Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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Stunden bei ihr gesessen und ihr versichert hast, du hättest ihre verstorbene Mutter gekannt, und daß du sie nach allerlei gefragt hast.«

      Masslobojew kniff die Augen zusammen und lächelte schlau.

      »Das wäre keine üble Idee«, sagte er. »Nein, Wanja, es ist nicht so. Das heißt, warum sollte ich sie nicht bei Gelegenheit ausfragen? Aber es ist nicht so. Höre, alter Freund, ich bin zwar jetzt wie gewöhnlich ziemlich betrunken; aber wisse, daß Filipp dich niemals in schlimmer Absicht betrügen wird, das heißt in schlimmer Absicht.«

      »Na, aber ohne schlimme Absicht?«

      »Na … auch ohne schlimme Absicht nicht. Aber hol das alles der Teufel; laß uns trinken und von unserer Angelegenheit reden! Die Sache ist sehr einfach«, fuhr er fort, nachdem er ein Glas hinuntergegossen hatte. »Diese Bubnowa hatte kein Recht, das Mädchen festzuhalten; ich habe alles in Erfahrung gebracht. Es hat keine Adoption oder dergleichen stattgefunden. Die Mutter war ihr Geld schuldig geblieben, und da hat sie die Kleine zu sich genommen. Die Verstorbene hatte einen vollgültigen Paß; folglich ist alles in guter Ordnung. Jelena kann bei dir wohnen bleiben, obwohl es sehr gut wäre, wenn irgendeine wohltätige Familie sie in ernster Absicht zur Erziehung übernähme. Aber einstweilen mag sie bei dir bleiben. Das hat keine Schwierigkeit! Ich werde dir alles erledigen. Die Bubnowa wird nicht wagen, auch nur einen Finger zu rühren. Über die verstorbene Mutter habe ich so gut wie nichts Genaues in Erfahrung bringen können. Sie war Witwe und hieß Salzmann.«

      »Ja; das hat mir auch Nelly gesagt.«

      »Na, diese Sache ist also abgetan. Jetzt aber, Wanjuscha«, begann er mit einer gewissen Feierlichkeit, »habe ich eine kleine Bitte an dich. Schlage sie mir nicht ab! Erzähle mir möglichst eingehend, was du für Geschäfte hast, wohin du zu gehen pflegst, wo du dich den ganzen Tag über aufhältst. Ich habe zwar einzelnes darüber gehört, möchte aber gern alles mit weit mehr Details wissen.«

      Eine solche Feierlichkeit versetzte mich in Erstaunen und beunruhigte mich sogar.

      »Aber was ist denn los? Warum willst du das wissen? Du fragst so feierlich …«

      »Also, Wanja, ohne unnötige Worte: ich will dir einen Dienst erweisen. Siehst du, Freundchen, wenn ich dich überlisten wollte, dann würde ich es verstehen, dich auch ohne Feierlichkeit auszufragen. Du argwöhnst, daß ich dich überlisten will: wegen der Bonbons von neulich; das verstehe ich ja. Aber da ich mit Feierlichkeit rede, so ist daraus zu ersehen, daß ich mich nicht um meinetwillen für die Sache interessiere, sondern um deinetwillen. Also laß du deine Bedenken und sage mir geradeheraus die lautere Wahrheit …«

      »Was denn für einen Dienst? Hör mal, Masslobojew, warum willst du mir nichts über den Fürsten erzählen? Daran ist mir viel gelegen. Das würde wirklich ein Freundschaftsdienst sein.«

      »Über den Fürsten? Hm! … Na, meinetwegen, ich will es dir offen sagen: ich befrage dich jetzt gerade in einer den Fürsten betreffenden Angelegenheit.«

      »Wie?«

      »Die Sache ist die: Ich habe bemerkt, lieber Freund, daß er sich in deine Angelegenheiten einmischt; unter anderem hat er mich über dich befragt. Wie er erfahren hat, daß wir beide miteinander bekannt sind, das geht dich nichts an. Aber die Hauptsache ist: nimm dich vor diesem Fürsten in acht! Das ist so ein Judas Ischariot und sogar schlimmer als der. Und als ich daher sah, daß er sich für deine Angelegenheiten interessierte, fing ich an, für dich zu zittern. Übrigens weiß ich ja nichts; eben darum bitte ich dich, mir alles zu erzählen, damit ich mir ein Urteil bilden kann … Und gerade deswegen habe ich dich heute zu mir gebeten. So steht es mit dieser ernsten Angelegenheit; ich rede ganz offen.«

      »Du wirst mir doch wenigstens etwas sagen, zum Beispiel, warum ich mich gerade vor dem Fürsten hüten soll.«

      »Na gut, meinetwegen! Die Leute bedienen sich meiner manchmal in allerlei Angelegenheiten, lieber Freund; aber du kannst dir wohl selbst sagen: sie schenken mir eben deswegen Vertrauen, weil ich kein Schwätzer bin. Wie soll ich dir also etwas erzählen? Darum nimm fürlieb, wenn ich dir nur im allgemeinen, nur so ganz im allgemeinen etwas erzähle, nur um zu zeigen, was er für ein Schurke ist. Na, nun fange zuerst von dir an!«

      Ich sagte mir, daß ich eigentlich keinen Grund hatte, etwas von meinen Angelegenheiten vor Masslobojew zu verbergen. Nataschas Sache war nicht geheim; überdies konnte ich mir von Masslobojew irgendwelchen Nutzen für sie versprechen. Selbstverständlich umging ich in meiner Erzählung einige Punkte nach Möglichkeit. Mit besonderer Aufmerksamkeit hörte Masslobojew alles an, was den Fürsten betraf; an vielen Stellen unterbrach er mich und stellte über vieles neue Fragen, so daß meine Erzählung ziemlich detailliert herauskam. Sie dauerte etwa eine halbe Stunde.

