AUSRADIERT. Martin S. Burkhardt

AUSRADIERT - Martin S. Burkhardt


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Szene gesendet wurde, öffnete Moritz das zweite Bier. Er war zufrieden, zumindest mit seiner Arbeit. Redaktionell gesehen war die Folge natürlich Murks. Es gab keine Zeugen für all die aufgestellten Behauptungen. Es schien, als hätte der Alte überhaupt nie jemanden betrogen. Moritz würde mit Amy ein paar ernste Worte sprechen müssen. Sie und ihr Team mussten bei solchen Reportagen stichhaltiger recherchieren. Aber handwerklich betrachtet war die Folge in Ordnung, seine Kameraführung wirkte dramatisch und authentisch.

       Seufzend griff er nach der Bierdose. Es war ärgerlich, wenn im Abspann bereits für das folgende Programm geworben wurde. Eine Unsitte, die inzwischen hoffähig geworden war. Immerhin tauchten hier die Leute auf, die für Entstehung und Gelingen der Sendung verantwortlich waren. Sein Name kam kurz vor Schluss. Im Abspann nach seinem Namen zu suchen, war ihm zur Gewohnheit geworden. Es gab ihm ein Gefühl von Wichtigkeit. Nach der Redaktionsassistenz wurde das Wort Kamera eingeblendet und Moritz stieß ein überraschtes Knurren aus. Pascal Wimmermann stand dort geschrieben. Sekunden später war der Abspann verschwunden und ein Werbeblock flimmerte über die Mattscheibe. Ein Fehler! Den Kollegen war ein Fehler unterlaufen. Wer hatte da nicht aufgepasst? Pascal war der zweite Kameramann, sein Name erschien nie im Abspann. Er stand bereit, um Aufnahmen zu machen, falls Moritz behindert oder angegangen wurde. Das kam schon mal vor, besonders bei Leuten, die tatsächlich etwas auf dem Kerbholz hatten. Moritz fuhr sich durch die Haare und starrte missmutig auf den Bildschirm. Er war ja nicht eitel, aber der korrekte Name des Kameramanns sollte schon erscheinen. Wieder wünschte er, dass Amy jetzt bei ihm säße. Sie konnte ihn so wunderbar trösten. Wie sehnte er sich nach ihren Streicheleinheiten und ihrer zarten Haut. Moritz griff nach der leeren PET-Bierflasche, die neben dem Sofa auf dem Boden stand. Mit der rechten Hand zerdrückte er sie und warf sie mit Wucht gegen den Fernseher. Zwei kleine Tropfen blieben am Bildschirm kleben und schillerten bunt um die Wette. Was war denn heute bloß los?

      ***

      Das Läuten des Telefons riss ihn aus den Gedanken. Es war Jochen, der von dem eben ausgestrahlten Bericht schwärmte.

       »Das war wieder eine Folge«, sagte er gut gelaunt. »Hast du das Gesicht von diesem Schisser gesehen?« Jochen hustete und räusperte sich. »Der Alte wäre fast umgefallen.«

       Moritz nickte stumm ins Telefon. Er hatte nicht die geringste Lust, irgendeinen Kommentar abzugeben.

       »Also weißt du, du klingst irgendwie merkwürdig«, sagte Jochen, als einige Sekunden verstrichen waren.

       »Ich sage doch gar nichts.«

       »Eben. Was ist denn los mit dir? Die Folge war doch gut. Deine Kameraführung war exzellent. Was willst du mehr? Oder hast du es satt, Strohwitwer zu sein? Amy kommt doch schon übermorgen wieder.«

       »Das ist es nicht.« Moritz drückte die Fingerkuppen aneinander und schaute hinüber in den Flur. Von hier konnte er die zerstörte Kommode nicht sehen. Aber die Bruchstücke des Bilderrahmens, der ursprünglich an der Wohnzimmerwand neben der Tür gehangen hatte, glänzten wie lustige, kleine Konfettistücke auf dem Teppich. Hätte jemand anderes als Jochen angerufen, hätte er vielleicht sogar von der Erscheinung erzählt. Aber Jochen würde er bestimmt nichts sagen. Außerdem gab es da auch noch das andere Malheur … der versaute Abspann. Er erzählte Jochen in aller Kürze davon.

       »Hör mal, das kann schon mal passieren«, sagte Jochen gedehnt. »Wahrscheinlich gab es mal wieder Stress beim Fertigstellen der Sendung. Ein dummer Fehler, was soll’s. Nächste Woche erscheint dein Name wieder.«

       Moritz brummte etwas Zustimmendes und legte das Telefon neben sich auf den Teppich. Jochen hatte natürlich recht, es handelte sich einfach um einen dummen Fehler. Vielleicht sollte er nicht mehr daran denken. Er schaltete den Fernseher aus und beschloss, ein wenig aufzuräumen.

