Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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mir helfen werde.«

      »Wollen Sie etwa damit andeuten, daß ich absichtlich darauf ausginge, zu bewirken, daß er Ihrer überdrüssig werde? Sie beleidigen mich, Natalja Nikolajewna!«

      »Ich bemühe mich, möglichst wenig in Andeutungen zu sprechen, wen auch immer ich mir gegenüber habe«, erwiderte Natascha. »Ich bin vielmehr immer bestrebt, mich recht klar auszudrücken, und vielleicht werden Sie sich noch heute davon überzeugen. Beleidigen wollte ich Sie nicht; das ist ausgeschlossen, schon deswegen, weil Sie sich durch meine Worte, mag ich sagen, was ich will, nicht beleidigt fühlen können. Davon bin ich fest überzeugt, da ich unsere wechselseitigen Beziehungen völlig klar erkenne: Sie können ja diese Beziehungen nicht ernst nehmen, nicht wahr? Sollte ich Sie aber wirklich beleidigt haben, so bin ich bereit, um Verzeihung zu bitten, um Ihnen gegenüber alle Pflichten der Gastfreundschaft zu erfüllen.«

      Trotz des leichten, ja scherzhaften Tones, in welchem Natascha dies mit einem Lächeln auf den Lippen vorbrachte, hatte ich sie doch noch nie so gereizt gesehen. Erst jetzt begriff ich, wie weh ihr in diesen drei Tagen ums Herz gewesen war. Ihre rätselhaften Worte, daß sie jetzt alles wisse und alles durchschaut habe, erschreckten mich; sie bezogen sich direkt auf den Fürsten. Sie hatte ihre Meinung über ihn geändert und betrachtete ihn als ihren Feind; das war augenscheinlich. Die üble Wendung, die ihre Beziehungen zu Aljoscha genommen hatten, führte sie offenbar auf den Einfluß des Fürsten zurück und hatte vielleicht guten Grund dazu. Ich fürchtete, es könne zwischen ihnen zu einer heftigen Szene kommen. Die wahre Bedeutung ihres scherzhaften Tones lag gar zu offen am Tage, war gar zu wenig verhüllt. Ihre letzten Worte an den Fürsten, er könne ihre wechselseitigen Beziehungen nicht ernst nehmen, die Redensart von der Bitte um Verzeihung wegen der Pflicht der Gastfreundschaft, ihre wie eine Drohung klingende Ankündigung, sie werde ihm noch an diesem Abend den Beweis dafür liefern, daß sie deutlich zu reden verstehe: dies alles war so offensiv und so wenig maskiert, daß der Fürst es unmöglich mißverstehen konnte. Ich sah, daß in seinem Gesicht eine Veränderung vorging; aber er verstand es, sich zu beherrschen. Er stellte sich sogleich, als habe er diese Worte nicht beachtet, ihren wirklichen Sinn nicht verstanden, und half sich selbstverständlich mit einem Scherz heraus.

      »Gott soll mich davor bewahren, eine Bitte um Entschuldigung zu verlangen!« erwiderte er lachend. »Das lag überhaupt nicht in meiner Absicht; und von einer Frau zu verlangen, daß sie mich um Entschuldigung bitte, das entspricht nicht meinen Grundsätzen. Schon als wir uns das erstemal sahen, habe ich Ihnen im voraus meinen Charakter geschildert, und deshalb werden Sie mir hoffentlich eine Bemerkung nicht übelnehmen, um so weniger, da sie sich auf die Frauen im allgemeinen bezieht; auch Sie werden dieser Bemerkung wahrscheinlich zustimmen«, fuhr er, sich liebenswürdig zu mir wendend, fort. »Ich habe nämlich beobachtet, daß es im weiblichen Charakter eine bestimmte Eigenheit gibt: wenn eine Frau sich irgendwie schuldig fühlt, so wird sie eher dazu bereit sein, in der Folgezeit ihre Schuld durch tausend Liebenswürdigkeiten wieder gutzumachen, als im gegenwärtigen Augenblick, im Augenblick ihrer evidenten Überführung, ihre Schuld zu bekennen und um Verzeihung zu bitten. Daher wünsche ich, selbst angenommen, daß ich von Ihnen beleidigt bin, dennoch jetzt, im gegenwärtigen Augenblick, absichtlich keine Bitte um Entschuldigung; es ist für mich vorteilhafter zu warten, bis Sie später in Erkenntnis Ihres Fehlers ihn mir gegenüber durch tausend Liebenswürdigkeiten werden wieder gutmachen wollen. Und Sie haben eine so gute, reine, frische, offene Seele, daß der Augenblick, wo Sie bereuen werden, ein ganz entzückender sein wird. Sagen Sie mir, statt um Entschuldigung zu bitten, jetzt lieber: kann ich gleich heute durch irgend etwas Ihnen den Beweis erbringen, daß ich Ihnen gegenüber weit offener und aufrichtiger verfahre, als Sie es von mir glauben?«

      Natascha errötete. Auch ich hatte die Empfindung, daß die Antwort des Fürsten in gar zu ungeniertem, sogar lässigem Ton gegeben war, ja, daß darin sogar eine unziemliche Spötterei lag.

      »Sie wollen mir beweisen, daß Sie gegen mich offen und ehrlich sind?« fragte Natascha, ihn mit herausfordernder Miene anblickend.

