Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


Скачать книгу
mich in dieser kurzen Fassung nicht verstehen«, sagte Natascha. »Sogar er, Aljoscha hier, hat Sie ebenso durchschaut wie ich, und doch haben wir beide nicht miteinander gesprochen und uns nicht einmal gesehen! Auch er hat die Empfindung gehabt, daß Sie mit uns ein unwürdiges, beleidigendes Spiel treiben; und doch liebt er Sie und glaubt an Sie wie an eine Gottheit! Sie haben nicht für nötig gehalten, ihm gegenüber größere Vorsicht und List anzuwenden; Sie rechneten darauf, daß er nichts merken werde. Aber er hat ein feinfühliges Herz, und Ihre Worte, Ihr ›Ton‹, wie er sagt, haben ihm einen dauernden Eindruck gemacht.«

      »Ich verstehe nichts davon, gar nichts!« wiederholte der Fürst, indem er sich mit einer Miene größter Verwunderung an mich wandte, wie wenn er mich als Zeugen anrufen wollte. Er war gereizt und heftig erregt. »Sie sind argwöhnisch und befinden sich in Aufregung«, fuhr er, zu Natascha gewendet, fort. »Sie sind einfach eifersüchtig auf Katerina Fjodorowna und neigen daher dazu, die ganze Welt und in erster Linie mich anzuklagen. Gestatten Sie, daß ich Ihnen alles frei heraus sage: man muß daraus eine eigentümliche Meinung über Ihren Charakter gewinnen. Ich bin an solche Szenen nicht gewöhnt; ich würde nach dem Vorangegangenen keinen Augenblick länger hierbleiben, wenn es sich nicht um das Interesse meines Sohnes handelte… Ich warte immer noch, ob Sie nicht die Gewogenheit haben wollen, sich deutlicher auszusprechen.«

      »Also Sie beharren auf diesem Verlangen und wollen mich nicht in dieser kurzen Fassung verstehen, trotzdem Sie alles ganz genau wissen? Sie wollen durchaus, daß ich Ihnen alles offen sage?«

      »Das und nichts anderes ist es, was ich wünsche.«

      »Gut denn; so hören Sie!« rief Natascha, deren Augen vor Zorn funkelten. »Ich werde alles sagen, alles!«

      Drittes Kapitel

      Sie stand auf und begann stehend zu reden, ohne dies in ihrer Aufregung zu bemerken. Nachdem der Fürst ein Weilchen zugehört hatte, erhob er sich ebenfalls von seinem Platz. Die ganze Szene wurde sehr feierlich.

      »Sie werden sich wohl selbst an Ihre Worte am Dienstag erinnern«, begann Natascha. »Sie sagten: ›Ich brauche Geld, einen gebahnten Weg, eine bedeutende Stellung in der vornehmen Gesellschaft‹; erinnern Sie sich?«

      »Ja.«

      »Nun also, um dieses Geld und all diese Vorteile zu erlangen, die Ihnen aus den Händen zu entschlüpfen drohten, kamen Sie am Dienstag hierher und veranstalteten diese Verlobung, weil Sie darauf spekulierten, daß dieser Scherz Ihnen behilflich sein werde, das fest zu ergreifen, was Ihnen entglitt.«

      »Natascha!« rief ich; »bedenke, was du sprichst!«

      »Ein Scherz! Eine Spekulation!« wiederholte der Fürst mit der Miene tief gekränkter Würde.

      Aljoscha saß da, von Kummer niedergedrückt, und sah dem Vorgang zu, fast ohne etwas zu begreifen.

      »Ja, ja, unterbrechen Sie mich nicht! Ich habe mir fest vorgenommen, alles auszusprechen«, fuhr Natascha in gereiztem Ton fort. »Sie erinnern sich selbst: Aljoscha gehorchte Ihnen nicht. Ein halbes Jahr lang hatten Sie sich mit ihm abgemüht, um ihn von mir abzuziehen. Er fügte sich Ihnen nicht. Und auf einmal trat für Sie der Augenblick ein, wo die Zeit drängte. Wenn Sie die günstige Gelegenheit vorübergehen ließen, so glitten Ihnen die Braut und das Geld, vor allen Dingen das Geld, ganze drei Millionen Mitgift, aus den Fingern. Es blieb nur ein Mittel: Aljoscha mußte diejenige liebgewinnen, die Sie ihm zur Braut bestimmt hatten; Sie sagten sich, wenn er sich in sie verliebe, werde er sich vielleicht von mir lossagen …«

      »Natascha, Natascha!« rief Aljoscha gramvoll; »was redest du!«

      »So verfuhren Sie denn auch«, fuhr sie fort, ohne sich durch Aljoschas Zwischenruf aufhalten zu lassen; »aber da wiederholte sich die alte Geschichte: es hätte sich alles arrangieren lassen; aber ich bildete wieder das Hindernis! Nur ein Umstand konnte bei Ihnen Hoffnung erwecken: als erfahrener, schlauer Mensch hatten Sie vielleicht schon damals bemerkt, daß Aljoscha das bisherige enge Verhältnis zu mir manchmal als drückende Last empfand. Es konnte Ihnen nicht entgehen, daß er anfing, mich zu vernachlässigen, sich bei mir zu langweilen, und daß er mitunter fünf Tage lang nicht zu mir kam. ›Vielleicht wird er ihrer ganz überdrüssig werden und sie sitzenlassen‹, dachten Sie, als plötzlich am Dienstag Aljoschas energischer Schritt Sie vollständig überraschte. Was sollten Sie nun tun?«

