Gesammelte Werke. Джек Лондон
Sam Stubener überflog nachlässig und hastig seine Post.
Als Boxer-Manager war er gewohnt, sehr verschiedenartige und höchst seltsame Briefe zu erhalten. Alle möglichen verdrehten Menschen, Sportsleute, Sportinteressenten und Sportreformatoren schienen Ideen zu haben, die sie ihm mitteilen mussten.
Von fürchterlichen Bedrohungen seines Lebens bis zu sanfteren Warnungen, dass man ihm die Fassade zu verschandeln gedächte, von Angeboten glückbringender Hasenpfoten und Hufeisen bis zu Angeboten kleiner Barbeträge oder Vermögen bis zu einer Viertelmillion Dollar von unverantwortlichen Unbekannten, kannte er diesen ganzen Schwung von Briefen.
Einmal hatte er einen Abziehriemen für Rasiermesser, aus der Haut eines gelynchten Negers verfertigt, erhalten und ein andermal einen in der Sonne gedörrten, eingeschrumpften Finger, der von der Hand eines Weißen abgehauen und später im »Tal des Todes« gefunden worden war. Sam war ganz sicher, dass der Briefträger nichts mehr bringen konnte, das ihn jemals verwundern würde.
Heute Morgen aber befand sich unter den Briefen einer, den er zweimal las, dann in die Tasche steckte, um ihn später wieder herauszuholen und ein drittes Mal zu lesen.
Die Briefmarke trug den Stempel einer Poststation irgendwo im Siskiyou-Bezirk, von der er noch nie etwas gehört hatte, und der Brief lautete:
»Lieber Sam!
Sie kennen mich nicht persönlich, nur dem Namen nach. Sie kamen nämlich erst nach meiner Zeit, als ich schon mit dem Spiel aufgehört hatte. Aber glauben Sie mir, ich habe die Zeit nicht verschlafen. Mir ist nichts entgangen, was den Sport betraf, und ich habe Ihre Karriere verfolgt, seit Sie von Kal Aufman besiegt wurden, bis Sie neulich Pat Nelson losließen, und ich bin der Ansicht, dass Sie der tüchtigste Manager sind, den ich je in unserer Sache getroffen habe.
Ich will Ihnen einen Vorschlag machen. Ich biete Ihnen den besten Unbekannten an, der je gelebt hat. Das ist keine Redensart, sondern voller Ernst.
Was meinen Sie zu einem Kerl, der mit der ganzen Bande bis zu zweihundert Pfund fertig wird, zweiundzwanzig Jahre alt ist und einen Schlag im Leibe hat, der doppelt so hart ist wie der beste, den ich seinerzeit leisten konnte?
So ist dieser Junge, und er ist mein Sohn, der junge Pat Glendon – das ist der Name, unter dem er kämpfen soll.
Ich habe den ganzen Plan schon fix und fertig. Und das beste, was Sie jetzt tun können, ist, dass Sie mit dem ersten Zuge herkommen und mit mir reden.
Ich habe ihn selbst erzogen und trainiert. Alles, was ich vom Spiel kenne, habe ich ihm in den Schädel gehämmert. Und Sie werden mir kaum glauben, wenn ich Ihnen sage, dass das, was er selbst hinzugefügt hat, noch bedeutend mehr ist.
Er ist der geborene Boxer. Es ist geradezu fabelhaft, wie er die Entfernung berechnen und den rechten Augenblick abpassen kann. Er irrt sich nicht um einen Zoll und nicht um eine Sekunde, und er braucht nicht einmal zu berechnen, er macht das ganz gefühlsmäßig. In einem seiner kleinen kurzen Schläge aus sechs Zoll Entfernung ist mehr von der richtigen Schlafmedizin als in einem Vollschwinger von all den anderen.
