AUSRADIERT. Martin S. Burkhardt

AUSRADIERT - Martin S. Burkhardt


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der hellgrün getünchten Wände des Treppenhauses geschleudert.

       »Spinnst du?«, rief er wütend. »Auf welchem Trip bist du denn? Warum verleugnest du mich?«

       »Du scheinst auf einem Trip zu sein. Ich kenne dich kaum.«

       »Hast du einen Anderen?«

       Sie fuhr sich genervt durch ihre langen Haare. »Was geht dich das an? Aber wenn es dich beruhigt, ich bin zurzeit solo.«

       Sie schüttelte nochmals den Kopf und trat zurück in die Wohnung. »Und dabei wird es auch bleiben. Nimm deine Brötchen und verschwinde.«

       Sie wollte die Wohnungstür schließen, aber er hielt die Tür mit einer Hand fest. Mit der anderen Hand zog er seine Geldbörse aus der Hintertasche seiner Jeans und klappte sie zitternd auf.

       »Amy, wir sind seit fast zwei Jahren ein Paar.«

       Er trug stets ein Bild von Amy bei sich. Das Foto wurde ebenfalls auf Fuerteventura gemacht, beim Abendessen in einem kleinen, aber feinen Restaurant. Amy trug ein kurzes Lederkleid und sie grinste wie ein Honigkuchenpferd. Der Fotograf war ein schmieriger, stinkender Mensch gewesen, aber seine Aufnahme war wirklich fabelhaft. Moritz hielt es Amy vors Gesicht und sie studierte das Bild einen Augenblick lang mit eingefrorener Mine.

       Dann starrte sie ihn durchdringend an.

       »Bist du krank, oder was?« zischelte sie verächtlich. »Hast du dir da irgendetwas eingeredet mit uns beiden?«

       Sie tippte gegen die Plastikfolie der Geldbörse, unter der das Foto sicher verwahrt war. »Wo hast du das her? Das ist eines meiner Urlaubsfotos aus Fuerteventura.«

       Sie riss ihm das Portemonnaie aus der Hand und warf es ihm hohen Bogen die Stufen hinunter.

       »Bei dir ist ’ne Schraube locker. Hau ab.«

       Sie gab ihm einen Tritt gegen das Schienbein. Er schrie auf und ließ los. Im selben Augenblick knallte sie die Tür mit Wucht zu.

      Kapitel 6

      Moritz kochte vor Wut. Tatsächlich hatte er das Gefühl, als ob er jeden Moment überbrodeln und eine feurig rote Masse aus seinem Hals schießen würde. Sein Portemonnaie lag auf der untersten Stufe. Es war aufgeschlagen. Amy lächelte ihm auf dem Foto verführerisch entgegen. Fluchend hob er es auf. Gesicht ausgeschnitten? So ein Quatsch!

       Auf der Straße hob er den Kopf. Sein Blick wanderte die Fassade des Hauses hinauf. Es war unmöglich, einfach wieder abzuzotteln, als wäre nichts geschehen. Aber was blieb ihm anderes übrig? Verwirrt, wütend und ängstlich zugleich schloss er seinen Wagen auf und startete den Motor.

       Gleich die erste Ampel war rot. Wenigstens ließ ihm das Zeit, zu überlegen, wohin er jetzt eigentlich wollte. Zurück in seine Wohnung? Bestimmt nicht. Es bestand die ernsthafte Gefahr, dass er sich den ganzen Tag über volllaufen lassen würde. Und es war noch früh am Tag. Eine Menge Zeit zum Trinken. Als die Ampel auf Grün sprang, wechselte er den Fahrstreifen und bog an der nächsten Kreuzung Richtung Stadtmitte ab. Er würde jetzt direkt ins Büro fahren und ein ernstes Gespräch mit Sascha führen. In all den Jahren war er noch nie mit dem Auto zur Arbeit gefahren. Welchen Sinn hätte das auch gemacht? Parkplätze gab es im Zentrum so gut wie keine und wenn doch, dann kosteten sie ein Heidengeld. Und mit der Bahn war man mindestens ebenso schnell in der City. Jetzt allerdings, da er bereits in seinem Auto saß und die Scheiben mittlerweile sogar fast schlierenfrei waren, hatte er keine Lust mehr, in eine U-Bahn oder S-Bahn zu steigen. Er würde in den sauren Apfel beißen müssen und in eines der Parkhäuser fahren. Und wenn schon. So, wie die Dinge lagen, würde sein Besuch nicht lange dauern. Er wollte nur endlich Klarheit. Sascha sollte wenigstens den Anstand besitzen und ihm einen Grund für das plötzliche, feindselige Verhalten nennen. Er hetzte den Neuen Wall entlang und betrat den eleganten Vorraum zu den Fahrstühlen. Dieses ganze glitzernde Ambiente ging ihm gehörig auf den Geist. Von Mal zu Mal mehr. Am liebsten hätte er jetzt seine Hose hinuntergelassen und auf die messingfarbenen Aschenbecher gepinkelt, die zu beiden Seiten des Fahrstuhles standen. Aber dazu fehlte ihm leider der Mumm, wie er nicht ohne Bedauern feststellte.

