AUSRADIERT. Martin S. Burkhardt

AUSRADIERT - Martin S. Burkhardt


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Stimmen, die vom Flur aus zu ihm herüber drangen. Neugierig blinzelte er durch die Gitterstäbe. Ein torkelnder Mann wurde von zwei Polizisten in eine der gegenüberliegenden Zellen geleitet. Er sah fein aus. Sein schwarzer Anzug glänzte und eine ordentlich gebundene Krawatte baumelte an seinem Kragen. Was ihm wohl widerfahren war, dass er sich dermaßen die Kante gegeben hatte? Als die Polizisten die Zelle hinter ihm abschlossen, begann der Mann ärgerlich zu lallen, allerdings ohne auch nur ein verständliches Wort über die Lippen zu bringen. Kurz darauf fing der Schnösel an, in seiner Zelle zu randalieren. Immer wieder bearbeiteten seine Füße und Fäuste die wenigen Einrichtungsgegenstände. Jetzt wusste Moritz auch, warum die Zellen so spartanisch eingerichtet, und Waschbecken und Klo mit einer dicken Ummantelung aus Stahl eingefasst waren. Plötzlich hörte er weitere Schritte auf dem Flur. Ein zweiter Mann wurde zu den Zellen geführt. Auch dieses Exemplar konnte kaum noch richtig gehen. Der Typ sah schmuddelig aus, seine Kleider waren zerfetzt. Eindeutig ein Stadtstreicher. Bevor die Beamten ihn in die Zelle schubsen konnten, kotzte er mitten auf den Flurboden. Ein übel riechender Gestank breitete sich unversehens aus. Während einer der Polizisten die Zellentür verschloss, holte der andere eine Rolle Küchenpapier aus einem Schrank und wischte das Erbrochene routiniert weg. Solche Unfälle passierten hier unten wohl häufiger. Schnell wurde es wieder ruhig. Die Beamten waren verschwunden. Der Randalierer hatte sich anscheinend mit seiner Situation abgefunden. Moritz hörte ihn nur hin und wieder seufzen. Auch der Penner schien bereits tief und fest zu schlafen. Soweit es Moritz erkennen konnte, hatte er sich auf dem Zellenboden eingerollt. Moritz ging zum Wasserhahn und nahm einen ausgiebigen Schluck. Verdursten würde er hier wenigstens nicht.

       »Wasser statt Bier«, stellte er fest und legte sich wieder auf seine Pritsche. »Ist ja auch viel gesünder.«

      ***

      Die Nacht ging nur langsam vorbei. Moritz hatte während des Tages zuviel gedöst und geschlafen. Jetzt lag er mit weit geöffneten Augen auf seiner Pritsche und lauschte den Geräuschen seines Umfeldes. Der Randalierer hatte vor einer Stunde angefangen, lauthals zu schnarchen und er sägte so vehement, dass es einem schon nach kurzer Zeit fürchterlich auf die Nerven gehen konnte. War das der Grund, warum der Kerl sich so hatte zulaufen lassen? War seine Frau abgehauen, weil sie den Krach im ehelichen Bett nicht mehr aushielt? Von dem anderen Typen war nichts zu hören. Er hatte sich nicht mehr bewegt, seit er auf dem Zellenboden eingeschlafen war. Stadtstreicher sollten ja über einen tiefen Schlaf verfügen. Wenigstens gab er keinerlei Laute von sich. Polizisten ließen sich hier unten nicht mehr blicken. War die Wache nachts überhaupt besetzt? Moritz hatte den Eindruck, dass er und seine eingeschlossenen Leidensgenossen die einzigen Menschen weit und breit waren. Seine Gedanken wanderten zu seiner Arbeit. Er rief sich eine der zahlreichen Redaktionssitzungen ins Gedächtnis und sah Jochen, der vor einem Flipchart stand und lauter Kreise auf das Papier malte. Er schaute in Saschas gehetztes Gesicht. Dann wanderte sein Blick zu Amy. Wenn sie an den Sitzungen teilnahm, saß sie ihm fast immer gegenüber. »Damit du mich anschauen kannst, wenn es mal langweilig wird«, hatte sie ihm nach einem der ersten Meetings verraten, kurz, nachdem sie ein Paar geworden waren. Sie mochte es, von ihm angeschaut zu werden. Oft trug sie ärmellose Shirts, damit er einen ungehinderten Blick auf ihre Tattoos werfen konnte. Sie wusste, wie ihn das antörnte.

       Ärgerlich schlug Moritz gegen die karge Zellenwand. Er wollte nicht an Amy denken. Es tat weh. Es war unheimlich. Das Knallen einer Tür holte ihn aus seinen Überlegungen. Da kam doch tatsächlich jemand die Treppe herunter. Moritz schaute auf seine Armbanduhr. Es war sechs Uhr am Morgen. Diese unsägliche Nacht lag beinahe hinter ihm. Mit einem Satz sprang er auf. Sein Rücken protestierte heftig, es fühlte sich an, als wäre jeder einzelne Wirbel verrutscht. Nur mit Mühe gelang es ihm, sich aufrecht hinzustellen. Auch seine Muskeln fühlten sich steif und verspannt an. Die Pritsche eignete sich sogar noch weniger zum Schlafen als sein altes Sofa. Der Penner wusste schon, was gut war. Falls es noch eine zweite Nacht in dieser Zelle geben sollte, würde er die auch auf dem Fußboden verbringen.

