Nur keine Panik. Wolfram Pirchner

Nur keine Panik - Wolfram Pirchner


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Patienten da, die mit stierem Blick vor sich hinstarren. Keiner beachtet den anderen. Laut, beinahe überlaut werde ich aufgerufen. »Dr. Pirchner in den Behandlungsraum A.« Ich gehe dorthin, was heißt, ich gehe – ich schlurfe, versuche dem Oberarzt zu erklären, dass ich kein Doktor bin, sondern, wenn es denn wichtig sei, lediglich Magister. Ein Schmalspurakademiker sozusagen. Die Schwester knurrt grantig: »Das steht hier, dass Sie Doktor sind, und dann ist das auch so.« – »Ich bin kein Doktor.« Sinnlos. Heute noch, wenn ich wegen irgendwas im AKH bin, höre ich: »Dr. Pirchner bitte dorthin, Dr. Pirchner bitte dahin, Dr. Pirchner egal wohin.« Ich habe diesbezüglich resigniert, es amüsiert mich und vielleicht wurde ich ja im AKH promoviert und habe es nicht mitbekommen. Kann ja sein, wenn man verrückt ist. Ver-rückt meine ich. Dazu aber später … Nur eines noch: Ver-rückt bleibt und ist man sein Leben lang. Gott sei Dank. Ein wenig aus der Mitte. Oft höre ich, wie erstrebenswert es doch sei, »mittig« zu sein, »die Mitte zu finden«, »finde doch zu dir!« Was? Mittig??? Das ist doch fad und langweilig. Mittig? Die Amplituden zwischen Höhepunkten und Tiefpunkten abfedern, das hat mir sehr geholfen. Nicht himmelhoch jauchzend, wenn es einmal optimal läuft – privat, beruflich, finanziell, sozial etc. –, und auch nicht zu Tode betrübt, wenn es hakt. Egal wo und in welchem Bereich. Mittig? Die Flatline bedeutet in der Medizin, dass es aus ist. Exodus. Aber mittig. Genau in der Mitte. Ins Herz.

      Ver-rückt bleibt und ist man sein Leben lang.

      Blutabnahme, EKG. Warten auf den Befund. Leider ist alles in Ordnung. Wirklich und gefühlt »leider«. Du wirst das vermutlich (noch) nicht verstehen, ich gebe zu, es mutet sonderbar an, aber ich hätte schon ganz gerne gehabt, dass sie – die Ärzte – etwas gefunden hätten. Zum Beispiel: »Ihre Halsschlagader ist verengt, verkalkt. Sie müssen sofort etwas unternehmen. Sie brauchen einen Stent! Jetzt!« Ich wollte hören: »Sie haben sich durch jahrelanges Rauchen und Trinken geschädigt. Sie haben sehr schlechte Cholesterinwerte. Es besteht dringender Handlungsbedarf.« Die schlechten Cholesterinwerte hatte ich schon bei meiner ersten diesbezüglichen Untersuchung mit 19 Jahren. Beim Bundesheer wurden wir ja zwangsblutgetestet. Cholesterinwerte? Entsetzlich. Genetisch bedingt. Vererbt. Anlage. »Nein – Sie haben nichts. Es geht Ihnen gut. Jaja, die LDL-Werte sind erhöht, auch die Triglyceride, aber sonst: gesund und munter.« – »Nein, ich bin nicht munter. Mir ist schlecht.« – »Guat schaun S’ aus, wia im Fernsehen. Und so schlank (damals). Im Fernsehen san S’ vü blader.« Das brauche ich jetzt noch. Gut. Danke und auf Wiedersehen. Ab nach Hause.

       Zuhause war die Welt in (Un)Ordnung

      Wenn ich eine Veränderung will, dann tut das weh.

      Herr »Pircher« ist zu Hause. Schwindel beim ORF, Schweißausbrüche im Kino und Theater, nur zu Hause war die Welt noch in Ordnung. Noch. Bis zu dem Tag, besser gesagt bis zu jener Nacht, in der ich um 2 Uhr aufwache und einen Puls von 200 habe. Das weiß ich, weil ich damals ein Pulsmessgerät hatte und sofort gemessen habe. Was in der Panik schwerfiel. Zittrige Hände, fahriges, nervöses Herumgeschussle – endlich der Wert. 200. Na bravo. Ich habe dieses Gerät übrigens später im Sondermüll entsorgt. Ich messe nicht mehr. Ich messe nichts mehr. Ich hasse es zu messen. Weder Gewicht, noch Puls, noch Blutdruck. ICH mach das nicht mehr. Weil es mich verunsichert, mich frustriert und ärgert. Vor allem das Wiegen. Wozu soll ich mich wiegen, wenn ich eh weiß, dass ich zu fett bin. Ein Negativerlebnis jagt das nächste. Und in diesem Fall selbst verschuldet. Wenn Sie glauben, zu dick zu sein, oder es tatsächlich sind, dann wiegen Sie sich bitte nicht mehr. »Ich habe seit gestern 3 Kilogramm abgenommen«, erzählt mir die liebenswerte Kollegin jeden Monat. »Ja, gratuliere! Du hast maximal 3 Liter weniger Flüssigkeit«, möchte ich ihr sagen. Natürlich tu ich es nicht. Um abzunehmen, musst du Fett verlieren. Und 3 kg Fett verbrennst du nicht an einem Tag, auch wenn du ein Fatburning-Training machst, das sich gewaschen hat. Eines, dass dich vermutlich mit einem Kreislaufkollaps ins nächste Krankenhaus katapultieren würde. Langsam, gemach, wenn man das tatsächlich will. Wollen im Sinne von: »Ich mach das jetzt, auch wenn ich weiß, dass es schwer ist.« Wenn ich eine Veränderung will, dann tut das weh. Dann schmerzt das. Dann ist das mit Entbehrungen, mit Überwinden, mit Änderung der Lebensgewohnheiten unmittelbar und eng verbunden. Veränderungen im Essverhalten, im Bewegungsverhalten, in der eigenen Einstellung. Ich musste und muss den Verführungen den ganzen Tag widerstehen, den angebotenen Kekserln, Zuckerln, Desserts, Kuchen und all den süßen Grässlichkeiten, mit denen mich meine wohlmeinenden Mitmenschen stopfen wollen. Beobachte einmal: Meistens sind es dicke Menschen oder solche, die zur Fettleibigkeit neigen, welche dir Süßes anbieten. Warum machen sie das? Überlege. Richtig! Sie machen das, um von ihren eigenen Fettschwarten abzulenken, damit auch du zum Kreis der Erlauchten gehörst. Zu jenen, deren Cholesterinwerte sich in schwindelnde Höhen schrauben, deren Triglyceridwerte katastrophal sind und deren Aorten sich dem Zustand der starken Verkalkung nähern. Es ist verdammt schwer, NEIN zu sagen. Es ist extrem belastend, in der ersten Zeit der – jetzt hätte ich bald Askese geschrieben – von Askese sind wir weit entfernt … also, es ist sehr schwer, Nein zu sagen, die Angebote freundlich abzuweisen – ohne Begründung. Insbesondere in der ersten Zeit des Verzichts, der Veränderung, des geänderten Wollens. Du kannst aber deinen Mitmenschen auch ohne Weiteres sagen: Schluss! Ich bin zu fett und ändere das ab jetzt! Nein, das musst du nicht.

