Nur keine Panik. Wolfram Pirchner
Und ich sage dir beziehungsweise schreibe dir, es kostet mich auch heute noch ein wenig Überwindung, das so zu formulieren: Ja, ich kann es. Kann ja nicht jeder von sich behaupten, dass er den Job »kann«, oder? Die Chefs beispielsweise. Haben die vielen, die da gekommen sind und auch alle wieder gegangen sind, ihren Job gekonnt? Es ist nicht meine Aufgabe, das zu beurteilen.
Ich verstelle mich nicht mehr.
Ich war ein toller Radiomann. Gute Stimme, reaktionsschnell, ich gestaltete aufregende Reportagen, war oft der Schnellste und Aktuellste am Ort des Geschehens und innerhalb weniger Minuten auf Sendung. Ich war interessiert, motiviert und neugierig. Außerdem fühlte ich mich in der Anonymität des Hörfunk-Machers sehr wohl, weil ich die Distanz zu meinen Zuhörern hatte. Fernsehen? Ich weiß nicht. In letzter Zeit gefalle ich mir einigermaßen gut, weil ich authentisch bin. Zugegebenermaßen schaue ich mich selbst aber nicht oft an. Und wenn, dann ungern. Das ist nicht so das Meine, obwohl ich das nicht laut sagen sollte, weil die Chefs natürlich wollen, dass man sich analysiert. Aber ich verstelle mich nicht mehr. Und Schauspieler bin ich sowieso keiner. Meine Angst ist bewältigt. Der Respekt ist an ihre Stelle getreten. Ich bin so, wie ich bin, und das kommt authentisch über den Bildschirm. Ob man das jetzt mag oder nicht. Danke für dein Verständnis!
Meine Angst ist bewältigt.
Fernsehmoderator. Wir Männer haben es ja besser als die Frauen. Also beim Moderieren. Sonst nicht. Männer werden nicht so argwöhnisch, nicht so kritisch beobachtet. Sonst dürften doch ein Peter Rapp und ich (bald) nicht mehr im Fernsehen auftreten. Wir sind nicht die »Anchormen« der Geriatrie-Sonderabteilung. Einige wissen nicht, wann der Zeitpunkt des Abschieds gekommen ist, aber wer geht schon gerne freiwillig vom Feld, wenn ihn der Trainer nicht austauscht. Egal, die Leute mögen uns zum überwiegenden Teil, und das ist gut so – für uns. Mit den Neidern musst du sowieso selbst fertig werden. Und die sind breit gestreut. »Das, was der gelackte Affe da macht, das kann ich schon lange.« Jaja, ist schon gut. Und warum machst du nicht den Job, du Pfeife? Ich sage dir, warum. Weil du es nicht kannst. Weil du nur die positiven Facetten siehst. Weil du das angeblich viele Geld riechst. Es ist ein 24-Stunden-Job, glaube mir. Nicht ganz, weil einige Stunden schläfst du ja hoffentlich auch. Aber wenn du in den Supermarkt einkaufen gehst, dann bist du der TV-Moderator. Wenn du im Wartezimmer eines Arztes sitzt, dann bist und bleibst du der Fernsehmann. Auf der Straße, überall. Du wirst angesprochen, du wirst angegriffen, im Sinne von berührt, und manchmal auch für das Fernsehprogramm verantwortlich gemacht. Ich habe Glück, zum überwiegenden Teil mögen mich die Leute. Ich werde nicht beschimpft, ich werde gut behandelt. Aber ich bin, wann immer ich in der Öffentlichkeit bin, öffentliches Gut und »im Dienst«. Weil ich pausenlos mit meinen Zusehern konfrontiert bin. Und da gibt es immer noch welche, die mich fragen, wie toll denn das nicht sei – erkannt zu werden. Wichtig zu sein. Prominent. Nein, es ist nicht toll. Die erste Woche vielleicht, wenn dich wildfremde Menschen anschauen, dich nicht gleich zuordnen können, dann aber kommt das erleichternde: »Ich kenn Sie woher. Sind Sie nicht der Haider? Egal ob Jörg oder Alfons. Oh Gott. Oder der Chmelar. Naja.« Es ist auch schön, wenn dich die Menschen schätzen, dich mögen, du oft der einzige »Besucher« bist, den sie zu Hause empfangen. Da gibt es eine Art Naheverhältnis, von dem du nichts ahnst. Da entsteht aber auch eine gewisse Distanzlosigkeit, so eine Art »Du gehörst mir«-Einstellung, weil ich bezahle ja schließlich auch TV-Gebühren. Und deshalb darf ich dir alles sagen, was ich will, dich berühren, wann immer und wo ich will. Nein, so schlimm ist es nicht, aber manchmal nahe daran. Und darum beneiden dich einige? Warum ärgere ich mich jetzt im Moment des Schreibens? Weil solche beiseite geschobenen Gefühle immer wieder hochkommen und die Erinnerung an unerfreuliche Erlebnisse mit Zusehern zwar verschwommen, aber doch präsent ist. Es muss dir selbst absolut gleichgültig sein, was die Neider über dich sagen und denken. Das war es mir lange Zeit nicht. Aber ich habe viel erfahren, viel gehört und viel gelernt. Die anderen, die Missgünstigen sind mir inzwischen egal. Sie sind uninteressant, ohne Bedeutung. Sie können reden, was und wie viel sie wollen. Nur ehrenrührig, verleumderisch sein, übel nachreden sollten sie nicht. Das könnte im Ernstfall teuer werden.
