Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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wie es ihm möglich sein sollte, sich von ihr zu trennen, und jagte auch Pfefferkuchen weg; so ein wunderlicher Kauz von Engländer war er…«

      »Ein Engländer? Aber wo trug sich denn das alles zu?«

      »Den Ausdruck ›Engländer‹ habe ich nur so zum Vergleich benutzt, und da klammerst du dich nun gleich daran! Zugetragen aber hat sich das in Santa Fé de Bogotá, vielleicht aber auch in Krakau, am wahrscheinlichsten aber im Fürstentum Nassau, das hier auf der Seltersflasche geschrieben steht, also in der Tat in Nassau; bist du nun zufrieden? Nun also, der Fürst umgarnte das Mädchen und entführte sie ihrem Vater, und auf Verlangen des Fürsten nahm das Mädchen auch einige Urkunden mit. Es gibt ja wirklich solche Liebe, Wanja! Schändlich; aber doch war es ein ehrenhaftes, edeldenkendes, hochgesinntes Mädchen. Allerdings verstand sie von solchen Papieren wohl nicht viel. Ihre einzige Sorge war: der Vater werde sie verfluchen. Aber auch hier wußte der Fürst Rat: er gab ihr ein in gesetzlicher Form abgefaßtes schriftliches Versprechen, daß er sie heiraten werde. Auf diese Art redete er ihr ein, sie würden nur wegfahren und eine Weile vergnügt umherreisen; und wenn dann der Zorn des Alten verraucht sein werde, würden sie als Vermählte zu ihm zurückkehren und ihr lebelang zu dreien leben und Geld verdienen und so weiter in infinitum. Sie lief davon, der Alte verfluchte sie und machte auch Bankrott. Nach Paris folgte ihr auch Frauenmilch nach; er hatte alles im Stich gelassen, auch sein Handelsgeschäft; er war eben furchtbar verliebt.«

      »Halt! Was für ein Frauenmilch?«

      »Na, jener … wie hieß er doch? Feuerbach … wie hieß der verdammte Kerl nur? Pfefferkuchen! Na, der Fürst konnte sie natürlich nicht heiraten: was hätte die Gräfin Chlestowa dazu gesagt? Und wie würde sich Baron Pomoikin darüber geäußert haben? Somit mußte er eine Schändlichkeit in Szene setzen. Na, und das tat er denn auch in der unverschämtesten Weise. Erstens prügelte er sie beinahe, und zweitens lud er Pfefferkuchen absichtlich zu ihr ein. Der kam denn auch und wurde der Freund des armen Mädchens; na, sie schluchzten zusammen, saßen ganze Abende allein beieinander, weinten über ihr Unglück, und er suchte sie zu trösten: es waren eben ein paar schöne, edle Seelen. Der Fürst aber arrangierte es absichtlich so, daß er sie einmal spät abends zusammen traf; er behauptete nun, sie seien intim geworden, und machte einen großen Lärm: er habe es, sagte er, mit eigenen Augen gesehen. Er stieß sie also beide aus dem Hause und fuhr selbst auf einige Zeit nach London. Sie aber war schon ihrer Entbindung nahe; bald nachdem er sie von sich gestoßen hatte, gebar sie eine Tochter … das heißt nicht eine Tochter, sondern einen Sohn, richtig, ein Söhnchen. Er wurde Wladimir getauft. Pfefferkuchen stand Pate. Na, seitdem reiste sie nun mit Pfefferkuchen. Dieser hatte ein kleines Kapital. Sie bereiste mit ihm die Schweiz, Italien … sie war in all diesen poetischen Ländern, wie sich das so gehört. Sie weinte immer, und Pfefferkuchen schluchzte; so vergingen viele Jahre, und das kleine Mädchen wuchs heran. Für den Fürsten wäre nun alles gut gewesen; nur eins war übel: das schriftliche Heiratsversprechen hatte er von ihr nicht zurückbekommen können. ›Du bist ein gemeiner Mensch‹, hatte sie ihm beim Abschied gesagt; ›du hast mich bestohlen und entehrt und verläßt mich nun. Leb wohl! Aber das Heiratsversprechen werde ich dir nicht zurückgeben. Nicht, weil ich die Absicht hätte, dich jemals zu heiraten, sondern weil du dieses Dokument fürchtest. Darum soll es, solange ich lebe, in meinen Händen bleiben.‹ Kurz, sie war hitzig geworden; der Fürst jedoch blieb ruhig. Überhaupt ist es für solche Schurken sehr vorteilhaft, wenn sie es mit sogenannten Idealisten zu tun haben. Die sind so edel, daß sie sich leicht betrügen lassen, und zweitens reagieren sie immer nur mit einer edlen, erhabenen Verachtung statt mit praktischer Anwendung des Gesetzes, auch wo eine solche möglich ist. Na, nimm zum Beispiel gleich diese Mutter: sie begnügte sich mit stolzer Verachtung, und obgleich sie jenes Dokument zurückbehalten hatte, so wußte der Fürst doch, daß sie sich eher aufhängen als dasselbe zu einem Prozeß verwenden werde; na, und so war er denn vorläufig beruhigt. Sie hatte ihm zwar bittere Worte in sein gemeines Gesicht geschleudert; aber die Sorge für ihren kleinen Wladimir lastete doch auf ihr allein, und wenn sie starb, was sollte dann aus ihm werden? Aber das überlegte sie nicht. Brüderschaft sprach ihr wohl Mut ein, stellte aber ebensowenig wie sie vernünftige Überlegungen an; sie hatten Schiller gelesen. Schließlich begann Brüderschaft zu kränkeln und starb …«

