AUSRADIERT. Martin S. Burkhardt

AUSRADIERT - Martin S. Burkhardt


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führte. Ein Auto hätte mit eingeklappten Spiegeln vielleicht gerade so hindurchgepasst, aber dafür nahmen die silbernen Müllcontainer auf der linken Seite viel zu viel Platz in Anspruch. Nach einigen schnellen Schritten hatte Moritz die Mitte des Weges erreicht. Hier war es regelrecht düster. Auch kam es ihm so vor, als ob die Temperatur um mehrere Grad gesunken wäre.

       Dann hörte er das Summen. Wachsam hob Moritz den Kopf. Hatte sich irgend so ein fetter Brummer oder gar eine Wespe hinter die Müllcontainer verirrt? Zwischen den letzten beiden Containern stieg ein schemenhafter Nebel auf. Es sah aus, als hätte vor Kurzem jemand eine gewaltige Zigarre gepafft und der ganze Dunst läge noch in der Luft. Moritz erinnerte sich an die Erscheinung im Wohnzimmerfenster. Nur, dass dieser Nebel grünlich schimmerte und auch ohne Spiegel zu sehen war. Dann begann sich der Schleier plötzlich zu bewegen, stob zusammen, als würde er durch eine unsichtbare Kraft angezogen. Allmählich bildeten sich erste Konturen aus der Wolke. Moritz erkannte ein Gewand. Einen mächtigen, schwarzen Umhang, der einen Körper umhüllte. Langsam schob sich der Umhang zur Seite. Eine graue Hand erschien. Sie war mindestens so groß wie die aufgeschlagene Programmzeitschrift, die bei ihm auf dem Wohnzimmertisch lag. Die fünf Gliedmaßen der Finger sahen merkwürdig gebogen aus und sie kamen ihm bekannt vor. Diese Haken hatte er zuletzt in der Wolke in seinem Zimmer gesehen. Erst dann wurde ihm klar, dass es sich um eine Art Schneidewerkzeug handelte. Sie hatten Ähnlichkeit mit den Scheren von Krebsen, waren aber um ein Vielfaches größer. Eine Kapuze wurde nach hinten geschoben. Ein kahler Schädel glänzte im trüben Licht. Moritz wankte einen Schritt nach hinten. Was war das für ein Geschöpf? Spielte sein Verstand jetzt endgültig verrückt? Das Ding hob aufreizend langsam den Kopf. Eine furchtbare Grimasse starrte ihn wenige Sekunden aus gelb leuchtenden Augen an. Moritz hatte den Eindruck, als würde das ganze Gesicht nur aus einem kreisrunden, riesigen und tiefschwarzen Schlund und eben diesen stechenden, ovalen Augen bestehen. Schreiend stolperte er rückwärts. Dabei rutschte sein Fuß auf dem glatten Asphalt weg und seine Schulter stieß gegen einen der Müllcontainer. Moritz fiel auf die Knie. Im selben Augenblick wurde das Summen lauter. Die Erscheinung hatte ihre Deckung zwischen den Behältern verlassen und bewegte sich blitzschnell auf ihn zu. Der grässliche Schlund des Wesens befand sich nun direkt vor ihm, keinen halben Meter entfernt. Es roch nach ranzigem Fett und verdorbenen Früchten. Moritz musste würgen. Wollte ihn dieses scheußliche Ding fressen? Er spürte, wie seine Kräfte schwanden. Auf einmal war ihm furchtbar erschöpft zumute. Mit letzter Anstrengung stemmte er sich auf und kam mit zwei langen Schritten an der Erscheinung vorbei. Das Summen ertönte eine Oktave tiefer. Wenn er sich beeilte, würde er diesen Gang in wenigen Sekunden hinter sich gelassen haben. Ob ihm die Erscheinung ins Freie folgen würde? Er fing an zu rennen und sah, dass sich die Müllcontainer neben ihm plötzlich bewegten. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie sie sich wie von Geisterhand wenige Zentimeter in die Luft erhoben. Keinen Atemzug später schossen sie auf ihn zu. Ihm blieb keine Möglichkeit, auszuweichen. Während der vordere Container wenige Schritte vor ihm mitten auf dem Weg landete, rammte ihn der zweite Behälter mit voller Wucht in die Seite. Moritz stieß einen hohen Schrei aus und verlor den Halt. Sein Körper fiel hart auf den Asphalt. Für einen Moment blieb ihm die Luft weg. Der Container flog dicht über seinen Kopf hinweg und knallte mit einem ohrenbetäubenden Scheppern an die gegenüberliegende Hauswand. Die Umgebung war so hell geworden, als stünde ein mächtiger Halogenscheinwerfer hinter ihm. Seine Knochen protestierten, während er sich aufstemmte. Die Haut seiner Arme war aufgeschürft und brannte wie Feuer. Moritz drehte den Kopf und sofort überkam ihn das Gefühl, als würden Teile seines Gehirns verbrennen. Er hatte dem Ding direkt ins Gesicht gesehen. Das gleißende Licht kam aus den riesigen, kreisrunden Augen.

