AUSRADIERT. Martin S. Burkhardt

AUSRADIERT - Martin S. Burkhardt


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alten.« Tobias ging zu einem Korb und kam mit zwei Dosen wieder zurück. »Danke für deine Hilfe. Darauf trinken wir jetzt erst mal ein Radler.« Moritz nahm lächelnd eine der Dosen in die Hand. »Bei uns heißt das aber Alsterwasser«, sagte er mit erhobenem Zeigefinger. Sein neuer Nachbar nickte und setzte sich auf einen der zwei Stühle, die die Möbelpacker mittlerweile ins Wohnzimmer geschafft hatten. »Ich habe bisher in der Nähe von Stuttgart gewohnt. Bin mal gespannt, wie es mir hier gefallen wird.« Moritz setzte sich auf den zweiten Stuhl und trank einen großen Schluck. Eigentlich mochte er Biergetränke nur eiskalt, aber jeder sollte mal über seinen Schatten springen. Tobias’ Kühlschrank befand sich wohl noch irgendwo im Möbelwagen. »Dann bist du ein echter Schwabe?« »Gott bewahre!« Tobias kicherte hektisch. »Ursprünglich stamme ich aus Osnabrück.« Moritz nickte und trank weiter. Der Gute schien recht weit herumzukommen. »Ich freue mich auf das Hamburger Nachtleben«, sagte Tobias nach einer Weile. Moritz grinste. Man sah Tobias auf dem ersten Blick nicht unbedingt an, dass er gerne ausging. »Die Kneipenszene ist ganz hervorragend in Eimsbüttel«, erklärte Moritz. »Das freut mich. Ich habe vor, jede Einzelne auszutesten.« »Dabei bin ich dir gern behilflich«. Die Möbelpacker kamen mit verschiedenen Holzteilen ins Wohnzimmer gepoltert. »Den Tisch bauen Sie aber selbst zusammen«, sagte einer der Packer mürrisch. Tobias nickte und sprang auf. »Dann will ich mal.« Er stellte seine Dose auf den Boden und grinste Moritz an. »Du musst mich entschuldigen. Bis heute Abend will ich alles aufgebaut haben.« Moritz stand auf und schüttete den Rest des Getränkes in sich hinein. »Schon gut. Ich muss sowieso in meine Wohnung. Hab noch ein paar Dinge zu erledigen.« Pflanzentragen war ja ganz in Ordnung gewesen. Aber Möbel aufzubauen musste nun wirklich nicht sein. Zum Glück hatte ihn Tobias nicht um Hilfe gebeten.

      ***

      Abgespannt ließ Moritz sich aufs Sofa fallen. Auf einmal kam ihm seine Wohnung furchtbar stickig vor. Die Erlebnisse von heute Morgen drängten sich ohne seine Zustimmung in sein Gedächtnis zurück. Er kannte Jochen schon seit etlichen Jahren. Klar, der große Reporter war im Grunde genommen ein schmieriger Typ und bei den Fragen, die Jochen seinen Opfern in den Reportagen stellte, oft knallhart und verletzend. Aber er war trotzdem eine ehrliche Haut, zumindest beim Umgang mit den Kollegen. Moritz hatte noch niemals mitbekommen, dass Jochen wissentlich irgendwo einmal die Unwahrheit gesagt hätte. Umso verwunderlicher mutete sein Verhalten vom Vormittag an. Wie gut, dass Amy heute Nacht zurückkam. Zusammen würden sie schon Licht in diese Angelegenheit bringen. Während er den Fernseher einschaltete, fiel sein Blick auf die Fensterscheibe. Ein Schatten in der rechten oberen Ecke erregte seine Aufmerksamkeit. Augenblicklich waren die Gedanken an die unheimliche Erscheinung wieder präsent. Als er genauer hinstarrte, entspannten sich seine Muskeln ein wenig. Nur der Himmel. Er schaute lediglich in den wolkenbehangenen Himmel.

       »Mach dich nicht verrückt«, mahnte er sich und schob den Sessel vor die Mattscheibe.

      Kapitel 5

      Der Wecker war auf Punkt Sieben gestellt. So früh war er zuletzt vor einem halben Jahr aufgestanden, als seine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt bevorgestanden hatte. Moritz sprang aus dem Bett und lächelte. Es ging ihm wesentlich besser als gestern. Das lag hauptsächlich an der Überraschung, die er sich vor dem Einschlafen für Amy ausgedacht hatte. Mit einem grandiosen Frühstück wollte Moritz seine Freundin begrüßen. Fröhlich pfeifend stürmte er in den Treppenhausflur. Leise Bohrgeräusche, die von einem Akkuschrauber hätten stammen können, drangen in seine Ohren, als er an Tobias’ Wohnungstür vorbeikam. Gut gelaunt setzte Moritz sich in seinen in die Jahre gekommenen hellblauen Opel Astra und fuhr los. Die ersten Straßen fuhr er praktisch blind. Das Auto wurde nicht sehr häufig gefahren und auf der Frontscheibe hatte es sich eine klebrige Schmutzschicht gemütlich gemacht. U-Bahn- und S-Bahn-Stationen befanden sich in der Nähe und es war immer die reinste Hölle, am Abend einen Parkplatz in diesem dicht besiedelten Stadtteil suchen zu müssen. Auf halbem Weg zu Amy lag eine große Bäckerei. Er stiefelte in den Laden und kaufte mit Wurst und Käse belegte Roggenbrötchen, Croissants, Kringel und Milchbrötchen. Amy liebte Milchbrötchen. Dazu erstand er einige Scheiben Lachs und zwei große Pappbecher Latte Macciatto. Als die Straße ihn wieder hatte, war es halb neun. Amy würde ganz schön müde sein. Immerhin dürfte sie nicht vor zwei Uhr im Bett gewesen sein. Höchstwahrscheinlich würde er sie aus dem Schlaf reißen. Na, egal, sie würde ihm nicht böse sein. Schließlich gab es leckere Sachen. Außerdem vermisste er sie ganz schrecklich und hoffte, dass dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte. Als eine Parklücke direkt vor ihrem Haus frei wurde, schnalzte er fröhlich mit der Zunge. Er öffnete die Eingangstür des Mietshauses, die dermaßen verzogen war, dass sie nicht mehr ins Schloss fallen konnte und ständig offen war, und trug das Frühstück in das Treppenhaus.

