Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

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erwiderte der Fürst. »Was du uns da vorschlägst, ist sehr verständig. Vielleicht hätten wir das von vornherein tun sollen«, fügte er mit einem Blick auf Natascha hinzu.

      »Sei also nicht böse über meine vollständige Offenherzigkeit!« begann Aljoscha. »Du wünschst sie selbst, verlangst sie selbst. So höre denn! Du hast deine Einwilligung zu meiner Heirat mit Natascha gegeben; du hast uns dieses Glück gewährt und zu diesem Zweck dich selbst überwunden. Du bist großmütig gewesen, und wir alle haben dein edles Verhalten gebührend gewürdigt. Aber warum deutest du mir denn jetzt fortwährend mit einer Art von Schadenfreude an, daß ich noch ein lächerlicher Knabe und für die Stellung eines Ehemannes ungeeignet sei? Ja noch mehr: du legst es darauf an, mich zu verhöhnen, mich zu demütigen, mich sogar in Nataschas Augen zu verunglimpfen. Es ist dir immer eine große Freude, wenn du mich von einer komischen Seite zeigen kannst; das habe ich nicht erst jetzt bemerkt, sondern schon lange. Als ob du es besonders darauf abgesehen hättest, uns zu beweisen, daß unsere Ehe lächerlich und absurd sei und wir nicht zueinander paßten. Gerade als ob du selbst nicht daran glaubtest, daß das zustande kommen werde, was du doch selbst für uns in Aussicht genommen hast; als ob du das alles nur für einen Scherz, für einen amüsanten Einfall, für ein komisches Vaudeville hieltest … Ich schließe das ja nicht nur aus deinen heutigen Worten. Gleich an jenem Abend, am Dienstag, als ich von hier zu dir zurückkehrte, hörte ich aus deinem Mund einige merkwürdige Ausdrücke, die mich verwunderten und geradezu kränkten. Auch als du am Mittwoch abreistest, machtest du einige Anspielungen auf unsere jetzige Lage und sprachst auch von Natascha, zwar nicht in beleidigender Weise, nein, aber doch so, wie ich es aus deinem Mund lieber nicht gehört hätte, gar zu leichtfertig, lieblos, respektlos. Es ist schwer, das darzulegen; aber der Ton war nicht mißverständlich; mein Herz vernahm ihn. Sage mir doch, daß ich mich irre! Belehre mich eines Besseren, beruhige mich und… und auch sie; denn du hast auch sie gekränkt. Das merkte ich beim ersten Blick, als ich hier eintrat…«

      Aljoscha hatte das mit warmer Empfindung und in festem Ton gesprochen. Natascha hatte ihm mit einer Art von Triumph zugehört und in starker Erregung und mit glühendem Gesicht ein paarmal während seiner Rede vor sich hingesagt: »Ja, ja, so ist es!« Der Fürst war verlegen.

