Nur keine Panik. Wolfram Pirchner
Daraus entsteht auch die Unfähigkeit zu delegieren. Das schlechte Gewissen, das übertriebene Verantwortungsgefühl und die vermeintliche, gefühlte Dringlichkeit, alle Aufgaben selbst erledigen zu müssen, erhöhen den Druck auf sich selbst.
3. Phase: Subtile Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse
Früher hatte der Betroffene noch die Arbeit im Griff, jetzt hat die Arbeit ihn voll im Griff. Kleine alltägliche Pflichten und Freuden werden als lästig und störend empfunden. Pausen werden als überflüssig erlebt, Ernährung wird nebensächlich, der Körper vernachlässigt. Die eigenen Bedürfnisse werden zurückgestellt. Die Sensibilität sich selbst gegenüber wird geringer, erste Erschöpfungsgefühle, Fehlleistungen und Vergesslichkeit treten auf.
4. Phase: Verdrängung von Konflikten und Bedürfnissen
Der Betroffene bemerkt, dass irgendetwas nicht stimmt, dass er »leiser treten« müsste, stellt aber seine Bedürfnisse immer wieder hinter die Anforderungen zurück. Heimlichkeiten und Rückzug beginnen, um zu verbergen, wie es dem Betroffenen wirklich geht. Oft ist in dieser Stufe ein beginnendes Suchtverhalten zu beobachten. Damit meint Freudenberger zum Beispiel Ersatzbefriedigungen wie Essen, Rauchen, Shopping etc. Auch körperliche Einbrüche werden in dieser Phase registriert, bis hin zur chronischen Erschöpfung.
5. Phase: Umdeuten von Werten
Es kommt zu einer emotionalen Desorientiertheit, weiters zu einem gestörten Zeitbegriff. Der Druck und die Belastung sind so hoch, dass Vergangenheit und Zukunft ausgeblendet werden müssen. Es zählt nur die Gegenwart. Dadurch geht die Einschätzungsfähigkeit verloren, ebenso die Relativität der Ereignisse. Wichtiges und Unwichtiges werden nicht mehr getrennt. Soziale Kompetenzen, zwischenmenschliche Beziehungen verlieren an Wert. Auch emotionale Werte werden in den Hintergrund gedrängt. Das »Sich-der-Situation-Stellen« kommt nicht mehr infrage. Eine zunehmende Verhärtung und ein übertriebenes Kontrollbedürfnis sind festzustellen.
6. Phase: Verstärkte Verleugnung auftretender Probleme
Die Verleugnung wird hier (unbewusst) als Schutzmechanismus eingesetzt. Die Verleugnungsspirale wird enger. Verleugnen verschleiert den Burn-out-Prozess. Zynismus, Bitterkeit, Intoleranz, die subtile Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse verstärken sich, der Betroffene isoliert sich zunehmend von seiner Umwelt.
7. Phase: Rückzug
Gefühle von Hoffnungslosigkeit und Orientierungslosigkeit, Desillusionierung, Verlust der emotionalen Intensität, Rückzug von sich selbst und der Welt dominieren. Rückzug wird zur Strategie, die Isolation des Betroffenen nimmt zu. Die Anwendung »falscher Therapien« wird beobachtet (Alkohol, Medikamentenmissbrauch etc.).
8. Phase: Beobachtbare Verhaltensänderung
Es kommt zu noch mehr Rückzug – jede Zuwendung wird als Angriff gefühlt. Abschottung steht auf der Tagesordnung und die Änderung des Verhaltens ist für die gesamte Umwelt auffällig. Die Unterscheidungsfähigkeit ist gestört, was Unterstützung, Aufmerksamkeit und Nähe angeht, Ausreden und Ausflüchte dominieren.
9. Phase: Depersonalisation
Der Verlust des Gefühls für die eigene Persönlichkeit wird registriert. Damit geht auch der letzte Rest des Erkennens der eigenen Bedürfnisse verloren. Das wiederum führt zu einer tiefen Selbstverneinung, die sich auf die eigene Person und den eigenen Körper bezieht. Die Entfremdung erreicht die Grundfesten der Persönlichkeit. Absoluter Kontaktverlust, Erleben eines lediglich mechanischen »Funktionierens« und das Nichtwahrnehmen von fremden Bedürfnissen treten auf.
10. Phase: Innere Leere
Häufig entstehen hier schwere Phobien und Panikattacken. Das Gefühl der inneren Leere ist kaum zu ertragen. Die Betroffenen fühlen sich ausgehöhlt, nutzlos, ausgezehrt, erledigt. Es gibt immer noch den schwachen Wunsch, irgendwie aufzutanken, oft wird dafür zu Drogen und Aufputschmitteln gegriffen, und der suchtartige Zwang nach Ersatzbefriedigungen gehört zum täglichen Leben.
