Gesammelte Werke. Джек Лондон
»Gestorben ist er bestimmt nicht«, sagte Donovan. »Warum hätte er sterben sollen? – ein Mann von seiner Konstitution, der weder trunksüchtig noch rauflustig war! Er hat viel Geld gemacht, und was mehr ist, er hat es gehalten und gut angelegt. Hatte er doch einst drei Kneipen auf einmal. Und als er sie verkaufte, hat er einen schönen Batzen dabei verdient. Übrigens war es damals, als ich ihn das letzte Mal sah. Das ist rund zwanzig Jahre her, wenn nicht mehr. Seine Frau war gerade gestorben. Ich traf ihn, als er zur Fähre ging.
›Wohin, alter Sportsmann?‹ fragte ich. ›Ich gehe in die Wälder‹, sagte er. ›Hier hab’ ich nichts mehr zu suchen. Leb wohl, Tim, mein Junge.‹
Und seit dem Tage habe ich nichts mehr von ihm gesehen oder gehört. Aber tot ist er natürlich nicht.«
»Du sagst, das war, als seine Frau starb – hatte er Kinder?« forschte Stubener.
»Ja, eines, ein ganz kleines. An dem Tage trug er es gerade auf dem Arm.«
»War es ein Junge?«
»Wie sollte ich das wissen?«
Da fasste Sam Stubener einen Entschluss, und am Abend saß er in einem Pullmanwagen und war auf dem Wege in die Wildnis Nordkaliforniens.
II
Früh am nächsten Morgen stieg Stubener in Deer Lick aus und trat sich eine Stunde lang die Hacken ab, ehe die einzige Gastwirtschaft ihre Türen öffnete. Der Wirt wusste nichts von Pat Glendon.
Er hatte nie von ihm gehört, und wenn Pat hier in der Gegend lebte, so musste es irgendwo auf der anderen Seite des Tales sein.
Auch der einzige Stammgast hatte nie etwas von Pat Glendon gehört. Im Hotel wusste man ebensowenig, und erst als der Kaufmannsladen und die Post geöffnet wurden, kam Stubener auf die rechte Spur.
Jawohl, Pat Glendon wohnte drüben. Sam müsste die Post bis Stage nehmen – das wäre ein Holzfällerlager, vierzig Meilen von Deer Lick. In Alpine sollte er sich ein Pferd mieten und durch das Antilopental über die Wasserscheide nach dem Bärenbach reiten. Dort wohnte Pat Glendon irgendwo. In Alpine wüssten die Leute sicher Bescheid. Ja, es gäbe einen jungen Pat, der Kaufmann hätte ihn gesehen, er sei vor ein paar Jahren mal in Deer Lick gewesen.
Aber der alte Pat hätte sich seit fünf Jahren nicht gezeigt. Er kaufte seine Waren in der Zweigniederlassung und bezahlte stets mit Schecks – er sei ein wunderlicher, weißhaariger alter Mann.
Das wäre alles, was der Kaufmann wüsste, aber in Alpine könnte er sicher jede gewünschte Auskunft erhalten.
Stubener war ganz zufrieden. Es lebten also zweifellos sowohl ein junger Pat Glendon wie ein alter hier in der Gegend.
Die Nacht verbrachte der Manager im Holzfällerlager von Alpine, und früh am nächsten Morgen ritt er auf einem Gebirgspfad nach dem Antilopental hinauf und kam über die Wasserscheide zum Bärenbach. Er ritt den ganzen Tag durch das wildeste, raueste Gelände, das er je gesehen hatte, und erreichte bei Sonnenuntergang das Pintotal auf einem Steig, der so steil und schmal war, dass er es mehr als einmal vorzog, abzusteigen und das Pferd am Zügel zu führen.