      »Lieber Sohn«, entgegnete er, »ich kann mich natürlich nicht auf alles besinnen, was ich zu dir gesagt habe; aber es ist sehr sonderbar, wenn du meine Worte in einem solchen Sinn aufgefaßt hast. Ich bin bereit, dich eines Besseren zu belehren, soweit ich nur irgend kann. Wenn ich jetzt gelacht habe, so ist auch das begreiflich. Ich sage dir, daß ich mit meinem Lachen sogar meine schmerzliche Empfindung verhüllen wollte. Wenn ich mir jetzt vorstelle, daß du dich bald anschickst, ein Ehemann zu sein, so erscheint mir das jetzt völlig unmöglich, absurd, ja, nimm es mir nicht übel, sogar lächerlich. Du machst mir dieses Lachen zum Vorwurf; aber ich sage dir, daß es ganz und gar durch dich herbeigeführt ist. Eine gewisse Schuld trage allerdings auch ich: vielleicht habe ich in der letzten Zeit zu wenig auf dich achtgegeben und daher erst jetzt, heute abend, erkannt, was für einer Handlungsweise du fähig bist. Jetzt wird mir geradezu bange, wenn ich an dein künftiges Leben mit Natalja Nikolajewna denke: ich habe mich übereilt; ich sehe, daß ihr sehr wenig zusammenpaßt. Jede Liebe geht vorüber; aber die Disharmonie bleibt lebenslänglich. Ich will gar nicht einmal von deinem eigenen Schicksal reden; aber wenn anders du ehrliche Absichten hast, so bedenke, daß du mit dir zusammen auch Natalja Nikolajewna zugrunde richtest, entschieden zugrunde richtest! Da hast du nun jetzt eine ganze Stunde lang von Liebe zur Menschheit, von Adel der Gesinnung, von hochherzigen Menschen, mit denen du bekannt geworden bist, gesprochen; aber frage Iwan Petrowitsch, was ich vorhin zu ihm gesagt habe, als wir auf dieser abscheulichen Treppe zum vierten Stock hinaufstiegen und hier an der Tür stehenblieben und Gott für die Rettung unseres Lebens und unserer Beine dankten! Weißt du, welcher Gedanke mir da unwillkürlich durch den Kopf ging? Ich wunderte mich, wie du bei deiner großen Liebe zu Natalja Nikolajewna es dulden kannst, daß sie in einer solchen Wohnung lebt. Hast du dir denn gar nicht gesagt, daß, wenn du über keine Mittel verfügst und nicht die Fähigkeit besitzt, deine Pflichten zu erfüllen, daß du dann auch nicht berechtigt bist, ein Ehemann zu sein, nicht berechtigt bist, irgendwelche Pflichten auf dich zu nehmen? Die Liebe allein genügt nicht; die Liebe zeigt sich in Taten; aber so zu denken wie du: ›Magst du auch mit mir leiden; aber lebe dennoch mit mir!‹, das ist nicht human, nicht edel! Von allgemeiner Liebe zu reden, sich für allgemein menschliche Fragen zu begeistern und gleichzeitig Verbrechen gegen die Liebe zu begehen und es gar nicht einmal zu bemerken – ein solches Verhalten ist mir unverständlich! Unterbrechen Sie mich nicht, Natalja Nikolajewna, lassen Sie mich ausreden; es ist mir so weh ums Herz, und ich muß mich ganz aussprechen. Du hast gesagt, Aljoscha, du habest dich in diesen Tagen für alles, was edel, schön und ehrenhaft ist, begeistert und hast es mir zum Vorwurf gemacht, daß in unserem Gesellschaftskreis solche Begeisterung nicht zu finden sei, sondern nur trockene Vernunft. Nun sieh, was du getan hast: du hast dich für das Hohe und Schöne begeistert und hast trotz allem, was hier am Dienstag geschehen ist, vier Tage lang diejenige vernachlässigt, die, wie man meinen sollte, dir teurer sein müßte als alles auf der Welt! Du hast sogar bekannt, daß du in dem Streit mit Katerina Fjodorowna behauptet habest, Natalja Nikolajewna liebe dich so sehr und sei so großmütig, daß sie dir dein Verhalten verzeihen werde. Aber welches Recht hast du, auf eine solche Verzeihung zu rechnen und darauf zu wetten? Hast du denn wirklich kein einziges Mal daran gedacht, wie viele Qualen, wie viele bittere Gedanken, wieviel Zweifel und wieviel Argwohn du in diesen Tagen bei Natalja Nikolajewna hervorriefst? Hattest du deswegen, weil du dich dort für irgendwelche neuen Ideen begeistertest, ein Recht, deine allererste Pflicht zu vernachlässigen? Verzeihen Sie mir, Natalja Nikolajewna, daß ich meinem Wort untreu geworden bin. Aber die gegenwärtige Angelegenheit ist von ernsterer Bedeutung als dieses Versprechen; Sie werden das gewiß selbst einsehen… Weißt du wohl, Aljoscha, daß ich Natalja Nikolajewna in so tiefem Leid angetroffen habe, daß mir daraus verständlich wurde, in welche Hölle du diese vier Tage für sie verwandelt hast, die vielmehr die glücklichsten Tage ihres Lebens hätten sein sollen? Eine solche Handlungsweise auf der einen Seite und Worte, Worte und immer wieder Worte auf der anderen – habe ich da nicht recht? Und bei alledem bringst du es fertig, mich zu beschuldigen, während du doch die ganze Schuld trägst?«

      Der Fürst war zu Ende. Er war sogar entzückt von seiner rednerischen Leistung und vermochte sein Triumphgefühl vor uns nicht zu verbergen. Als Aljoscha von Nataschas Leid hörte, blickte er sie mit schmerzlichem Kummer an; aber Natascha hatte bereits ihren Entschluß gefaßt.

      »Laß es gut sein, Aljoscha, gräme dich nicht!« sagte sie. »Andere sind schuldiger als du. Setz dich hin und höre zu, was ich deinem Vater jetzt gleich sagen werde. Es ist Zeit, ein Ende zu machen!«

      »Sprechen Sie sich deutlich aus, Natalja Nikolajewna!« fiel der Fürst ein; »ich bitte Sie dringend darum. Schon zwei Stunden lang höre ich diese rätselhaften Andeutungen. Das wird unerträglich, und ich muß gestehen, daß ich einen solchen Empfang hier nicht erwartet hatte.« »Das mag sein; denn Sie meinten, Sie würden uns durch Ihre Worte bezaubern, so daß wir Ihre geheimen Absichten nicht merkten. Was soll ich Ihnen denn erst noch deutlich machen? Sie wissen ja selbst alles und verstehen alles. Aljoscha hat recht. Was Sie vor allen Dingen wünschen ist: uns zu trennen. Sie haben alles vorher gewußt, was sich hier nach jenem Dienstagabend ereignen würde, und es sich sozusagen an den Fingern berechnet. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß Sie es mit mir und der von Ihnen in die Wege geleiteten Eheschließung nicht ernst meinen. Sie treiben mit uns Ihren Scherz, Ihr Spiel und haben dabei eine bewußte Absicht. Ihr Spiel ist gut berechnet. Aljoscha hatte recht, als er Ihnen vorwarf, Sie betrachteten diese ganze Angelegenheit wie eine Vaudeville. Sie sollten sich vielmehr über Aljoschas Benehmen freuen, statt ihm Vorwürfe zu machen; denn er hat unwissentlich alles erfüllt, was Sie von ihm erwarteten, vielleicht sogar noch mehr.«

      Ich war starr vor Staunen. Ich hatte zwar erwartet, daß sich an diesem Abend eine Katastrophe ereignen werde; aber doch versetzten Aljoschas schroffe Offenherzigkeit und ihr unverhohlen verächtlicher Ton mich in die äußerste Verwunderung! ›Also weiß sie tatsächlich etwas‹, dachte ich, ›und hat sich ohne Verzug zum Bruch entschlossen. Vielleicht hat sie sogar den Fürsten mit Ungeduld erwartet, um ihm mit einemmal alles ins Gesicht zu sagen.‹ Der Fürst wurde ein wenig blaß. Aljoschas Miene drückte naive Furcht und qualvolle Erwartung aus. »Bedenken Sie, was für


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