber erlauben Sie, Nikolai Sergejewitsch! Was haben Sie denn dabei für einen Grund und was für eine Absicht? Und schließlich, wie ist es überhaupt möglich?«

      »Grund! Absicht!« schrie der Alte. »Nun, das ist schön!…«

      »Gut, gut, ich weiß, was Sie sagen werden; aber was werden Sie denn durch diesen auffälligen Schritt erreichen? Was für einen Nutzen bringt Ihnen das Duell? Ich gestehe, daß ich das nicht verstehe.«

      »Das hatte ich mir doch gedacht, daß du nichts verstehen würdest! Nun, höre zu: unser Prozeß ist zu Ende (das heißt, er wird in den nächsten Tagen zu Ende sein; es sind nur noch Förmlichkeiten zu erledigen); ich bin verurteilt. Ich muß an die zehntausend Rubel bezahlen; so lautet das Urteil. Für diese Summe haftet mein Gut Ichmenewka. Folglich ist dieser gemeine Mensch jetzt hinsichtlich seines Geldes gesichert; ich aber werde, wenn ich Ichmenewka hingegeben habe, meine Schuld bezahlt haben und wieder ein freier, selbständiger Mensch sein. Nun kann ich wieder den Kopf erheben. ›Soundso, verehrter Fürst‹, werde ich sagen, ›Sie haben mich zwei Jahre lang beleidigt; Sie haben meinen Namen und die Ehre meiner Familie beschimpft, und ich habe das alles ertragen müssen! Ich konnte Sie bisher nicht zum Zweikampf fordern. Sie würden mir geradezu gesagt haben: ,Ah, du Schlaukopf, du willst mich töten, damit du mir nicht das Geld zu bezahlen brauchst, zu dessen Bezahlung an mich du, wie du voraussiehst, früher oder später verurteilt werden wirst! Nein, zuerst wollen wir einmal sehen, wie der Prozeß entschieden werden wird, und dann fordere mich!’ Jetzt, verehrter Fürst, ist der Prozeß entschieden; Sie haben Ihre Sicherheit; somit bestehen keine Schwierigkeiten mehr, und darum frage ich Sie, ob es Ihnen nun gefällig ist, an die Barriere zu treten!‹ Darum also handelt es sich. Nun, und da bin ich wohl deiner Ansicht nach nicht berechtigt, schließlich für das alles, für das alles Rache zu nehmen!«

      Seine Augen funkelten. Ich blickte ihn lange schweigend an. Ich wollte gern in seine geheimen Gedanken eindringen.

      »Hören Sie, Nikolai Sergejewitsch«, erwiderte ich endlich, nachdem ich mich entschlossen hatte, den Hauptpunkt zur Sprache zu bringen, ohne den wir einander nicht hätten verstehen können, »können Sie gegen mich völlig offenherzig sein?«

      »Ja, das kann ich«, antwortete er in festem Ton.

      »Dann sagen Sie mir aufrichtig: ist es nur der Wunsch, sich zu rächen, der Sie zu dieser Herausforderung treibt, oder haben Sie dabei noch andere Ziele im Auge?«

      »Wanja«, antwortete er, »du weißt, daß ich niemandem gestatte, im Gespräch mit mir gewisse Punkte zu berühren; aber diesmal mache ich eine Ausnahme, weil du mit deinem klaren Verstand sogleich erkannt hast, daß es nicht möglich ist, diesen Punkt zu umgehen. Ja, ich habe dabei noch ein anderes Ziel im Auge. Dieses Ziel ist: meine verlorene Tochter zu retten und sie von dem unheilvollen Weg abzulenken, auf den sie durch die letzten Ereignisse getrieben worden ist.«

      »Aber wie wollen Sie sie denn durch dieses Duell retten? Das ist die Frage!«

      »Indem ich all das verhindere, was dort jetzt geplant wird. Höre: glaube nicht, daß aus mir irgendwelche väterliche Zärtlichkeit oder eine ähnliche Schwäche spricht! Das ist alles dummes Zeug! Mein innerstes Herz zeige ich niemandem. Auch du kennst es nicht. Meine Tochter hat mich verlassen, ist mit ihrem Liebhaber aus meinem Haus davongegangen, und ich habe sie aus meinem Herzen gerissen, ein für allemal, gleich an jenem Abend – erinnerst du dich? Wenn du mich beim Anblick ihres Porträts hast schluchzen sehen, so folgt daraus noch nicht, daß ich den Wunsch hätte, ihr zu verzeihen. Ich habe ihr auch damals nicht verziehen. Ich weinte über ein verlorenes Glück, über ein leeres Traumbild, aber nicht über sie, wie sie jetzt ist. Ich weine vielleicht auch sonst oft; ich schäme mich nicht, das zu bekennen, ebenso wie ich mich nicht schäme zu bekennen, daß ich mein Kind früher mehr als alles in der Welt geliebt habe. All dies steht anscheinend im Widerspruch zu meinem jetzigen auffälligen Schritt. Du kannst mir sagen: ›Wenn dem so ist, wenn Sie gleichgültig gegen das Schicksal derjenigen sind, die Sie nicht mehr für Ihre Tochter halten, warum mischen Sie sich denn dann in das, was jetzt dort geplant wird?‹ Darauf antworte ich: Erstens, weil ich diesen gemeinen, heimtückischen Menschen nicht triumphieren lassen will, und zweitens aus dem Gefühl der allergewöhnlichsten Menschenliebe. Wenn sie auch nicht mehr meine Tochter ist, so ist sie doch ein schwaches, schutzloses, betrogenes Geschöpf, das sie noch mehr betrügen wollen, um sie ganz und gar zugrunde zu richten. Direkt kann ich mich nicht in die Sache einmischen; aber indirekt, durch das Duell, kann ich es. Wenn ich mein Blut vergieße oder getötet werde, wird sie dann über dieses Hindernis, vielleicht über meinen Leichnam, hinwegschreiten und mit dem Sohn meines Mörders zum Traualtar gehen wie jene Königstochter (du erinnerst dich, es war bei uns zu Hause ein Büchelchen, in dem du lesen lerntest), die in ihrer Kutsche über den Leichnam ihres Vaters hinwegfuhr? Und schließlich, wenn es zum Duell kommt, werden der Fürst und sein Sohn die Heirat selbst nicht mehr wollen. Kurz, ich will diese Ehe nicht und wende alle Mittel an, damit sie nicht zustande kommt. Hast du mich jetzt verstanden?«

      »Nein.


Скачать книгу