Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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wird Natascha mir auch nicht böse sein?«

      »Nein, warum sollte sie das?«

      »Nun ja, gewiß, warum sollte sie es? Ich werde es gleich selbst sehen; wozu frage ich erst noch?«

      Ich führte sie am Arm. Sie war ganz blaß geworden und schien sich sehr zu fürchten. Auf dem letzten Treppenabsatz blieb sie stehen, um Atem zu schöpfen; aber dann blickte sie mich an und stieg entschlossen weiter hinauf.

      An der Tür wandte sie sich noch einmal um und flüsterte mir zu: »Ich werde einfach hineingehen und ihr sagen, ich hätte ein solches Vertrauen zu ihr, daß ich ohne Besorgnisse gekommen sei … Übrigens, was rede ich erst noch? Ich bin ja überzeugt, daß Natascha das edelste Geschöpf der Welt ist. Nicht wahr?«

      Sie trat schüchtern ein, als ob sie sich einer Schuld bewußt wäre, und blickte Natalja unverwandt an, die ihr sogleich zulächelte. Da trat Katja schnell an sie heran, faßte sie bei den Händen und drückte ihre kleinen, vollen Lippen auf Nataschas Mund. Dann, ehe sie noch ein Wort zu Natascha gesagt hatte, wandte sie sich in ernstem und sogar strengem Ton zu Aljoscha und bat ihn, uns eine halbe Stunde allein zu lassen.

      »Sei nicht böse, Aljoscha!« fügte sie hinzu. »Ich wünsche das deswegen, weil ich mit Natascha über eine sehr wichtige, ernste Sache vieles zu reden habe, was du nicht zu hören brauchst. Sei verständig und geh hinaus! Sie aber, Iwan Petrowitsch, bitte ich, hierzubleiben. Sie sollen unser ganzes Gespräch mit anhören.«

      »Setzen wir uns!« sagte sie zu Natascha, als Aljoscha hinausgegangen war; »ich will mich so hinsetzen, Ihnen gegenüber. Ich möchte Sie zuerst ein bißchen ansehen.« Sie setzte sich Natascha fast gerade gegenüber und betrachtete sie ein Weilchen unverwandt. Natascha antwortete darauf mit einem unwillkürlichen Lächeln.

      »Ich habe schon Ihre Fotografie gesehen«, sagte Katja; »Aljoscha hat sie mir gezeigt.«

      »Nun, bin ich gut getroffen?«

      »Sie sind schöner«, erwiderte Katja in entschiedenem, ernstem Ton. »Ich habe mir das auch gleich gedacht, daß Sie schöner wären.«

      »Wirklich? Und ich kann mich an Ihnen gar nicht satt sehen. Wie hübsch Sie sind!«

      »Was reden Sie nur! Bewahre! Liebste, Beste!« rief Katja und ergriff mit ihrer zitternden Hand die Hand Nataschas; beide verstummten wieder und sahen einander an. »Wissen Sie, mein Engel«, unterbrach Katja das Schweigen, »wir können nur eine halbe Stunde zusammen sein; auch darein hat Madame Albert nur mit Mühe und Not eingewilligt, und wir haben doch soviel miteinander zu besprechen … Ich will … ich muß … nun, ich frage Sie ganz einfach: lieben Sie Aljoscha sehr?«

      »Ja, sehr.«

      »Wenn es so ist … wenn Sie Aljoscha sehr lieben … dann … dann müssen Sie doch auch sein Glück wünschen …«, sagte sie schüchtern und flüsternd.

      »Ja, ich wünsche, daß er glücklich werden möge …«

      »Das ist richtig … aber nun ist die Frage: Werde ich ihn glücklich machen können? Habe ich ein Recht, so zu reden, da ich ihn Ihnen doch wegnehme? Wenn es Ihnen scheint, daß er mit Ihnen glücklicher sein wird, und wir jetzt zu dieser Ansicht gelangen, dann … dann …«

      »Diese Frage ist schon entschieden, Katjuscha; Sie sehen ja selbst, daß alles entschieden ist«, antwortete Natascha leise und ließ den Kopf sinken. Es war ihr offenbar peinlich, das Gespräch fortzusetzen.

      Katja hatte sich anscheinend auf eine lange Erörterung des Themas vorbereitet, wer von ihnen beiden am meisten befähigt sei, Aljoscha glücklich zu machen, und wer von ihnen zurücktreten müsse. Aber nach Nataschas Antwort sah sie sofort ein, daß alles schon längst entschieden sei und es keinen Zweck habe, weiter darüber zu reden. Die hübschen Lippen halb geöffnet haltend, blickte sie erstaunt und traurig Natascha an, deren Hand sie noch immer in der ihrigen hielt.

      »Lieben Sie ihn sehr?« fragte Natascha plötzlich.

