Nur keine Panik. Wolfram Pirchner

Nur keine Panik - Wolfram Pirchner


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drauf, deprimiert usw. bist, dann geht man Freunden, Bekannten und Verwandten eher aus dem Weg. Kontakt braucht nicht nur Zeit, sondern auch Kraft. Er geht verloren, wenn man dauernd »gestresst« und überfordert ist. Aber das hat nachhaltigere Folgen, als man glauben möchte. Eine langsame, anfangs kaum wahrnehmbare Vereinsamung tritt ein. Und dann traust du dich im Fall der Fälle, wenn doch einige Zeit, vielleicht sogar eine längere verstrichen ist, nicht mehr anzurufen oder zu schreiben. Im Fall deiner Not. In jener Zeit, in der du Zuspruch, Unterstützung, seelischen Beistand bitter notwendig hättest. Darum rate ich dir freundschaftlich: Pflege deine Kontakte. Pflege sie und hege sie, die wenigen wahren Freunde, die du hast. Das können fallweise auch jene sein, die nicht in deinem »Freundschafts-Scheinwerferlicht« stehen und immer wieder und vor allem coram publico betonen, was sie doch für beste Freunde seien. Sei wachsam! Es können auch wenige sein, die ein Schattendasein führen in deiner sozialen Werteliste – erkenne sie!

      Pflege deine Kontakte. Pflege sie und hege sie, die wenigen wahren Freunde, die du hast.

      Kontakte müssen sorgfältig gepflegt werden, vor allem in Zeiten, in denen man sie scheinbar nicht braucht. Was mir in der Akutphase sehr geholfen hat, war Ordnung zu schaffen. Ordnung in jedem Lebensbereich. Und in jeder Lebensrolle. Das fing beim Schreibtisch an. Ich war ja nicht unbedingt ein schlampiger Mensch – dachte ich. Ich hatte einen Putzfimmel von wem auch immer geerbt, nicht selten raste ich um sieben Uhr früh mit dem Staubsauger durch die Wohnung. Allerdings nur zu Zeiten, in denen ich alleine lebte. Warum ich das tat, das weiß ich bis heute nicht. Auf jeden Fall hat mir das meine Frau relativ schnell abgewöhnt. Gott sei Dank. Ich hatte zwar einen Putzfimmel, war aber schlampig und ich war ein Sammler. Ich hortete beispielsweise Kleidungsstücke, die ich jahrelang nicht angezogen hatte. Grauenvolle Sakkos, die nie wieder modern werden würden, Hemden, die an Geschmacklosigkeit nicht zu überbieten waren und auch nur ein einziges Mal im Urlaub getragen wurden, Hosen, die mir schon längst nicht mehr passten, weder farblich noch figurlich. Ja nichts wegwerfen, das wäre ja schade! Das habe ich mir total abgewöhnt. Und das hat mich befreit. Kistenweise habe ich aussortiert und in den Humana-Container gegeben oder weggeworfen. Frag niemals deine Verwandten oder Freunde, ob sie denn nicht das oder jenes brauchen könnten. Da entsteht noch mehr Druck und Stress. Du musst hinfahren, zeigen, alles wird nicht genommen, weil es nicht gefällt usw. Weg damit, ohne Wenn und Aber. Überflüssiges Geschirr, das sich in Kellerabteilen oder Garagen türmt, Decken, Bettwäsche, Tassen, Gläser … weg damit. Es befreit dich in einem Maß, das zu erleben wunderbar ist. Platz schaffen. Auch in der Wohnung habe ich Überflüssiges aussortiert. Kennst du das, die Vasen, die überall unnötig herumstehen, sogar Teller und Schüsseln werden an die Wand genagelt, wenn sie aus schöner (Urlaubs-)Keramik bestehen, ein Häkeldeckchen der Oma hier, ein Untersetzerl da – weg damit. Und in jeder Ecke muss ein Bild hängen. Wozu? Auch leere Wände haben etwas Schönes, etwas Puristisches. Etwas Nichtbelastendes! Befrei dich von unnötigem Ballast. Dafür brauchst du einen Plan und Zeit. Teile es dir ein. Nimm dir vor, wann du etwas machen willst. Mache es nicht zwischen Tür und Angel und nur, weil es dir gerade einfällt.