      Ich stand mit meinem Sohn vor einigen Jahren vor einem Eisstand in der Shopping City Süd, um ihm ein Stanitzel zu kaufen. Der Verkäufer erkannte mich: »Grüß Sie, Herr Pircher. Wollen S’ auch ein Eis?« – »Danke, ich esse nichts Süßes.« – »Aber gengan S’ – ein Eis für Sie, lieber Herr Pircher. Ich seh Sie so gern im Fernsehen! Welche Sorte darf’s denn sein?« – »Danke vielmals, aber ich esse keine Süßigkeiten!« Und meine Stimme wurde energischer. Viele Menschen stehen um den Eismann und seinen Stand herum, starren mich an, anstatt sich an dem dargebotenen gefärbten Eisgatsch zu erfreuen und sich von ihm locken zu lassen. Und der Eismann setzt noch einen drauf: »Ich lad Sie ein, Herr Pircher.« So, jetzt hab ich verloren. Es reicht. Die rettende Idee: Ich pirsche mich mit überfreundlicher Miene, verschwörerisch lächelnd an den lästigen Eismann heran, spitze meine Lippen und nähere mich noch mehr – jetzt schon grenzüberschreitend – seinem rechten Ohr. Leicht behaart übrigens. Um dann in die scheinbar erwartungsvoll dargebotene Muschel zu flüstern: »Ich habe eine Zuckerallergie. Wenn ich das Eis jetzt esse, dann falle ich in Ohnmacht. Bitte nicht!« Der Eismann ist entsetzt. Erschrocken wiederholt er mit unvermeidlich lauter Stimme: »Eine Zuckerallergie! Um Gottes willen! Sie armer Mensch. Das ist ja entsetzlich.« Das Eis verschwindet in Kindeshand, das Stanitzel war zu diesem Zeitpunkt bereits leicht schweißfeucht. Ich verabschiede mich zuckersüß und bin mir selber sehr dankbar, die Situation gerettet zu haben. Mein Sohn brabbelt dann irgendetwas von wegen: »Du hast doch keine Zuckerallergie …« – »Klappe!« Egal, ab heute habe ich sie. Die gute Zuckerallergie, die mich so oft vor Süßigkeitsattacken rettet.

      Wenn man etwas will, dann gelingt es auch.

      Ja, ich weiß schon – der Wille alleine ist es nicht. Du musst auch all die wohlmeinenden Menschen in deinem Umfeld davon überzeugen, dass sie dich in Ruhe lassen sollen und müssen, was dein Essverhalten betrifft. Grenzen ziehen und Überschreitungen derselbigen konsequent zurückweisen. Klar und deutlich. Ohne Begründung. »Ich will das nicht!« »Ich möchte das nicht.« »Ich esse nichts Süßes.« Alles klar? Verstehst du, was ich meine? Das »Ich«. Das ist wichtig. Meiner Meinung nach. Wenn man etwas will, dann gelingt es auch. Ohne Waage. Der Gürtel, das Kleid, die Hose sind die besten Indikatoren dafür, ob du abgenommen hast oder nicht. Prinzipiell stellt sich die Frage, ob es erstrebenswert ist, schlank zu sein. Jung, dynamisch, dünn – ein Leben lang. Willst du das wirklich? Oder lebst du mehr im Außen? Ist es dir wichtig, was deine Freunde, Bekannten, Arbeitskollegen sagen? Vielleicht würdest du dich auch mit ein paar Kilogramm mehr durchaus wohl fühlen. Ich höre oft: »Ich muss abnehmen!« Nicht aus gesundheitlichen Gründen, sondern rein aus optischen, aus selbst auferlegten, oder vielleicht weil ich wieder einmal ein magersüchtiges 40-kg-Modell in einer Illustrierten entdeckt habe. »Ein wenig dünn, aber tolle Figur. Gar kein Bauch!« Waschbärbauch statt Waschbrettbauch muss es ja nicht sein, aber es gibt doch etwas dazwischen.

      Hey, wo ist dein Selbstwertgefühl? Wenn du tatsächlich abnehmen willst oder musst, dann


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