Es war elf Uhr, als er vor einer Blockhütte abstieg, wo er von dem Bellen zweier riesiger Jagdhunde empfangen wurde. Dann öffnete Pat Glendon die Tür, legte ihm den Arm um die Schulter und führte ihn ins Haus. »Ich wusste, dass Sie kommen würden, Sam, mein Junge«, sagte Pat, während er herumschlurfte, Feuer machte, Kaffee kochte und ein großes Stück Bärenfleisch briet. »Der Junge kommt heute Nacht nicht nach Hause. Das Fleisch geht uns aus, und da ist er bei Sonnenuntergang weggegangen, um einen Hirsch zu schießen. Aber ich will Ihnen noch nichts von ihm erzählen. Warten Sie nur, bis Sie ihn sehen. Morgen früh kommt er heim, und dann können Sie draußen einen Versuch mit ihm machen. Dort liegen die Handschuhe. Aber warten Sie nur, bis Sie ihn gesehen haben.
Was mich betrifft, bin ich fertig. Im kommenden Januar werde ich einundachtzig, und das ist recht hübsch für einen früheren Boxer. Aber ich habe auch nie gegen meine Natur gewütet, mich nie spät in der Nacht schlafen gelegt und mein Licht nie an beiden Enden angezündet. Ich hab’ ein ganz hübsches Licht gehabt und soviel wie möglich daraus hervorgeholt, wie Sie zugeben werden, wenn Sie mich ansehen. Und das hab’ ich auch dem Jungen eingetrichtert.
Ich weiß nicht, was Sie zu einem Burschen von zweiundzwanzig sagen, der noch nie im Leben Alkohol getrunken oder Tabak geschmeckt hat? So ist er. Er ist ein Riese und hat sein Leben lang natürlich gelebt. Warten Sie nur, bis er mit Ihnen auf die Jagd geht! Sie würden einen Herzschlag von dem kriegen, was ihm so leicht wie gar nichts fällt, und dabei können Sie ihn ruhig Ihr ganzes Gepäck und einen großen Rehbock obendrein schleppen lassen. Er ist im Freien aufgewachsen und hat weder Sommer noch Winter je mit einem Dach über dem Kopf geschlafen.
Frische Luft ist das beste für ihn, das hab’ ich ihm beigebracht. Und das ist es auch eigentlich, wovor ich die meiste Angst habe: Wie wird es ihm bekommen, in einem Haus zu schlafen, und wie soll er den Tabaksrauch ertragen können, wenn er in den Ring steigt? Das ist so ziemlich das Schlimmste, was ich kenne, dieser Tabaksrauch, wenn man kämpft und nach Luft schnappt!
Aber jetzt genug davon, Sam, mein Junge. Sie sind müde und hätten längst schlafen sollen. Warten Sie, bis Sie ihn sehen, mehr sage ich nicht. Warten Sie, bis Sie ihn sehen!«
Aber die Geschwätzigkeit des Alters war über Pat gekommen, und es dauerte noch lange, bis er Stubener erlaubte, die Augen zu schließen.
»Er kann mit seinen Beinen einen Hirsch einholen, der Bengel«, rief er wieder. »Das ist gerade das rechte Training für die Lunge, das Jägerleben. Sonst weiß er nicht viel, wenn er auch ein paar Bücher mit so poetischem Zeug gelesen hat. Er ist der reine Naturmensch, wie Sie selber sehen werden, wenn Sie ihn erst vor Augen haben. Die alte irische Kraft ist in ihm.
Manchmal, wenn er so herumschwärmt, liegt der Gedanke nahe, dass er an Märchen und dergleichen glaubt. Er liebt die Natur so heiß wie nur einer, aber vor den Städten hat er Angst. Er weiß von ihnen nur das, was er von ihnen gelesen hat, und die größte, die er kennt, ist Deer Lick. Es gefiel ihm nicht, dass dort so viele Menschen waren. Das ist jetzt zwei Jahre her, und dort sah er das erste und letzte Mal eine Eisenbahn.
Manchmal denke ich, ob es nicht falsch von mir war, dass ich ihn so erzogen habe. Aber er hat doch dadurch eine gute Lunge und Ausdauer und Kraft wie ein Ochse gekriegt. Ich möchte den Städter sehen, der ihm gegenüber etwas ausrichten könnte. Ich möchte wetten, dass ihm selbst Jeffries in seiner besten Zeit nicht allzu viel zu schaffen gemacht haben würde. Der Bengel würde ihn geknickt haben wie einen Strohhalm. – Dabei sieht er gar nicht danach aus. Das ist das ewige Wunder! Scheinbar ist er nur ein Knabe; aber die Muskeln