Während dieser unvergesslichen, ominösen Zeit im Bild ist es also passiert. Hannelore spricht gerade intelligente, wohl formulierte Sätze in die Kamera, als ich ein Schwindelgefühl verspüre, so wie bei einer plötzlichen Kreislaufschwäche, nur viel intensiver. Von hinten, den Rücken herauf kriechend, sich anschleichend, über den Nacken bis in den Kopf. Schwindel. So ganz anders als bei einer Überanstrengung oder ein paar Gläsern Wein zu viel. Bedrohlich, einengend, Furcht einflößend. Was ist, wenn ich jetzt vom Sessel kippe? Viele Hunderttausend Menschen, die hoffentlich brav ihre Gebühren zahlen, würden Zeugen eines einmaligen Vorfalles werden. Oder ist schon einmal eine »Sprechpuppe« während einer Live-Sendung vom Sessel gefallen? Während einer Hauptabendsendung? Ich kann mich nicht erinnern. Zumindest in dieser Hinsicht würde ich Fernsehgeschichte schreiben. Ich wetze nervös auf dem Sessel hin und her, der Schweiß rinnt mir den Rücken hinunter, Hannelore fragt mich, während der Bericht gerade läuft, was denn los sei. »Mir ist schlecht und schwindelig.« – »Willst du ein Glas Wasser, es dauert nur mehr 5 Minuten.« – »Das halte ich schon durch.«
Schnitt. Die Sendung ist vorbei, eine liebe, besorgte Sekretärin bringt mir Kreislauftropfen, ich setze das Fläschchen an, sauge gierig, verschlucke mich fast und vermeintlich geht es mir besser. Schwindel vorbei. Als bekennender und begeisterter Hypochonder mache ich mir so meine Gedanken, was denn los sei. Welcher Krebs breitet sich da jetzt aus, habe ich möglicherweise einen Hirntumor oder mich mit sonst einer schrecklichen Krankheit angesteckt? Panik, Kapitel 1. Einige Sendungen später dasselbe Prozedere. Knapp vor Schluss der Sendung Schwindel, Herzrasen, Übelkeit. Was ist denn das bloß? Sofort zum Arzt. Aber zu welchem um 20 Uhr am Abend? Ist ja schon schwierig genug, rasch am Vormittag einen Termin zu bekommen. Zum Praktiker? Ob der mir helfen kann bei meiner gefühlten schweren Erkrankung? 35 Jahre bin ich alt und sterbenskrank. Hab ich das verdient? Nein, nein, nein! Oder vielleicht doch? Das geht in der Folge so ein, zwei Wochen, wie zähflüssiger Schleim zieht die Zeit, schleppt sich dahin – manchmal vergesse ich, dass ich lebe. Ich habe ständig das Gefühl, einen leichten Rausch zu haben. Nicht wirklich unangenehm, denke ich mir, da ersparst du dir relativ viel Geld. Nur beim Autofahren ist es mühsam und beengend.
Es muss dir selbst absolut gleichgültig sein, was die Neider über dich sagen und denken.
Ich wohnte damals in der Nähe des ORF-Zentrums, den Küniglberg hinunter. Schnell zu Hause. Hinein in die gute Stube, Türe zu. In Sicherheit. Sicherheit? Mehr als drei oder vier Menschen in unmittelbarer Umgebung machten mich nervös, ja, machten mich panisch. Ich ging gerne ins Gasthaus, auch ins Restaurant. Das ging ab jetzt gar nicht mehr. Obwohl ich damals rauchte, diese rauchgeschwängerten, meist überhitzten Räumlichkeiten, die Menschenansammlungen, das brauchte ich gar nicht mehr. Schluss, vorbei. Ein unerträglicher Zustand. Theater, Parkett, Kino – absolut unmöglich. Allein der Gedanke daran schnürte meine Kehle zu.
Ich erinnere mich, dass ich mit meiner damaligen Freundin im Theater war. Einige Reihen vor uns saß der damalige Vizekanzler Alois Mock. Zitternd. Parkinson. Ich fixiere Mock, er tut mir leid, ich beginne auch zu zittern. Mir wird noch übler. Ich beginne zu schwitzen und habe das Gefühl, dass mich alle im Theater anstarren. Mich, den Fernsehkasperl, schwitzend, auf dem Sessel hin und her wetzend, schwindlig. Der Schweiß tropft von meiner Stirn, die Haare scheinen klatschnass zu sein, der Hemdkragen muss schon völlig durchnässt sein. Ich trau mich nicht, mir die Stirn abzuwischen, wie auch, ich habe kein Taschentuch bei mir. Verdammt. Schaut mich wer an? Merkt irgendjemand, was mit mir los ist? Ich frage mich oft: Was ist mit dir los? Endlich die Pause. Wie oft habe ich Theater, Konzerte in der Pause verlassen. Weg von hier, bloß raus. Warum tue ich mir das an? Sofort ins AKH!
AKH
Auf ins AKH, gleich geht es mir besser. Meine Rettung. Mein Zufluchtsort. Mein AKH. Vermutlich werden sie etwas Schlimmes finden. Notaufnahme. »Herr Pircher, ich freue mich, dass ich Sie einmal in Natura sehe«, sagt die liebe Frau in der Aufnahme, der ich als Erstes in die Hände falle. Ich heiße übrigens immer Pircher. Auch heute noch. Für alle. Nur nicht für meine Familie. Steht übrigens auch in meiner Taufurkunde falsch. Naja, egal. Sind beides keine Künstlernamen, weder mit