       Welche grausigen Gedanken überkamen ihn da nur? Es würde ganz sicherlich keine weitere Nacht in dieser Zelle geben. Die Tür, die in den Keller führte, knallte noch einmal. Dann herrschte wieder Stille. Kam jetzt doch niemand zu ihnen? Moritz schüttelte den Kopf und schaute in die anderen Zellen. Der Mann im Anzug war wieder bei klarem Verstand. Seine Hände umklammerten die Stäbe und er starrte ein Loch in den Flurboden. Nebenan wurde ein Wasserhahn aufgedreht. Der Penner stand mit dem Rücken zu ihm vor dem Waschbecken. Er hatte sein schmutziges Hemd ausgezogen und wusch sich. Seine Haare waren bereits nass und auch sein breiter Oberkörper glänzte feucht. Mit den Händen rubbelte er sich über den Bauch und spritze dabei mit jeder Menge Wasser. Moritz lächelte. Sehr reinlich, der Mann. Vielleicht einer der wenigen Möglichkeiten für ihn, sich mal einigermaßen gründlich sauber zu machen. Nur schade, dass es in den Zellen weder Handtücher noch Waschlappen gab. Der Stadtstreicher schmatzte genüsslich und drehte sich zufrieden um. Er warf einen abschätzenden Blick auf den Flur, dann entspannten sich seine Züge und er lächelte zufrieden. Moritz schaute in sein Gesicht. Der schwarze Oberlippenbart strahlte ihm entgegen. Der Mann kam ihm bekannt vor. Wo hatte er ihn zuletzt gesehen? Im gleichen Moment hob auch der Penner seinen Blick und schaute ihm direkt in die Augen. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig. Sein fröhliches Grinsen erstarrte und sein rechtes Auge begann zu zucken. Er fing an zu stöhnen und zeigte mit zittrigen Fingern auf Moritz.

       »Du auch!«, schrie er mit ungeheurer Lautstärke.

       Sofort fiel Moritz der Tunnel zur U-Bahn ein. Dort hatte er diesen komischen Vogel zuletzt gesehen.

       »Du auch! Du auch«, kreischte der Bettler und seine Stimme schnappte jedes Mal fast über.

       Moritz fuhr sich durch die Haare. Warum flippte der Typ stets aus, wenn er ihn sah? Der Mann im Anzug beugte sich interessiert vor und versuchte einen Blick auf den Schreihals zu erhaschen. Da seine Zelle jedoch direkt neben der des Bettlers lag, konnte er nichts erkennen.

       »Was hat der Stinker?«, fragte er an Moritz gewandt.

       Moritz zuckte mit den Achseln. Der Penner hatte angefangen, mit den Fäusten gegen die Gitterstäbe zu hauen. Dabei gab er jaulende Geräusche von sich, als wäre er ein räudiger Hund. Endlich wurde die Tür zum Keller aufgemacht. Zwei Polizisten rannten den Flur entlang und schauten den Wüterich einen Moment lang stirnrunzelnd an.

       »Was ist mit dir?«, fragte einer von ihnen behutsam.

       Anstatt zu antworten, hüpfte der Mann auf und ab, als würden seine Füße über ein imaginäres Seil springen. Dabei ließ er Moritz nicht eine Sekunde aus den Augen.

       »Wir müssen da rein«, sagte der andere Beamte unbehaglich und schob den Gürtel seiner Hose zurecht. Während sein Kollege aufschloss, hechtete der Polizist in die Zelle und drückte den Bettler unsanft auf die Knie. Es fiel ihm schwer, da der Hitzkopf ihm körperlich weit überlegen war. »Ganz ruhig. Wir bringen dich jetzt wieder nach Hause in deinen Tunnel«, sagte der Polizist beschwichtigend, während er den Arm des Mannes nach hinten drehte. Als der Bettler auf den Flur geführt wurde, sah Moritz seinen hochroten Kopf.

       »Du auch! Du auch«, flüsterte er immer wieder und starrte ihn dabei mit seinen großen, leuchtend blauen Augen durchdringend an. »Das gibt es nicht. Verdammt noch mal, du auch!« Dann wurde er von den Uniformierten die Treppe hinauf geführt.

      ***

      Moritz schüttelte irritiert den Kopf. Was meinte der Kerl nur? Langsam wurde ihm schwindelig. Er brauchte jetzt dringend etwas zu essen. Sein leerer Magen machte die ganze Situation nur noch unerträglicher. Schwerfällig ließ er sich auf die Pritsche fallen, schloss die Augen und versuchte, nicht drauf zu achten, dass sein Kopf sich anfühlte, als würde er Karussell fahren.

       Er musste tatsächlich eingenickt sein, denn als er das nächste Mal auf seine Uhr schaute, war es schon kurz nach neun. Ein Wirbel knackte. Sein Rücken schien nun endgültig kaputtgegangen zu sein. Moritz schaute in den Flur hinaus. Die Türen der gegenüberliegenden Zellen waren geöffnet, auch der Mann im Anzug war mittlerweile anscheinend wieder entlassen worden. Und er? Was war mit ihm? Hatte man ihn nicht wecken wollen, weil er so selig schlief? So langsam war das alles nicht mehr witzig. Moritz begann, gegen die Gitter zu schlagen, erst leise, dann immer lauter. Niemand reagierte. Nachdem Moritz eine halbe Stunde lang Krach gemacht hatte, setzte er sich entnervt


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