Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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folgt daraus, daß ich das geschrieben habe? Gestern habe ich dir das geschrieben, und heute haben andre Leute mir etwas geschrieben, wovon mir der Kopf brummt; so viel habe ich zu tun! Man wartet schon auf mich. Verzeih, Wanja! Alles, was ich dir als Genugtuung anbieten kann, ist die Erlaubnis, mich dafür durchzuprügeln, daß ich dich vergeblich herbemüht habe. Wenn du diese Genugtuung haben willst, so prügle mich, aber um Gottes willen recht schnell! Halte mich nicht auf; ich habe Geschäfte; man wartet auf mich …«

      »Wozu soll ich dich denn durchprügeln? Wenn dich deine Geschäfte rufen, so eile hin; eine unvorhergesehene Abhaltung kann jedem Menschen vorkommen. Nur …«

      »Nein, von diesem ›nur‹ werde ich schon noch mit dir reden«, unterbrach er mich, indem er ins Vorzimmer lief und sich den Mantel anzog (ich folgte ihm und zog mich ebenfalls wieder an). »Ich habe auch eine Angelegenheit, die dich angeht; eine sehr wichtige Angelegenheit; um ihretwillen hatte ich dich auch herbestellt; sie betrifft ganz direkt dich und deine Interessen. Aber da ich es dir jetzt in einem Augenblick nicht auseinandersetzen kann, so gib mir, bitte, dein Wort darauf, daß du heute Punkt sieben zu mir kommen wirst, nicht früher und nicht später. Ich werde zu Hause sein.«

      »Heute«, erwiderte ich unentschlossen, »weißt du, lieber Freund, heute abend wollte ich eigentlich woanders hingehen …«

      »Dann geh jetzt gleich dahin, mein Bester, wo du am Abend hingehen wolltest, und komm am Abend zu mir! Denn du kannst dir gar nicht vorstellen, Wanja, was für Dinge ich dir mitzuteilen habe.«

      »Nun, meinetwegen, meinetwegen; was kann das nur sein? Ich muß gestehen, du hast mich neugierig gemacht.«

      Unterdessen traten wir aus dem Tor des Hauses und blieben auf dem Trottoir stehen.

      »Also, wirst du kommen?« fragte er im Ton dringlicher Bitte.

      »Ich habe ja schon gesagt; daß ich kommen werde.«

      »Nein, gib mir dein Ehrenwort!«

      »Nanu! Was bist du für ein wunderlicher Mensch! Nun also, Ehrenwort!«

      »Sehr nett und edel von dir! Nach welcher Seite gehst du?«

      »Dorthin«, antwortete ich, nach rechts zeigend.

      »Na, und ich muß hierhin«, erwiderte er, nach links zeigend. »Adieu, Wanja. Vergiß nicht: um sieben Uhr!«

      ›Sonderbar!‹ dachte ich, während ich ihm nachsah.

      Am Abend hatte ich bei Natascha sein wollen. Aber da ich jetzt Masslobojew mein Wort gegeben hatte, so beschloß ich, mich jetzt gleich zu ihr zu begeben. Ich war überzeugt, daß ich Aljoscha bei ihr finden würde. Er war tatsächlich da und freute sich sehr, als ich eintrat.

      Er war gegen Natascha sehr liebenswürdig und außerordentlich zärtlich und wurde infolge meiner Ankunft ganz vergnügt. Natascha suchte zwar heiter zu scheinen, aber es war deutlich, daß sie sich Zwang antat. Ihr Gesicht sah kränklich und blaß aus; sie hatte in der Nacht schlecht geschlafen. Aljoscha gegenüber zeigte sie eine erzwungene Freundlichkeit.

      Aljoscha redete und erzählte zwar viel, anscheinend in der Absicht, sie aufzuheitern und ihren unwillkürlich ernst zusammengedrückten Lippen ein Lächeln abzugewinnen, aber er vermied es sichtlich, im Gespräch Katja und seinen Vater zu erwähnen. Wahrscheinlich war ihm sein gestriger Versöhnungsversuch mißlungen.

      »Weißt du was?« flüsterte mir Natascha eilig zu, als er für einen Augenblick hinausgegangen war, um Mawra etwas zu sagen. »Er möchte sehr gern von mir weggehen; aber er fürchtet sich. Und ich selbst fürchte mich, ihm zu sagen, daß er fortgehen möchte, weil er dann womöglich absichtlich nicht fortgeht; und am allermeisten fürchte ich, daß er sich unbehaglich fühlt und infolgedessen seine Liebe zu mir ganz erkaltet! Was soll ich nur tun?«

      »Mein Gott, in was für eine Lage bringt ihr euch selbst! Und wie argwöhnisch seid ihr; wie paßt ihr einer auf den andern auf! Sprecht euch doch einfach aus, und damit fertig! Diese Situation wird vielleicht zur Folge haben, daß er sich tatsächlich unbehaglich fühlt.«

      »Was soll ich nur tun?« rief sie ängstlich.