      »Ja.«

      »Dann erfüllen Sie mir eine Bitte!«

      »Ich verspreche es Ihnen im voraus.«

      »Meine Bitte ist: Aljoscha meinetwegen mit keinem Wort, mit keiner Andeutung aufzuregen, weder heute noch morgen. Keinen Vorwurf deswegen, weil er mich vergessen hat; keine Strafpredigt! Ich will ihn absichtlich so empfangen, als ob zwischen uns nichts vorgefallen sei; er soll von meinen Gefühlen nichts merken. Darauf lege ich Wert. Geben Sie mir Ihr Wort darauf?«

      »Mit dem größten Vergnügen«, antwortete der Fürst; »und erlauben Sie mir, aus tiefster Überzeugung hinzuzufügen, daß ich nur selten bei jemand eine so vernünftige, klare Auffassung auf diesem Gebiet angetroffen habe … Aber da ist Aljoscha, wie es scheint.«

      Wirklich wurde im Vorzimmer Geräusch vernehmbar. Natascha fuhr zusammen und schien sich auf etwas vorzubereiten. Der Fürst saß mit ernster Miene da und wartete, was nun kommen werde; er betrachtete Natascha unverwandt. Die Tür öffnete sich, und Aljoscha kam zu uns hereingeflogen.

      Zweites Kapitel

      Ja, er kam geradezu hereingeflogen, mit strahlendem Gesicht, fröhlich und vergnügt. Man sah ihm an, daß er diese vier Tage heiter und glücklich verlebt hatte. Es stand ihm auf dem Gesicht geschrieben, daß er uns etwas mitteilen wollte.

      »Da bin ich!« rief er mit schallender Stimme. »Ich, der von allen zuerst hätte hiersein sollen. Aber ihr werdet sogleich alles erfahren, alles, alles! Vorhin, Papa, hatten wir keine Zeit, auch nur ein paar Worte miteinander zu sprechen; und ich hatte dir doch soviel zu sagen. Nur zu Zeiten, wo er in besonders guter Stimmung ist, erlaubt er mir, ihn zu duzen«, unterbrach er sich, zu mir gewendet; »zu anderen Zeiten verbietet er es mir! Und was für einer eigentümlichen Taktik er sich da bedient: er fängt selbst an, zu mir ›Sie‹ zu sagen. Aber vom heutigen Tag an will ich, daß er immer in guter Stimmung sei, und ich werde das bewirken! Überhaupt habe ich mich in diesen vier Tagen verändert, mich völlig, völlig verändert, und ich werde euch alles erzählen. Aber das nachher! Jetzt die Hauptsache: da ist sie, da ist sie wieder! Natascha, Geliebte, guten Abend, mein Engel!« sagte er, setzte sich neben sie und küßte ihr eifrig die Hand. »Wie habe ich mich diese Tage über nach dir gesehnt! Aber was war zu machen! Ich konnte nicht! Ich konnte es nicht ermöglichen. Du meine Liebste! Es sieht aus, als ob du ein bißchen abgemagert wärst, und du bist so blaß geworden…«

      Voller Entzücken bedeckte er ihre Hände mit Küssen und sah sie glückselig mit seinen schönen Augen an, als könne er sich an ihr gar nicht satt sehen. Ich warf einen Blick auf Natascha und erriet an ihrem Gesicht, daß wir denselben Gedanken hatten: er war völlig schuldlos. Und wann und wie hätte sich dieser Unschuldige auch schuldig machen können? Eine helle Röte ergoß sich auf einmal über Nataschas Wangen, als ob alles Blut, das sich in ihrem Herzen gesammelt hatte, plötzlich nach dem Kopf strömte. Ihre Augen blitzten, und stolz blickte sie den Fürsten an.

      »Aber wo… bist du denn… all diese Tage gewesen?« fragte sie mit mühsam zurückgehaltener, stockender Stimme. Sie atmete schwer und ungleichmäßig. Mein Gott, wie liebte sie ihn!

      »Das ist es ja eben, daß ich tatsächlich dir gegenüber schuldig zu sein scheine. Aber was sage ich ›scheine‹? Selbstverständlich bin ich schuldig, und ich weiß das selbst und bin mit diesem Bewußtsein hergekommen. Katja hat gestern und heute zu mir gesagt, es gäbe kein weibliches Wesen, das eine solche Vernachlässigung verzeihen könne (denn sie weiß alles, was sich hier bei uns am Dienstag zugetragen hat; ich habe es ihr gleich am nächsten Tag erzählt). Ich habe mich mit ihr gestritten und ihr bewiesen und gesagt, daß es doch ein solches weibliches Wesen gibt und daß es Natascha heißt und daß ihr auf der ganzen Welt vielleicht nur eines gleichkommt, nämlich Katja; und ich bin selbstverständlich in dem Bewußtsein hierhergefahren, daß ich in dem Streit recht hatte. Kann etwa ein Engel wie du seine Verzeihung verweigern? ›Er ist nicht hiergewesen; also hat ihn jedenfalls etwas gehindert; daß er aufgehört hätte, mich zu lieben, ist ausgeschlossen‹ so wird meine Natascha gedacht haben! Und wie könnte ich auch aufhören, dich zu lieben? Ist das überhaupt möglich? Mein ganzes Herz hat mir weh getan vor Sehnsucht nach dir. Aber doch bin ich schuldig! Wenn du indessen alles erfahren haben wirst, so wirst du die erste sein,


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