      Kapitel 2

      Auch sonntags sprang sein Radiowecker an, zwar erst um 12:00 Uhr mittags, aber das rettete ihn davor, den ganzen Tag im Bett zu verdösen. Warum war er nur so müde? Gestern ging es doch gleich nach dem Krimi ins Bett. Oder lag es daran, dass die Welt um ihn herum seit einigen Tagen dunkler wirkte? Als er vor Kurzem mit der S-Bahn gefahren war, war ihm dieses Phänomen zum ersten Mal aufgefallen. Die Sonne schien hell am Himmel, aber Moritz kam es so vor, als würde er alles durch einen Schleier sehen. Nicht wirklich finster, aber eben auch nicht strahlend hell. Es war, als würde die Sonne auf einmal nur noch mit der Hälfte ihrer Kraft leuchten. Jetzt war es genauso. Der frische, unverbrauchte Tag drängte durch das Schlafzimmerfenster, aber die Schatten in den Ecken blieben dennoch bestehen. Das Licht füllte längst nicht den gesamten Raum aus. Wäre es jetzt später Nachmittag, wäre es vollkommen in Ordnung gewesen. Aber für die Mittagszeit war es eindeutig zu dunkel. Und das, obwohl keine Wolke am Himmel stand. Moritz atmete geräuschvoll aus, stemmte schwerfällig die Füße auf den Boden und schlurfte fast automatisch in die Küche. Die Schale mit den Erdnussflipkrümeln stand noch auf der Arbeitsfläche. Er wusch sie kurz aus, füllte anschließend Smacks und Milch hinein, löffelte im Stehen und kämpfte mit seiner Müdigkeit. Sein Blick fiel auf die Fotografie am Kühlschrank. Sie war einen halben Meter hoch und nahm fast die gesamte Breite der Tür in Anspruch. Er hatte sie damals vergrößern lassen, weil die Aufnahme so gelungen war. Amy und er lagen eng aneinandergekuschelt im weißen Sand von Fuerteventura. Während sie ihren Kopf mit den Händen abstützte, hatte er einen Arm um ihre Schulter gelegt und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Dabei schielte er in die Kamera. Mann o Mann, war das ein herrlicher Urlaub gewesen. Grinsend fiel ihm ein, wie oft sie diese Aufnahme mit dem unzuverlässigen Selbstauslöser seiner alten Kamera hatten wiederholen müssen. Aber das Ergebnis war alle Versuche wert gewesen. Träge löffelte Moritz seine Schale leer und platzierte sie in der Geschirrspülmaschine. Er roch an seinem T-Shirt und rümpfte die Nase. Es wurde Zeit für eine gründliche Wäsche.

       Zwanzig Minuten später betrachtete er, den pustenden Föhn in Händen, zweifelnd sein Gesicht im Spiegel. Es war nichts zu machen, er sah eigentlich ständig so aus, als ob die letzte Nacht zu lang gewesen wäre. Ringe um die Augen, die Pausbäckchen leicht aufgedunsen, als wäre sein Körper permanent zugedröhnt. Obwohl ihm klar war, dass sie in Kürze sowieso wieder kreuz und quer auf seinem Kopf stehen würden, wanderte seine Bürste durch die schwarzen Haare.

       Inspiriert durch das Bild am Kühlschrank entschloss er sich zu einem gemütlichen DVD-Nachmittag mit dem Video von seinem und Amys Urlaub auf Fuerteventura. Der würde hoffentlich auch die unangenehmen Fragen nach der gestrigen Erscheinung übertünchen, die sich seit einer Weile aufdringlich Gehör verschaffen wollten.

       Kurz danach flimmerten die ersten Bilder über den Bildschirm. Amy, die eine gewaltige Düne hinunterlief. Ihr rosa Poloshirt harmonierte unheimlich gut mit der Farbe des Sandes. Die nächste Szene zeigte Amy an einem kleinen Brunnen sitzend. Sie trug ein Tanktop und lächelte ihn an. Das Tattoo auf ihrem rechten Oberarm glänzte in der Sonne. Er mochte den kleinen Skorpion mit drohend erhobenem Schwanz, den sie sich schon lange vor ihrer gemeinsamen Zeit auf den Arm hatte stechen lassen. Dann kamen einige Bilder ihrer Jeeptour durchs Landesinnere, die sie am vorletzten Tag unternommen hatten. An dieser Stelle schien die DVD einen Kratzer zu haben. Bildstörungen flimmerten über den Fernseher, ausgerechnet, als einer der Mitfahrer sie beide zusammen gefilmt hatte. Schließlich gab es wieder Strandbilder, diesmal trug Amy einen Badeanzug. Sie mochte keine Bikinis, wusste der Himmel, warum. Ihr Körper war athletisch, sie musste sich bestimmt nicht verstecken. Schließlich wurde das Bild schwarz, und Moritz überlegte, ob er sich auch noch die gemeinsamen Winterurlaubsbilder aus Seefeld anschauen sollte, verwarf den Gedanken aber. Sicherlich würde er dann den restlichen Tag viel zu sehr an Amy denken müssen, und hätte den Kopf nicht mehr frei für andere Dinge gehabt. Für seinen Job zum Beispiel, denn morgen begannen die Arbeiten an einer neuen Reportage. Das Thema: freilaufende Hühner, die überhaupt nicht frei herumlaufen konnten; inklusive Überraschungsbesuch auf einem verdächtigen Bauernhof. Solche Storys kamen immer an. Sie hatten schon einmal eine Reportage über ein ähnliches Thema gedreht. Die könnte er sich genauso gut noch einmal ansehen, als Vorbereitung sozusagen. Mit einem Vanille-Orangen-Tee zur Stärkung kniete er bald darauf erneut vor dem weiß lackierten Schrank mit den DVDs, zog die entsprechende Kopie heraus und legte sie ein. Den Fernsehsessel mied er. Tagsüber dort zu sitzen und auf die Mattscheibe zu starren, fühlte sich falsch an. So etwas machten doch nur Langzeitarbeitslose, die sowieso den ganzen Tag vor der Glotze hingen.


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