11. Phase: Depression
Nun ist dem Menschen einfach alles egal. Das Leben wird SINN-los. Oft sind die einzigen wahrnehmbaren Gefühle Verzweiflung und Erschöpfung. Motivation und Initiative sind am Nullpunkt angelangt. Ein sehr starkes Symptom ist hier der Wunsch nach Dauerschlaf. Auch erste Suizidgedanken entstehen.
12. Phase: Völlige Burn-out-Erschöpfung
Der Endpunkt der Erkrankung ist erreicht. Die emotionale, geistige und körperliche Erschöpfung wird in dieser zwölften Phase lebensgefährlich. Das »Ich« gibt es nicht mehr, selbst die ursprünglichen Zwänge haben sich aufgelöst. Auch der »Sinn, weiterzuleben«, wird nicht mehr erkannt. Es kommt zum Zusammenbruch des Immunsystems, es kommt zu einem psychischen, physischen und mentalen Zusammenbruch. Jetzt handelt es sich um einen absoluten NOTFALL, eine lebensbedrohliche Krise.2
Burn-out und ich
In welcher Phase eines Burn-outs ich mich befand, das wollte ich damals gar nicht konkret herausfinden. »Burn-out« klang so fremd, so ungewohnt, ich fühlte mich stigmatisiert und kam auch ohne genaue Definition über die Runden. Heute würde ich das anders machen. Heute würde ich mich von Experten durchleuchten lassen, um ganz genau zu wissen, 1) was habe ich?, woran leide ich?, 2) in welchem Stadium befinde ich mich? und 3) wie komme ich aus dem Ganzen wieder heraus? Es gibt Unmengen von Fachleuten im In- und Ausland und es gibt noch mehr Nichtexperten, die aber glauben, Experten zu sein. Jene Betroffenen, die mitten in einem Burn-out stecken und sich in den letzten Phasen nach Freudenberger befinden, gehören nach Expertenmeinung in eine Psychotherapie oder zum Psychiater. Da reicht die Begleitung durch den Mentalcoach nicht aus. Das gilt es, genau und verantwortungsvoll zu trennen. Burn-out-Patienten sind oft nicht mehr in der Lage, Termine wahrzunehmen oder an einem Tag zwei, drei Termine zu »erledigen«. Oft sind die Betroffenen sehr ungeduldig mit sich selbst, dass es so lange dauert, bis sie wieder »gesund« sind. Meine Kollegin Gabriele (Gaby) Kofler, Mentalcoach in Bregenz, erzählt, dass viele Betroffene berichteten, sie würden sich schämen für eine Krankheitsbeschreibung, bei der sie sichtbar für das Umfeld nicht krank seien. Sie erzählte mir von einem Burn-out-Betroffenen, der ihr anvertraute, er habe beim Verabschieden eines Freundes extra gehumpelt, um ja krank auszusehen. Häufig berichten Betroffene auch von Konzentrationsstörungen und erleben sich als überhaupt nicht mehr belastbar, was sie wiederum sehr deprimiert.
Der Gedanke, sich eine Auszeit zu gönnen, war unerträglich für mich. Unvorstellbar. Eine psychische Rehabilitation kam auch nicht infrage, diese Entscheidung war schnell gefällt. Was mir auffiel in der Zeit der massiven und häufigen Panikattacken und Angstzustände, war die Tatsache, dass ich soziale Kontakte abreißen ließ. Ich meldete mich einfach nicht mehr und da kam schon das zutage, was ich innerlich spürte. Aber was sollte ich mit Bekannten und Freunden auch schon groß reden, etwa über meine Attacken, darüber, wie schlecht es mir ging? Das wollten die vermutlich nicht regelmäßig hören und das verstand ich vollauf. Kontaktpflege war auch mühsam, da mir Menschenansammlungen immer bedrohlicher vorkamen. Es war schrecklich für mich, in einem Raum mit mehreren Menschen zu sein. Gewesen zu sein, muss ich richtigerweise schreiben. Heute mag ich das ja ganz gern, wenn ich mir die Menschen aussuchen darf … Die Pflege sozialer Kontakte ist ein Punkt, den ich manchmal zu wenig beachtet und vor allem nicht immer ernst genommen habe. Und da meine ich nicht nur Nachbarn, Bekannte, Freunde, sondern auch den engeren Familienkreis. Erwiesenes und erforschtes Faktum ist, dass zwischenmenschliche Beziehungen auf jeder