      »Ja; und da ist noch ein Punkt, nach dem ich Sie fragen wollte, und ich bin in dieser Absicht hergefahren: Sagen Sie mir, warum lieben Sie ihn eigentlich?«

      »Ich weiß es nicht«, antwortete Natascha, und ich glaubte aus dem Ton ihrer Antwort eine ungeduldige Bitterkeit herauszuhören.

      »Ist er klug? Wie denken Sie darüber?« fragte Katja.

      »Nein; ich liebe ihn einfach, ohne bestimmten Grund.«

      »Mir geht es ebenso. Er tut mir immer gewissermaßen leid.«

      »Mir ebenfalls«, erwiderte Natascha.

      »Was sollen wir jetzt mit ihm machen? Und wie er Sie um meinetwillen hat verlassen können, das begreife ich nicht!« rief Katja. »Gerade jetzt, nachdem ich Sie gesehen habe, begreife ich es nicht!«

      Natascha antwortete nichts und blickte zur Erde. Katja schwieg ein Weilchen; dann stand sie plötzlich von ihrem Stuhl auf und umarmte sie. Beide begannen, sich umschlungen haltend, zu weinen. Katja setzte sich auf die Armlehne von Nataschas Lehnstuhl, ohne sie aus ihren Armen zu lassen, und begann, ihr die Hände zu küssen.

      »Wenn Sie wüßten, wie sehr ich Sie liebe!« sagte sie weinend. »Wir wollen Schwestern sein; wir wollen immer aneinander schreiben … und ich werde Sie mein Leben lang lieben; ich werde Sie so lieben, so lieben …«

      »Hat er Ihnen gesagt, daß im Juni unsere Hochzeit sein soll?« fragte Natascha.

      »Ja. Er sagte, auch Sie seien damit einverstanden. Aber das haben Sie doch alles nur so gesagt, um ihn zu trösten, nicht wahr?«

      »Gewiß.«

      »Das habe ich mir gleich gedacht. Ich werde ihn sehr lieben, Natascha, und Ihnen alles schreiben. Ich glaube, er wird jetzt bald mein Mann werden; es sieht ganz so aus. Und sie reden alle in diesem Sinn. Nataschenka, Sie werden dann wohl wieder … in das Haus Ihrer Eltern zurückkehren?«

      Natascha antwortete nichts, sondern gab ihr schweigend einen herzlichen Kuß.

      »Werden Sie glücklich!« sagte sie.

      »Und Sie … Sie … ebenfalls!« versetzte Katja.

      In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und Aljoscha trat ein. Es war über seine Kraft gegangen, diese halbe Stunde zu warten, und als er nun sah, wie die beiden einander in den Armen lagen und weinten, sank er ganz kraftlos, mit einer Miene tiefsten Leides vor Natascha und Katja auf die Knie.

      »Warum weinst du denn?« sagte Natascha zu ihm.

      »Wegen der Trennung von mir? Aber es ist ja nicht auf lange; im Juni kommst du ja doch wieder?«

      »Und dann wird eure Hochzeit sein«, fügte, ebenfalls um Aljoscha zu trösten, Katja eilig mitten zwischen ihren Tränen hinzu.

      »Aber ich bin nicht imstande, nicht imstande, dich auch nur für einen Tag zu verlassen, Natascha. Ich sterbe, wenn ich von dir fern bin … du weißt gar nicht, wie teuer du mir jetzt bist! Gerade jetzt! …«

      »Nun, weißt du, wie du es dann machen kannst?« sagte Natascha, die auf einmal lebhafter wurde. »Die Gräfin bleibt ja wohl eine Zeitlang in Moskau?«

      »Ja, fast eine Woche«, fiel Katja ein.

      »Eine Woche! Dann wäre doch das beste, du begleitest die beiden Damen morgen nach Moskau (das dauert nur einen Tag) und fährst gleich wieder hierher zurück. Und sobald sie von Moskau abreisen müssen, dann nehmen wir voneinander vollständig, auf einen Monat, Abschied, und du kehrst nach Moskau zurück, um sie aufs Land zu begleiten.«

      »So ist’s richtig, so ist’s richtig …«. Ihr könnt dann noch vier Tage zusammen verleben!« rief Katja entzückt und wechselte mit Natascha einen vielsagenden Blick.

      Ich kann Aljoschas Entzücken über diesen neuen Plan gar nicht schildern. Er fühlte sich auf einmal völlig getröstet; sein Gesicht strahlte vor Freude; er umarmte Natascha, küßte Katja die Hände und umarmte mich. Natascha blickte ihn mit einem traurigen Lächeln an; aber Katja konnte es nicht ertragen. Sie wechselte mit mir einen Blick, bei dem ihre Augen in heißem Zorn funkelten, umarmte Natascha und erhob sich, um aufzubrechen. Gerade in diesem Augenblick schickte


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