       Die Türen des Lifts öffneten sich und er schaute in sein finsteres Gesicht, das ihn von allen Seiten anstarrte. Diesen Aufzug hasste er fast noch mehr als den protzigen Vorraum. Zum Glück fuhr niemand mit ihm nach oben. Keiner seiner feinen Kollegen ließ sich blicken. Moritz atmete tief aus, als er in den Flur hinaustrat. Durch die Glastüren hindurch konnte er bereits Linas genervtes Gesicht sehen. Sie wirkte, als hätte ihr jemand den Lieblingslippenstift geklaut. Diesmal trug sie ein Zwischending aus Kimono und Postsack. Natürlich wieder ärmellos und tief ausgeschnitten. Er polterte durch den Eingang und machte sich gar nicht erst die Mühe, sie freundlich anzusehen. Stattdessen donnerte seine Faust auf den dekadenten Empfangstresen, den er ebenfalls von Besuch zu Besuch scheußlicher fand.

       »Hi, ich will Sascha sprechen«, sagte er ungeduldig, »und zwar sofort.« Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte Moritz sich zur Seite und wollte vorbeigehen. Lina schaute ihn eine Sekunde lang mit weit geöffneten Augen an. Dann sprang sie von ihrem Stuhl auf, als hätte sie der Teufel persönlich in den Hintern gezwickt. Sie langte über den Tresen und bekam Moritz’ Arm zu fassen. Er hätte nie für möglich gehalten, dass sie so sportlich sein konnte. Sie drückte ihre Hände tief in sein Fleisch.

       »Was bist du denn für ein Komiker?«, zischelte sie. Dabei verstärkte sie den Druck auf seinen Arm. Die Frau schien auch noch sadistisch veranlagt zu sein. Morgen würde er einen schaurigen blauen Fleck am Arm haben.

       »Hier kann doch nicht jeder Stelzfuß einfach ein- und ausgehen.«

       »Ich habe wohl ein Recht …«, begann er aufgebracht, bevor Lina ihn unterbrach.

       »Einen Dreck hast du«, rief sie laut und riss seinen Arm mit Wucht nach vorne. Obwohl er sich keine Blöße geben wollte, konnte er den Schmerzensschrei nicht unterdrücken. Hatten sich Linas lackierte Fingernägel schon durch seine Haut gebohrt?

       »Wir haben keine Arbeit für dich. Hier arbeiten nämlich nur qualifizierte Leute. Also verschwinde.«

       Endlich ließ sie seinen Arm los. Im nächsten Moment lagen ihre Hände auf seinem Rücken und schubsten ihn nach vorne zur Glastür. Er fasste den Metallgriff der Tür an und stellte dabei fest, dass seine Hände klitschnass waren. Er zwang sich zur Ruhe. Ein beklemmendes Gefühl breitete sich in seinem Magen aus. Was wäre, wenn Lina die Wahrheit sagte? Was wäre, wenn man ihn in diesem Büro tatsächlich nicht kannte? Seine Füße versagten für einen Moment ihren Dienst.

       »Sag mal Lina, kannst du dich gar nicht mehr an mich erinnern?«, fragte er so gefasst wie möglich.

       Seine friedliche Stimme zeigte Wirkung. Plötzlich war auch Lina nicht mehr so abweisend. Sie schenkte ihm sogar den Ansatz eines Lächelns.

       »Tut mir leid«, sagte sie achselzuckend. »In einer Produktionsfirma gehen so viele Leute ein und aus, da kann man sich einfach nicht alle Gesichter merken.«

       Moritz hatte das Bedürfnis, laut aufzuschreien. Stattdessen verzog sich sein Mund nur zu einem gepressten Lächeln.

       »Hast du denn irgendwann mal ein Praktikum hier gemacht?«, fragte Lina, während sie sich wieder auf ihren Stuhl setzte. Etwas in seinem Gehirn begann zu surren. Bis gestern war ich noch euer wichtigster Kameramann.

       »So ähnlich«, sagte er völlig vor den Kopf gestoßen und verließ das Büro.

      ***

      Die rot-weiß gesteifte Schranke des Parkhauses schwang in die Höhe und ihn überkam ein wirklich ungutes Gefühl. So abgebrüht, wie Lina sich eben verhalten hatte, war doch kein Mensch. Er nahm es ihr absolut ab, dass sie sich nicht mehr an ihn erinnerte. So etwas konnte man nicht vorspielen. Was war nur geschehen? Amy hatte sich im Grunde genommen kaum anders verhalten. Immerhin besaß sie noch eine vage, abstrakte Erinnerung an ihn. Aber Lina gestern auch.

       Seine Straße machte einen ruhigen und friedlichen Eindruck, als er zwanzig Minuten später nach einem Parkplatz suchte. Die Sonne schien und es waren um diese Uhrzeit nur wenige Menschen unterwegs. Moritz stellte den Astra eine Seitenstraße weiter ab. Immerhin musste er nicht zehn Minuten lang zurück bis zu seiner Wohnung gehen. Es gab eine Abkürzung, die durch verschiedene


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