       Trotz aller Schmerzen kam er erstaunlich schnell in die Höhe. Er fixierte das Ende des Ganges. Vor sich konnte er bereits die mächtige Eiche sehen, die auf dem Hinterhof stand, und deren Blätter saftig grün in der Sonne schimmerten. Er zwängte sich an dem zweiten Container vorbei. Der Lichtkegel des Wesens wanderte kurz ziellos umher, wie ein Bühnenscheinwerfer, der den Hauptdarsteller verloren hatte. Am Ende des Ganges stand ein rostiges Fahrrad. Instinktiv griff Moritz nach dem Lenker. Der hintere Teil des Gefährts stand unter dem freien Himmel des Hofes. Die Berührung des Metalls gab ihm das Gefühl, dass er es gleich geschafft hätte. Keinen Wimpernschlag später spürte er ein kochendes Ziehen im Handballen. Der Lenker begann, rot zu glühen. Das Plastik der Handläufe schmolz bereits. Kurz darauf wurde sein Rücken heiß. Der brennende Blick des Geschöpfes war auf ihn und das Fahrrad gerichtet. Was war das für ein Monstrum, dessen Augen Metall zum Glühen bringen konnten? Ihm blieb keine Zeit, darüber nachzudenken. Mit einem letzten, großen Schritt hatte er den Durchgang hinter sich gelassen. Ein schneller Blick zurück verriet ihm, dass inzwischen auch der Rahmen des Fahrrades hellrot glühte. Kurz darauf waren zwei peitschende Geräusche zu hören. Die Schläuche waren geplatzt. Moritz war es egal. Plötzlich hatte er wieder Kraft. Seit der Blick der Erscheinung nicht mehr auf ihm lastete, fühlte er sich leicht, fast schwerelos. Seine Beine rannten beinahe von ganz alleine durch den quadratischen Hof. Flüchtig schaute er hinauf zu den Balkonen und Fenstern. Niemand ließ sich blicken, kein Mensch schien seine Schreie gehört zu haben. Er betrat das kühle Treppenhaus und hetzte an den Briefkästen vorbei, die ordentlich in Reihe und Glied an der Wand befestigt waren. Von oben hallte ihm das Geräusch eines Bohrers entgegen. Tobias war gerade dabei, seine Wohnungstür mit winzigen Löchern zu verzieren. In einer Hand hielt er einen Akkubohrer, in der anderen ein sechseckiges, weißes Türschild mit grünen Buchstaben. Er fluchte leise und drehte sich grimmig um, als Moritz neben ihn trat.

       »Dieses verdammte Holz ist vielleicht fest. Ich bekomme überhaupt keine Schrauben in die Tür gedreht.« Wieder zierte eines dieser aalglatten Seidenhemden seinen Oberkörper. Diesmal in Beige. Tobias legte Bohrer und Schild in eine kleine Werkzeugkiste und verschränkte die Arme vor seiner Brust. »Du siehst vielleicht aus«, stellte er dann ohne Umschweife fest.

       »Mein Tag war Horror«, sagte Moritz knapp und wollte an ihm vorbei gehen. Mit einem flinken Schritt stellte Tobias sich ihm in den Weg.

       »Dagegen hab’ ich was. Komm rein.« Er öffnete die Wohnungstür und durchquerte die Diele. Obwohl Moritz wenig Lust auf eine Unterhaltung hatte, trottete er hinterher. Das Wohnzimmer war, bis auf ein halbes Dutzend Bilder, die angelehnt unter dem Fenster standen, bereits vollkommen eingerichtet. Ein weißes Sofa befand sich hinter einem geflochtenen Bambustisch. An der gegenüberliegenden Wand hing ein teurer Bildschirm, die Seitenwand verunstaltete eine mächtige Schrankwand aus weiß lackiertem Holz. Moritz lächelte angestrengt. Er mochte keine lackierten Möbelstücke. Schon gar nicht in Weiß.

       »Setz dich«, sagte Tobias, ging zurück in die Diele, wühlte in einem Karton herum und brummte anschließend zufrieden. Mit einer verschlossenen Rumflasche kam er wieder, stellte sie auf den Bambustisch und strich ihr sanft über das Etikett.

       »Es gibt nichts Besseres, als Tee mit Rum«, erklärte er gut gelaunt. »Na ja, es gibt schon Besseres«, schränkte er im nächsten Moment ein, »aber nicht so früh am Tag.«

       Er rieb die Hände aneinander. »Dann will ich mal den Tee aufsetzen. Bin gleich wieder da.«

       Moritz nickte und ließ sich auf das Sofa fallen. Seine Gedanken wanderten zurück in die Seitenstraße. Dieses Ding. Es war, als hätte es auf ihn gewartet. Wollte es ihn töten? Was wäre passiert, wenn die Müllcontainer ihn eingequetscht hätten, wenn er unglücklich gefallen und nicht mehr in der Lage gewesen wäre, zu flüchten? Wäre er von diesem schrecklich stinkenden Schlund aufgefressen worden? Oder hätten ihn die laserartigen Augen vorher zu Asche verwandelt? Handelte es sich um dasselbe Geschöpf, welches er in der Fensterspiegelung gesehen hatte?

       Pfeifend kam Tobias herein und stellte eine Glaskanne neben die Rumflasche. Dann schob er sich einen weiß bezogenen Stuhl heran.

       »Was machst du um diese Uhrzeit schon wieder hier? Erzähl mir von deinen Sorgen.«

       Moritz hustete kurz. »Habe ich Sorgen?«

       »So, wie du aussiehst.«

       Moritz schloss die Augen und rieb sich mit den Händen über die Lider. Plötzlich spürte er seine Müdigkeit wieder.

       »Nimm es mir nicht übel, aber ich habe keine Lust zum Reden.« Er zeigte auf die Rumflasche. »Schenk mir lieber mal ein.«

       »Der Tee braucht aber noch sieben Minuten,


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