      »Du meinst Pfefferkuchen?«

      »Na ja, hol ihn der Teufel! Aber sie …«

      »Warte! Wie viele Jahre lang waren sie herumgereist?«

      »Genau zweihundert Jahre. Na, sie kehrte nun also nach Krakau zurück. Ihr Vater nahm sie nicht auf, verfluchte sie, und sie starb; der Fürst aber bekreuzigte sich vor Freude … Trinken wir ein Gläschen, Freund Wanja!«

      »Ich vermute, daß du in dieser Sache für ihn tätig bist, Masslobojew.«

      »Das möchtest du wohl durchaus wissen?«

      »Ich verstehe nur nicht, was du dabei tun kannst!«

      »Siehst du, als sie nach zehnjähriger Abwesenheit unter einem fremden Namen nach Madrid zurückkehrte, da mußten über alle diese Dinge Erkundigungen eingezogen werden: über Brüderschaft und über den Alten, und ob sie wirklich zurückgekehrt sei, und über das Kind, und ob sie gestorben sei, und ob sie keine Papiere hinterlassen habe, und so endlos weiter. Und sonst noch über dieses und jenes. Er ist ein ganz nichtswürdiger Mensch; nimm dich vor ihm in acht, Wanja! Was aber Masslobojew anlangt, so will ich dir sagen, wie du über den denken mußt: nenne ihn niemals einen Schurken! Wenn er auch ein Schurke ist (meines Erachtens gibt es keinen Menschen, der nicht ein Schurke wäre), so ist er es doch nicht dir gegenüber. Ich bin tüchtig betrunken; aber höre: wenn es dir jemals, in naher oder in ferner Zeit, jetzt oder im nächsten Jahr, scheinen sollte, daß Masslobojew in irgendwelcher Hinsicht mit List gegen dich verfahren ist (bitte, vergiß diesen Ausdruck nicht: mit List verfahren ist), so wisse, daß keine schlechte Absicht dabei gewesen ist. Masslobojew wacht über dich. Und darum gib keinem Verdacht Raum, sondern komm lieber her und sprich dich offen und freundschaftlich mit Masslobojew selbst aus. Nun, wie ist’s? Willst du jetzt trinken?«

      »Nein.«

      »Essen?«

      »Nein, lieber Freund, entschuldige mich …«

      »Na, dann mach, daß du fortkommst; es ist drei Viertel auf neun. Du bist ein hochmütiger Mensch. Jetzt ist es für dich Zeit, zu gehen.«

      »Wie? Was? Er hat sich vollgetrunken, und nun jagt er den Gast davon! Und so ist er immer! Du schämst dich aber auch gar nicht!« rief Alexandra Semjonowna beinahe weinend.

      »Ein Fußgänger ist kein Weggenosse für einen Reiter! Alexandra Semjonowna, dann werden wir beide hier zusammenbleiben und uns gegenseitig vergöttern. Er ist ein Herr mit Generalsrang! Nein, Wanja, ich habe gelogen; du bist kein Herr mit Generalsrang; aber ich bin ein Schuft! Sieh nur, wie greulich ich jetzt aussehe! Was bin ich im Vergleich mit dir? Aber verzeih mir, Wanja; brich nicht den Stab über mir; laß mich dir mein Herz ausschütten …« Er umarmte mich und brach in Tränen aus. Ich schickte mich an, fortzugehen.

      »Ach mein Gott! Und bei uns ist alles zum Abendessen fertig!« sagte Alexandra Semjonowna tiefbetrübt. »Aber am Freitag werden Sie doch zu uns kommen?«

      »Ja, ich werde kommen, Alexandra Semjonowna. Mein Wort darauf!«

      »Vielleicht schätzen Sie ihn gering, weil er so … trunksüchtig ist. Tun Sie das nicht, Iwan Petrowitsch; er ist ein guter, sehr guter Mensch, und wie gern er Sie hat! Er redet jetzt zu mir Tag und Nacht von Ihnen, immer von Ihnen. Er hat mir expreß Ihre Bücher gekauft; ich habe sie noch nicht gelesen; morgen werde ich anfangen. Aber wie werde ich mich freuen, wenn Sie herkommen! Ich bekomme ja keinen Menschen zu sehen; niemand besucht uns. Wir haben alle möglichen guten Dinge; aber wir sitzen immer allein. Jetzt habe ich dagesessen und immer zugehört, immer zugehört, wie Sie beide geredet haben; es war gar zu schön … Also auf Freitag!«

      Siebentes Kapitel

      Ich ging eilig nach Hause: Masslobojews Worte hatten auf mich einen starken Eindruck gemacht. Mir gingen Gott weiß was für Gedanken durch den Kopf … Und gerade jetzt mußte mich zu Hause ein Ereignis erwarten, das mich wie ein elektrischer Schlag erschütterte.

      Dem Tor des Hauses, in dem ich wohnte,


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