      »Hm! Einen klugen Kopf hat dieses Mädchen«, äußerte Masslobojew. »Wenn sie den Fürsten auch vielleicht nicht vollständig durchschaut, so ist doch schon das gut, daß sie gleich von vornherein wußte, mit wem sie es zu tun hat, und alle Beziehungen abbrach. Ein tüchtiges Frauenzimmer, diese Natalja Nikolajewna! Ich trinke auf ihre Gesundheit!« (Er goß ein Glas hinunter.) »Es gehörte nicht nur Verstand, sondern auch Herz dazu, um sich nicht täuschen zu lassen. Und an Herz hat es ihr nicht gefehlt. Selbstverständlich ist ihre Sache verloren, der Fürst wird seinen Willen durchsetzen, und Aljoscha wird sie sitzenlassen. Leid tut mir nur Ichmenew: diesem Schurken zehntausend Rubel zu bezahlen! Aber wer hat seine Sache vor Gericht geführt, wer ist dafür tätig gewesen? Natürlich er selbst! O weh, o weh! So sind sie alle, diese vornehm denkenden Hitzköpfe! Dieses Volk ist zu nichts zu gebrauchen! Mit dem Fürsten muß man anders verfahren. Ich hätte dem alten Ichmenew einen Advokaten verschafft, ei weih!«

      Er schlug ärgerlich mit der Faust auf den Tisch.

      »Nun, und wie ist es jetzt mit dem Fürsten?«

      »Ach, du immer mit deinem Fürsten! Was soll ich von dem sagen? Es tut mir leid, daß ich etwas versprochen habe. Ich wollte dich nur vor diesem Gauner warnen, Wanja, um dich gegen seine Einwirkung sozusagen mit einer Schutzmauer zu umgeben. Wer sich mit ihm einläßt, der ist in Gefahr. Du hattest aber wohl schon gedacht, ich würde dir Gott weiß was für Geheimnisse von Paris mitteilen. Da sieht man, daß du ein Romanschriftsteller bist! Na, was soll ich von dem Schurken sagen? Er ist eben ein Schurke, einfach ein Schurke… Na, ich will dir zum Beispiel ein Stückchen von ihm erzählen, ohne Angabe von Städten und Personen, also ohne historiographische Genauigkeit. Du weißt, daß er schon in früher Jugend, als er genötigt war, von seinem Gehalt als Büroangestellter zu leben, eine reiche Kaufmannstochter heiratete. Na, diese Kaufmannstochter behandelte er nicht besonders höflich; um sie handelt es sich jetzt zwar nicht; aber ich bemerke doch, Freund Wanja, daß er sein ganzes Leben lang vorzugsweise auf diese Art seinen Erwerb gesucht hat. Und nun noch so ein Fall! Er war ins Ausland gereist. Dort…«

      »Warte mal, Masslobojew, von welcher Reise sprichst du da? In welchem Jahr war das?«

      »Das war genau vor neunundzwanzig Jahren und drei Monaten. Na also, dort lockte er eine Tochter von ihrem Vater weg und entführte sie nach Paris. Und damit hatte es folgende Bewandtnis. Der Vater war so etwas wie Fabrikbesitzer oder Teilnehmer an einem derartigen Unternehmen. Genau weiß ich das nicht. Was ich dir da erzähle, das beruht auf meinen eigenen Vermutungen und Schlüssen aus anderen Tatsachen. Der Fürst hatte ihn betört und sich in das Unternehmen mit eingedrängt. Er hatte ihn vollständig betört und sich von ihm Geld geliehen. Über das empfangene Geld hatte der Alte natürlich Urkunden. Der Fürst aber wünschte, das Darlehen nie zurückzugeben, also, nach unserer Auffassung, das Geld einfach zu stehlen. Der Alte hatte eine Tochter, und die Tochter war eine Schönheit, und in diese Tochter hatte sich ein ideal gerichteter junger Mann verliebt, so ein Gesinnungsgenosse von Schiller, ein Dichter, gleichzeitig Kaufmann, ein Phantast, kurz, ein richtiger Deutscher, ein gewisser Pfefferkuchen.«

      »Das heißt, sein Familienname war ›Pfefferkuchen‹?«

      »Na, vielleicht hieß er auch nicht Pfefferkuchen; hol ihn der Teufel; es kommt nicht darauf an. Aber der Fürst machte sich an die Tochter heran und so erfolgreich, daß sie sich ganz unsinnig in ihn verliebte. Der Fürst verfolgte damals zwei Ziele: erstens, sich der Tochter zu bemächtigen, und zweitens, die Urkunden über das dem Alten abgeborgte Geld in seine Gewalt zu bekommen. Die Schlüssel zu


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