       Panik Teil 3

      Nächster Tag. ORF. Zeit im Bild. Ich bin wichtig. Hoffentlich merkt keiner, was mit mir los ist. Das wäre was. Was eigentlich? Diese Frage habe ich mir nie beantwortet. War es die Angst, einfach umzufallen, das Bewusstsein zu verlieren? Hätte ich mich geniert zu versagen? Ist das Versagen, wenn man umfällt? Tatsächlich? Ich habe mir nicht erlaubt, zumindest nach außen schwach zu sein. Verletzlich, sensibel. Der Skilehrertyp aus den Alpen. Der Pirchner! Der mit den geschleckten Gelhaaren. Zeit im Bild. Und wieder waren sie da, die Gefühle, der leichte Schwindel, der erhöhte Puls, der Schweißfilm auf der Stirn. Die leichte Blässe, die Augenringe, die trüben Augen. Noch zehn Minuten. Das geht schon. Nach der Sendung fühlte ich mich schwach, energielos, ohne Luft. Keine Power. Ich fuhr nur fünf Minuten nach Hause. Auch zu Hause fühlte ich mich nicht wohl. Für meine damalige Freundin war es sicher nicht leicht. Die wollte immer ausgehen, das Leben genießen. Das fehlte mir gerade noch. Ausgehen? Na bravo. Einmal ging ich mit ihr und Freunden »aus«. Um die Ecke in ein Weinhaus. Für eine halbe Stunde, dann hielt ich es nicht mehr aus. Entsetzlich. Diese Menschen, das Gläserklirren, der Rauch, die geifernden, grinsenden Fratzen. Ich spürte mich nicht mehr, hatte das Gefühl, dass alles um mich herum langsam kreiste, dass die Gäste ausschließlich mich anschauten und sich dann über mich lustig machten. Warum taten sie das? Von hinten schlägt mir einer eine Spur zu brutal auf die Schulter: »Servas Oida! Guat schaust aber ned aus. Bist vü unterwegs … hahahaha.« Nein, gut schaute ich tatsächlich nicht aus. Diese Kreislaufattacken – damals nannte ich sie Kreislaufattacken – kosteten mich viel Kraft. Machten mich leer. Wie eine Batterie, die immer weniger Saft hatte. So, ab nach Hause. In den Fernseher starrte ich dann nur deshalb, weil ich nicht zu früh schlafen gehen wollte. Weil ich Angst hatte, die Zustände in der Nacht wieder zu bekommen. Wenn ich einmal Mitternacht »geschafft« hatte, dann dauerte es nicht mehr lange bis zum Morgen.

      Die Ausflüge zu mitternächtlicher Stunde ins Wiener AKH häuften sich. Ich erinnere mich nicht mehr ganz genau, aber so alle drei, vier Wochen wird’s schon gewesen sein. Die alte und wiederkehrende Leier: »Bitte Blutdruck messen. Bitte ein EKG machen. Ich bin krank. Ich fühle mich elendiglich.« Verbunden natürlich immer wieder mit den Fragen: Was ist los mit mir? Was habe ich? Warum geht’s mir so beschissen? Und wieder wurde gemessen, diagnostiziert und wieder wurde mir gesagt: »Sie haben nichts. Es geht Ihnen gut. Blut ist ok. EKG ist sehr ok. Gehen Sie nach Hause und rasten Sie sich aus.« Ausrasten? Na, was sollte ich denn sonst mitten in der Nacht zu Hause tun? Die Tage vergingen, auch die unangenehmen Nächte vergingen, ein langweiliger, mühsamer Trott entwickelte sich. Im Nachhinein war es kein Leben. Keine Lebensfreude. Keine Motivation. Es war ein Dahinvegetieren, währenddessen ich mir immer wieder die Frage stellte: Wann kommt ES wieder? Und je mehr ich daran dachte, desto eher kamen die Zustände wieder. Das Herzrasen, die Übelkeit, die Beengtheit. Die Beklemmungen. Die Todesangst. Ich begann damals schon unbewusst mit einer Selbstanalyse, indem ich mir Fragen stellte wie: Was blockiert mich? Warum fürchte ich mich so sehr vor diesen Zuständen? Was ist das bloß? Es war zum Aus-der-Haut-Fahren. Ich war eingesperrt in meiner Hülle und hatte oft dieses nach Freiheit schreiende Gefühl. »Aus der Haut fahren« – ja, auch viele Jahre später kann ich den Wunsch nach diesem Zustand gedanklich gut aufrufen und mich daran erinnern.

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