AUSRADIERT. Martin S. Burkhardt

AUSRADIERT - Martin S. Burkhardt


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quer über den Hof jagten. Der Abspann erschien und Moritz wollte sich gerade vom Bildschirm wegdrehen, als er stutzte. Fehlte da nicht etwas? Der Schlusstext war zu Ende und die Titelmelodie der nächsten Folge begann. Er nahm die Fernbedienung und spulte zurück. Sein Name tauchte nicht auf, als Kameramann wurde wiederum nur Pascal erwähnt.

       Was hatte das zu bedeuten?

       Weil er immer penibel auf seinen Namen achtete, hätte ihm das doch bereits damals auffallen müssen! Unerklärlich. Und eine Frechheit! Gleich morgen würde er mit Sascha, seinem Chef, sprechen. Womöglich gab es rechtliche Gründe oder Probleme, die den Sender zwangen, seinen Namen aus dem Abspann zu streichen. Er konnte sich zwar beim besten Willen nicht vorstellen, was für Gründe das sein konnten, aber man wusste ja nie.

       Den restlichen Tag verbrachte er hauptsächlich auf seinem Wohnzimmersessel. So ärgerlich die Gesichte mit dem Abspann auch war, sich darüber aufzuregen half ihm, nicht an die Geschehnisse von vorher zu denken. Diese schreckliche Kreatur! Er musste sich unbedingt jemandem anvertrauen. Er vermisste Amy.

      Kapitel 3

      Moritz öffnete die Tür zum Bürohaus und schaute zufrieden auf seine Armbanduhr. Viertel nach neun, deutlich unter seiner üblichen, unakademischen halben Stunde. Die Kollegen würden Augen machen, wenn ihr Kameramann fast pünktlich im Konferenzraum erschiene. Und das an einem Montag. Er ging einen dezent beleuchteten Flur entlang, dessen Wände aus grauen Marmorplatten bestanden. Das Bürogebäude befand sich direkt am vornehmen Hamburger Neuen Wall und er mochte es nicht besonders. Das Ambiente störte ihn. Seiner Meinung nach war die Produktionsfirma, neben etlichen Notaren, Anwälten und Vermögensberatungsgesellschaften, der einzig normale Mieter in diesem Haus. Der goldeingefasste Fahrstuhlknopf kam ihm jeden Tag kitschiger vor. Mit einem kaum wahrnehmbaren Läuten öffnete sich die Tür des Lifts. Die vollverspiegelte Kabine brachte ihn zum Knurren, denn sein Antlitz schien ihm von allen Seiten entgegen. Er sah aus, als hätte er vor einem Ventilator geschlafen. Kurz bevor die Tür sich schloss, huschte eine weitere Gestalt in den Fahrstuhl. Sie würdigte ihn keines Blickes. Mit zusammengekniffenen Augen schaute Moritz auf die zierliche Frau mit dem Igelschnitt. Petra war eine Kollegin von Amy. Sie arbeitete mit ihrem Team für eine andere Sendung, die ebenfalls von der Produktionsfirma herausgegeben wurde. Sie kannten sich nicht besonders gut. Trotzdem hatten sie sich bisher zumindest immer gegrüßt. Hatte sie etwa noch einen Kater vom Wochenende? Petra erwiderte seinen Blick kurz und zog missbilligend die Mundwinkel herunter. So eine Frechheit! Das würde er Amy stecken!

       Sie gingen hintereinander durch die verglaste Eingangstür im dritten Stock. Die Redaktionssitzung fand wohl, wie immer, im großen Besprechungszimmer statt, von dem aus man einen herrlichen Blick auf das Hamburger Rathaus hatte. Während Petra nach rechts abbog, wandte er sich zur anderen Seite, ging direkt am Empfangstresen vorbei, hinter dem Lina missmutig auf einen Bildschirm starrte. Auf eine Begrüßung verzichtete er. Diese Frau hatte noch nie zu seinen Favoriten gezählt. Sie war kaum Mitte zwanzig, tat aber stets so, als wäre sie die wichtigste Person in der Firma. Unangenehm. Er sah bereits die geschlossene Tür des Besprechungsraumes, als Linas Stimme hinter ihm ertönte.

       »Warte mal.«

       Moritz drehte sich ärgerlich um. Lina war inzwischen aufgestanden. Wie die immer herumlief! Sie trug lediglich ein Trägertop mit irre weitem Ausschnitt. Skeptisch fiel sein Blick auf den dunkelroten BH, der fast über den Rand des Tops quoll.

       »Ich muss zur Redaktionssitzung«, knurrte Moritz genervt. »Bin spät dran.«

       Lina rümpfte die Nase. Über diese Geste musste er stets grinsen. Kein Mensch rümpfte so oft die Nase wie Lina. Ein Wunder, dass der Zinken in ihrem Gesicht noch nicht verknittert war.

       »Das kann ich mir gar nicht vorstellen«, gab sie zickig zurück. »Neue Leute gehen erst einmal zu Herrn Wahrschneit. Du bist hoffentlich angemeldet?«

       Wahrschneit war Saschas Familienname – und Sascha wollte er wegen des Fehlers im Abspann ohnedies sprechen. Aber was sollte Linas dämliches Gesülze von neuen Leuten? Die Redaktionssitzung war wichtig. Es ging um die ersten Fakten für die nächste Reportage.