      »Erlauben Sie«, rief der Fürst, »das Gegenteil ist richtig; diese Tatsache …«

      »Ich sage«, unterbrach ihn Natascha nachdrücklich, »Sie fragten sich an diesem Abend: ›Was ist jetzt zu tun?‹ und entschieden sich dafür, ihm die Erlaubnis zur Heirat mit mir zu geben, nicht in Wirklichkeit, sondern nur äußerlich, mit Worten, nur um ihn zu beruhigen. Den Hochzeitstermin, meinten Sie, könne man ja beliebig weit hinausschieben; und inzwischen könnte ein neue Liebe keimen; das hatten Sie bemerkt. Und so gründeten Sie denn auf den Beginn dieser neuen Liebe Ihren ganzen Plan.«

      »Romane, Romane!« sagte der Fürst halblaut wie für sich. »Das einsame Leben, ein Hang zur Grübelei und das Lesen von Romanen!«

      »Ja, auf diese neue Liebe gründeten Sie Ihren ganzen Plan«, wiederholte Natascha, ohne auf die Worte des Fürsten zu hören und sie irgendwie zu beachten; sie war wie im Fieber und verlor immer mehr die Selbstbeherrschung. »Und was für Chancen hatte nicht diese neue Liebe! Sie hatte ja schon damals begonnen, als er noch nicht alle Vorzüge dieses jungen Mädchens kennengelernt hatte! In eben dem Augenblick, als er an jenem Abend diesem jungen Mädchen entdeckte, daß er sie nicht lieben könne, weil seine Pflicht und eine andere Liebe es ihm verböten, in diesem Augenblick bekundete das junge Mädchen auf einmal ihm gegenüber eine so edle Gesinnung, soviel Mitgefühl mit ihm und ihrer Nebenbuhlerin, eine so prächtige Fähigkeit, zu verzeihen! Vorher hatte er zwar schon ihre Schönheit bewundert; aber er hatte bis auf diesen Augenblick nicht gedacht, daß sie eine so herrliche Seele hätte! Und als er damals zu mir kam, redete er nur von ihr; sie hatte ihn vollständig bezaubert. Ja, er mußte gleich am folgenden Tag unbedingt das unabweisbare Bedürfnis empfinden, dieses schöne Wesen wiederzusehen, sei es auch nur aus Dankbarkeit. Ja, und warum hätte er auch nicht zu ihr fahren sollen? Die andere, seine bisherige Geliebte, litt ja jetzt nicht mehr; ihr Schicksal war entschieden; ihr wollte er ja sein ganzes Leben widmen; der neuen sollte nur ein kurzer Augenblick zugedacht sein … Und wie undankbar wäre es von dieser Natascha, wenn sie der neuen aus Eifersucht nicht einmal diesen kurzen Augenblick gönnte! Und so wurde dieser Natascha statt eines kurzen Augenblicks unvermerkt ein Tag und ein zweiter, ein dritter entzogen … In der Zwischenzeit aber zeigte sich ihm das junge Mädchen von einer ganz unerwarteten, neuen Seite; sie war so edeldenkend, so enthusiastisch und zugleich ein so naives Kind und paßte daher in ihrem Charakter sehr gut zu ihm. Sie schwuren einander Freundschaft und Brüderschaft und wollten sich lebenslänglich nicht voneinander trennen. In einem fünf-bis sechsstündigen Gespräch erschloß sich ihr seine ganze Seele und nahm neue Empfindungen auf, und sein ganzes Herz gab sich ihr hin … ›Es wird endlich die Zeit kommen‹, dachten Sie, ›wo er seine frühere Liebe mit seinen neuen, frischen Gefühlen vergleichen wird: dort ist alles längst bekannt, alltäglich; dort ist man so ernst und anspruchsvoll; dort ist man eifersüchtig und schilt und weint; und wenn man selbst anfängt, mit ihm zu scherzen und zu spaßen, so behandelt man ihn dabei nicht wie einen Gleichgestellten, sondern wie ein Kind. Und die Hauptsache ist: alles ist schon so gewöhnlich, ohne den Reiz der Neuheit …‹«

      Die Tränen und ein schmerzlicher Krampf drohten sie zu ersticken; aber Natascha fand noch für einen Augenblick Kraft.

      »Und was dann weiter? Das Weitere konnte man der Zeit überlassen; die Hochzeit mit Natascha war ja nicht auf einen nahen Termin angesetzt; es lag noch viel Zeit dazwischen; da konnte sich alles ändern. Und dazu konnten Ihre Worte, Ihre Anspielungen, Ihre Ausdeutungen, Ihre Redekunst mitwirken. Man konnte diese hinderliche Natascha auch verleumden, sie in ein unvorteilhaftes Licht stellen; wie sich das alles im einzelnen entwickeln werde, war ungewiß; aber der Sieg gehörte Ihnen! Aljoscha, schilt mich nicht, lieber Freund! Sage nicht, daß ich für deine Liebe kein Verständnis hätte, sie nicht zu würdigen wisse. Ich weiß ja, daß du mich auch jetzt noch liebst und in diesem Augenblick meine Klagen vielleicht für unbegründet hältst. Ich weiß, daß ich sehr, sehr übel daran getan habe, jetzt dies alles auszusprechen.


Скачать книгу