Man redet von der Hoffnung der weißen Rasse. Die ist er. Kommen Sie her und schauen Sie sich ihn an. Als Sie Jeffries managten, da waren Sie ganz wild darauf, auf die Jagd zu gehen. Wenn Sie mich besuchen, sollen Sie ein bisschen richtige Jagd und Fischfang erleben, was Sie Ihre Filmeinnahmen vergessen lässt. Der junge Pat soll sich Ihrer annehmen. Ich selbst bin nicht imstande, Sie richtig zu führen.
Das ist auch der Grund, dass ich Ihnen schreibe. Eigentlich hätte ich selbst sein Manager sein wollen. Aber es geht nicht mehr, meine Zeit kann jeden Augenblick um sein. Ich möchte, dass Sie ihn in die Mache nehmen.
Sie können beide ein Vermögen damit verdienen, aber ich will selbst den Kontrakt aufsetzen.
Stets der Ihre
Pat Glendon.«
Stubener war verwundert. Im ersten Augenblick sah die ganze Sache wie ein Spaß aus – die Leute vom Ring galten für große Spaßvögel –, und er studierte die Schrift genau, ob er nicht die feinen Schriftzüge Corbetts oder die großen, Vertrauen einflößenden Buchstaben Fitzsimmons herauserkennen konnte.
War dieser Brief aber echt, so war er es schon wert, dass man sich näher mit ihm beschäftigte.
Pat Glendon war aus der Zeit vor der seinen, aber er konnte sich erinnern, als Kind einmal den alten Pat ein Schauboxen zugunsten Jack Empseis haben geben sehen. Schon damals hatte man ihn den »alten Pat« genannt. Schon seit Jahren war er nicht mehr im Ring. Wer sich für Boxen interessierte, kannte Pat Glendons Namen, wenn auch nur wenige von den heute Lebenden ihn in seiner Glanzperiode gesehen hatten, aber sein Name war in die Geschichte des Boxsports übergegangen, und kein Sportlexikon konnte vollständig genannt werden, wenn nichts über Pat Glendon darin stand.
Sein Ruf schien fast übertrieben zu sein. Kaum jemand hielt man höher in Ehren, und doch wurde er nie Inhaber der Weltmeisterschaft. Er hatte stets Pech gehabt und war zuletzt nur als der »unglückliche Boxer« bekannt. Viermal wäre er fast Schwergewichtsmeister geworden, und jedes Mal mit Recht. Da war zum Beispiel der Kampf auf dem Schiff in der Bucht von San Franzisko. Bei dieser Gelegenheit brach er sich den einen Arm, als er gerade im Begriff stand, den Träger der Meisterschaft zu besiegen.
Bei einem anderen Kampf auf einer kleinen Themseinsel, wo die Kämpfenden zuletzt in sechs Zoll Wasser herumwaten mussten, weil die Flut zu steigen begonnen hatte, brach er sich im entscheidenden Augenblick ein Bein, als jeder schon sehen konnte, dass er der sichere Sieger war.
In Texas geschah es an einem Tage, den man nie vergessen wird, dass gerade in dem Augenblick, als sein Gegner ihm völlig preisgegeben war, die Polizei eindrang und den Kampf verbot. Und endlich der Kampf in der Maschinenhalle in San Franzisko, wo er einem elenden Schieber von Schiedsrichter und einem ganzen Komplott von Spielern zum Opfer fiel. Bei dieser Gelegenheit kam Pat Glendon nicht zu Schaden, da er seinen Gegner aber mit einem rechten Haken gegen das Kinn und einem linken gegen den Solarplexus k. o. geschlagen hatte, disqualifizierte ihn der Schiedsrichter wegen Tiefschlages.
Jeder einzelne Zuschauer, jeder, der etwas vom Boxen verstand, und die ganze Welt, soweit sie sich für Sport interessierte, wusste, dass es sich hier nicht um ein Foul gehandelt hatte. Aber Pat Glendon war ja wie jeder Boxer verpflichtet, die Entscheidung des Schiedsrichters anzuerkennen, und Pat fand sich in das Geschehene als in etwas, das er seinem gewöhnlichen Pech zu verdanken hatte.
Das