      ***

      Mit klopfendem Herzen lauschte er auf das Summen der Klingel. Er hatte die Tüten mit den Brötchen und dem Lachs auf ihre Fußmatte gelegt. Seine Hände hielten die beiden Kaffeebecher. Auf diese Weise würde sie ihn besser umarmen können. Ihr Schlaf schien nicht besonders tief gewesen zu sein. Es dauerte keine halbe Minute, da wurde die Tür schon geöffnet. Amy blinzelte ihm aus müden Augen entgegen. Obwohl sie gerade erst aufgestanden war, sah sie umwerfend aus. Ihre langen, braunen Haare hingen ihr kraus ins Gesicht, ihren großen Mund hatte sie ein wenig geöffnet. Wie hatte er diese Lippen vermisst! Unter ihrem linken T-Shirt Ärmel lugte ein Teil ihres Tattoos hervor. Wie er sich danach sehnte, über den angriffslustigen, kleinen Skorpion zu streicheln.

       »Ich habe meiner Geliebten ein reichhaltiges Frühstück gebracht«, sagte er ernst. »Ob mich die Gnädigste wohl hereinlassen wird?« Dann lachte Moritz ausgelassen, beugte sich vor und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

       Amy schaute ihn einen Moment mit hochgezogenen Augenbrauen an. Sie stand bewegungslos an der Tür, als wäre sie zu Stein geworden. Dann schüttelte sie den Kopf. Sie lächelte ihm mit ihren sinnlichen Lippen zu.

       »Man, das ist ja vielleicht eine Anmache«, sagte sie grinsend. »So etwas habe ich noch nie erlebt. Und mich haben schon jede Menge Männer angemacht.«

       Sie hob die Brötchentüte auf und schaute hinein. »Wow. Sogar Milchbrötchen hast du mitgebracht. Die mag ich nämlich besonders gerne. Als ob du es gewusst hättest.«

       Moritz schaute sie stirnrunzelnd an. Konnte man es als Anmache bezeichnen, wenn man seine Freundin mit einem Frühstück überraschte? Und was sollte das mit den Milchbrötchen? Natürlich kannte er ihre Vorlieben. Sie schien wirklich noch nicht richtig wach zu sein. Fröhlich nickte er, hielt ihr die Pappbecher vor die Nase und machte einen Schritt nach vorne. Er hatte keine Lust mehr, auf dem Flur herumzustehen. Ihre Hände drückten gegen seine Brust. Sie schoben ihn sanft aber bestimmt wieder zurück.

       »Nicht so schnell«, sagte sie abwehrend. »Es tut mir wirklich leid. Der Zeitpunkt ist schlecht gewählt. Ich bin in der Nacht gerade von einer Dienstreise zurückgekommen.« Moritz sah sie verwirrt an.

       »Was redest du denn da? Das weiß ich doch. Deswegen ja die Überraschung.«

       Wieder ging er näher an sie heran. »Ich habe dich wahnsinnig vermisst.«

       Er wollte ihr einen weiteren Kuss geben, diesmal auf ihren Mund. Mit einer hastigen Bewegung zog sie ihren Kopf zurück.

       »Halt«, rief sie aufgebracht. »So geht das nicht. Was denkst du von mir? Nur weil du mit frischen Brötchen vor meiner Tür stehst, darfst du noch lange nicht deine Zunge in meinen Hals stecken.«

       Sie funkelte ihn böse an.

       Moritz hob hilflos und ärgerlich die Arme in die Höhe.

       »Was soll denn das?«, fragte er genervt. »Hattest du so eine beschissene Reise? Dein Freund darf dir wohl noch einen Kuss geben.«

       Wieder beugte er sich zu ihr vor. Diesmal knurrte sie leise, als sie ihn ein weiteres Mal unsanft berührte und zurück ins Treppenhaus schubste.

       »Schluss damit«, rief sie. »Das war ja am Anfang ganz lustig, aber jetzt nervst du langsam. Du hast wohl Schwierigkeiten mit dem Wort Nein.«

       Sie starrte ihn groß an. »Wie kommst du auf die absurde Idee, dass wir befreundet wären? Ich kenne dich kaum. Du bist einer der freien Mitarbeiter, die ab und zu mal für die Redaktion arbeiten, oder?«

       Moritz schnappte


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