      »Warte, ich werde euch die Sache in Ordnung bringen …«

      Ich ging in die Küche unter dem Vorwand, Mawra zu bitten, sie möchte mir den einen meiner Überschuhe, der sehr schmutzig geworden war, abwischen.

      »Nur recht vorsichtig, Wanja!« rief Natascha mir nach.

      Kaum war ich zu Mawra in die Küche gekommen, als Aljoscha, wie wenn er auf mich gewartet hätte, auf mich zustürzte.

      »Bester Iwan Petrowitsch, was soll ich nur anfangen? Raten Sie mir: ich habe schon gestern mein Wort gegeben, heute zu Katja zu kommen, gerade zu dieser Tageszeit. Ich kann doch nicht ausbleiben! Ich liebe Natascha unsäglich und bin bereit, für sie durchs Feuer zu gehen; aber sagen Sie selbst, den Verkehr dort ganz aufzugeben, das ist doch unmöglich …«

      »Nun, dann fahren Sie doch hin!«

      »Aber was wird Natascha dazu sagen? Es wird sie sehr kränken. Iwan Petrowitsch, helfen Sie mir irgendwie aus der Verlegenheit! …«

      »Meiner Ansicht nach ist es das beste, wenn Sie hinfahren. Sie wissen, wie sehr Natascha Sie liebt: sie wird die Empfindung haben, daß Sie sich bei ihr unbehaglich fühlen und nur wider Ihren Willen bei ihr bleiben. Das beste ist, man benimmt sich ganz natürlich. Aber kommen Sie; ich werde Ihnen behilflich sein.«

      »Liebster Iwan Petrowitsch! Wie gut Sie sind!«

      Wir gingen hinein; einen Augenblick darauf sagte ich zu ihm:

      »Ich habe soeben Ihren Vater gesehen.«

      »Wo?« rief er erschrocken.

      »Auf der Straße, zufällig. Er hielt mich für einen Augenblick an und bat mich nochmals, mit ihm näher bekannt zu werden. Er fragte nach Ihnen: ob ich nicht wüßte, wo Sie jetzt wären; er wünsche sehr, Sie zu sehen, um Ihnen etwas zu sagen.«

      »Ach, Aljoscha, fahre doch hin und geh zu ihm!« fiel Natascha ein, die begriff, worauf ich hinauswollte.

      »Aber … wo werde ich ihn denn jetzt finden? Ist er zu Hause?«

      »Nein, ich besinne mich, daß er sagte, er werde die Gräfin besuchen.«

      »Nun, wie kann ich dann also …«, sagte Aljoscha naiv, indem er Natascha traurig ansah.

      »Ach, Aljoscha, was ist denn dabei!« erwiderte sie. »Willst du denn wirklich diese Bekanntschaft ganz abbrechen, um mich zu beruhigen? Das wäre ja kindisch. Erstens ist das unmöglich, und zweitens wäre es von dir geradezu undankbar gegen Katja. Ihr seid Freunde; solche Bande darf man nicht mit rauher Hand zerreißen. Und schließlich beleidigst du mich einfach, wenn du meinst, ich wäre so eifersüchtig. Fahre hin, fahre gleich hin; ich bitte dich darum! Auch deinen Vater wirst du dadurch beruhigen.«

      »Natascha, du bist ein Engel, und ich bin nicht deinen kleinen Finger wert!« rief Aljoscha voller Entzücken und voller Reue aus. »Du bist so gut, und ich … ich … nun höre nur: ich hatte soeben dort in der Küche Iwan Petrowitsch gebeten, er möchte mir dazu verhelfen, daß ich von dir wegfahren könnte. Und da hat er dies ausgesonnen. Aber verurteile mich nicht, gute, liebe Natascha! Meine Schuld ist nicht so überaus schwer; denn ich liebe dich tausendmal mehr als alles auf der Welt. Und da ist mir ein neuer Gedanke gekommen: ich will alles Katja entdecken und ihr unverzüglich alles, was gestern geschehen ist, und unsere ganze jetzige Situation auseinandersetzen. Sie wird schon etwas zu unserer Rettung ersinnen; sie ist uns von ganzer Seele ergeben …«

      »Nun, dann geh!« antwortete Natascha lächelnd. »Und noch eins, lieber Aljoscha: ich möchte gern selbst Katjas Bekanntschaft machen. Wie läßt sich das wohl einrichten?«

      Aljoschas Entzücken kannte keine Grenzen. Er erging sich sofort in Vorschlägen, wie die Bekanntschaft zu ermöglichen sei. Schließlich machte er sich die Sache sehr leicht: Katja werde einen Weg ausfindig machen. Er setzte diesen seinen Gedanken mit Wärme und Eifer auseinander. Er versprach, heute noch Antwort zu bringen, in zwei Stunden, und dann den ganzen Abend bei Natascha zu bleiben.

      »Wirst du wirklich kommen?«


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