       »Ich geh erst in die Konferenz«, sagte er so höflich wie möglich. »Wahrscheinlich ist Sascha sowieso dabei.«

       Lina lächelte spöttisch.

       »Das wirst du nicht wagen«, knurrte sie leise.

       Er zuckte mit den Achseln, drehte sich um und ließ sie stehen. Was redete die bloß wieder für einen gequirlten Mist zusammen? Und seit wann sagte sie Herr Wahrschneit zu Sascha? In der Firma duzten sich doch alle. Während er seine Schritte beschleunigte, hörte er, wie Lina hinter ihm hereilte.

       »Halt!«, schrie sie schließlich in ohrenbetäubender Lautstärke, doch seine Hände ruhten bereits auf den Griffen der schweren Eichentüren. Als er in den Konferenzraum schritt, brachen die Gespräche ab und ein halbes Dutzend Augenpaare schauten ihn neugierig an. Sascha stand neben einem Flipchart und hatte mehrere Kreise aufs Papier gemalt. Sein kurzärmeliges Hemd zeigte Schweißflecken unter den Achseln.

       »Hier bin ich«, sagte Moritz und breitete die Arme aus. »Ich wäre fast pünktlich gewesen, wenn Lina mich nicht aufgehalten hätte.«

       Sekunden später erschien Lina an der Tür.

       »Tut mir leid Sascha, dieser Kerl scheint sich hier gut auszukennen. Platzt einfach in die Konferenz.«

       »Schon in Ordnung, Lina«, sagte Sascha und kam auf Moritz zu. »Hilf mit auf die Sprünge. Momentan haben wir so viele freie Mitarbeiter, dass ich unmöglich alle Namen behalten kann.«

       Eine Pause entstand. Moritz schaute seinen Chef skeptisch an. War Sascha wieder mal auf Speed? Aber schon so früh am Morgen?

       »Was haben die Freien damit zu tun?«, fragte er achselzuckend.

       Sascha stand nun direkt vor ihm und klopfte ihm väterlich auf die Schulter.

       »Wir sprechen in den nächsten Tagen über alles. Wir finden was für dich.« Er drehte sich auf dem Absatz um. »Momentan habe ich keine Zeit. Eine wichtige Redaktionssitzung läuft gerade. Da darfst du nicht einfach so hineinplatzen.«

       Moritz stöhnte gequält auf. Er wusste, dass Sascha manchmal viel um die Ohren hatte. Eigentlich war der Chef meistens im Stress. Irgendwo gab es immer Probleme, Termine wurden nicht eingehalten, Aufnahmen dauerten zu lange oder bereits ausgestrahlte Sendungen verursachten unangenehme Nachspiele in Form von Klagen oder Richtigstellungen. Da konnte man schon mal den Durchblick verlieren. Aber auch bei seinen eigenen, langjährigen Mitarbeitern? Hilfe suchend starrte Moritz Jochen an. Die Haare des Reporters waren frisch gegelt und er strotzte geradezu vor Energie. Neben ihm saß Pascal, der sich gerade eine Zigarette in den Mundwinkel geschoben hatte. Der konnte auch keine halbe Stunde ohne die Glimmstängel auskommen. Beide Kollegen schauten interessiert in seine Richtung, taten aber so, als würden sie ihn überhaupt nicht kennen.

       »Mein Gott, was für ein Kinderkram«, sagte Moritz aufgebracht.

       »Ganz recht«, antwortete Lina und zeigte auf die Ausgangstür. »Und wenn du jetzt nicht verschwindest, bekommst du ganz gewaltige Probleme.«

       Ihm fiel beim besten Willen keine schlagfertige Antwort auf diese Frechheit ein. Sein Blick wanderte an ihr hinunter und fixierte mehrere Sekunden lang ihren roten BH. Vielleicht konnte er sie damit ärgern. Es schien ihr jedoch nicht unangenehm zu sein, genauestens unter die Lupe genommen zu werden. Sascha räusperte sich ungeduldig.

       »Los jetzt«, sagte Lina, während sie seinen Arm ergriff und ihn auf den Flur zog. Sie schloss die Eichentüren des Konferenzzimmers, öffnete die Tür zum Treppenhaus und bedeutet ihm mit einer kreisenden Bewegung ihrer Hand, von hier zu verschwinden.

      Kapitel 4

      Wütend stürmte Moritz auf die Straße. Was sollte dieses unglaubliche Verhalten? Mit dieser Show konnten Sascha und seine treudoofen Schafe einen Oscar gewinnen. Warum verleugneten sie ihn plötzlich? Wenn sie ihn rauswerfen wollten, war das eine Sache. Wenn sie ihn aber zusätzlich noch behandelten, als würden sie sich kaum an ihn erinnern, war das eine bodenlose Frechheit. Selbst Jochen tat so, als kenne er ihn nicht. Moritz schlängelte sich an shoppenden Touristen vorbei und erreichte keuchend den Rathausmarkt.


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