Total Compensation. Frank Maschmann
werden.42
3. Doppelter Sperrvorbehalt und Entgeltsysteme
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Dem Betriebsrat stehen für Tarifbeschäftigte innerhalb einer Tarifbindung im Grundsatz keine gestalterischen Mitbestimmungsrechte zu;43 nach §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 2 Satz 1 BetrVG (sog. „doppelter Sperrvorbehalt“) verbleiben jedoch durchaus Mitbestimmungsrechte, und zwar in folgenden Fällen:
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Außer Tarif Beschäftigte: Für denjenigen Personenkreis, für den der Tarifvertrag eben nicht mehr gilt, kann ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei einer Entgeltsystemgestaltung bestehen.
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Tarifbeschäftigte:
– Mitbestimmungsrechte bestehen im Rahmen des § 87 Abs. 1 Nr. 10, 11 BetrVG, d.h. bei den einen Tarifvertrag ergänzenden Entgeltsystemen.
– Und ebenso kann ein Tarifvertrag Öffnungsklauseln44 beinhalten, die z.B. Eingangsgruppen oder Zwischengruppen durch betriebliche Vereinbarung ausdrücklich zulassen. Denn soweit ein Tarifvertrag solche Regelungen ausdrücklich zulässt, greift der Sperrvorbehalt gerade nicht.
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Andererseits sind Betriebsvereinbarungen, die trotz Sperrvorbehalts abgeschlossen werden, schlicht unwirksam.45 Auch einzelvertraglich wird der Inhalt einer solchen Vereinbarung in aller Regel nicht Gegenstand des Anspruchs von Mitarbeitern sondern nur, wenn individualvertraglich gerade die Geltung einer solchen (an sich unwirksamen) Regelung Bestandteil des Arbeitsvertrages werden soll.46 Alleine der Abschluss der Betriebsvereinbarung reicht zu dieser Annahme jedoch nicht aus, da der Betriebsrat nicht als Vertreter der Arbeitnehmer handelt sondern als betriebsverfassungsrechtlich agierendes „rechtsetzendes“ Organ.
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Im Ergebnis ist also nur ausnahmsweise und nur ein Teil der tarifliche Grundvergütung Gegenstand der Mitbestimmung, bzw. sind nur ergänzende oder außertarifliche Systeme mitbestimmt (s. Kap. 12).
4. Tarifbindung und Gleichstellungsabrede
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Oben (s. Rn. 35) wurde aufgeführt, dass Tarifbindung neben der originären – gesetzlichen – Tarifbindung auch vertraglich erfolgen kann. Sollen vermittels Vereinbarung die an sich nicht (gesetzlich) tarifgebundenen Beschäftigten denen, die bereits nach Gesetz tarifgebunden sind, gleichgestellt werden, spricht man von der „Gleichstellungsabrede“: Letztlich soll damit gewährleistet werden, dass alle Beschäftigten, gleich ob der Gewerkschaft zugehörig oder nicht, dem Tarifvertrag und seinen Regelungen unterworfen sein sollen. Dies kann erhebliche Vorteile mitbringen:
– Alle Beschäftigten werden gleich behandelt
– Tarifliche Änderungen (auch verschlechternde) sind auf alle Beschäftigten anwendbar.
– Die (auch verschlechternde) Nutzung tariflicher Öffnungsklauseln durch Betriebsvereinbarung ist für alle Beschäftigten möglich.
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Selbstverständlich „kauft“ man sich hierdurch auch ein, dass Entgeltanpassungen, Arbeitszeitreduzierungen, Einführung tariflicher Altersteilzeit etc. auf die gesamte (Tarif-)Belegschaft anzuwenden ist.
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Unterschieden wird dabei in folgende Klauseltypen, mit denen eine etwaig fehlende Tarifbindung eines Beschäftigten ersetzt werden soll:47
– Die kleine dynamische Klausel bezieht sich auf einen konkreten TarifvertragKennzeichen „Das Tarifwerk vereinbart zwischen Arbeitgeberverband ... und Gewerkschaft ... im Bezirk ... ist in der jeweils gültigen Fassung auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden.“
– Die große dynamische Klausel soll ihre Wirkung auch bei Tarifwechsel entfaltenKennzeichen „Es sollen diejenigen tariflichen Regelungen in der jeweiligen Fassung gelten, die anzuwenden wären, wenn der Arbeitnehmer ebenfalls tarifgebunden wäre.“
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Des Weiteren wird unterschieden, welche Regelungen nach Entfall einer Tarifbindung gelten sollen: statische Weitergeltung des Status quo oder auch unabhängig hiervon Weitergeltung der Dynamik. Letzteres ist insbesondere bedenklich, da ein Arbeitgeber z.B. bei Austritt aus dem Arbeitgeberverband keinerlei Einflussmöglichkeiten auf die materiellen Inhalte mehr hätte. Auch bei Betriebsübergängen ist eine Bezugnahme auf einen konkreten Tarifvertrag insoweit hinderlich, als dieser unabhängig von der Tarifbindung weitergilt, oder sogar das Günstigkeitsprinzip anzuwenden ist.48 Die Verwendung einer solchen verlängerten Dynamik sollte daher reiflich überlegt werden.
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Eine Beispiel-Klausel ist:
Soweit im Arbeitsvertrag oder in ergänzenden Vereinbarungen nichts anderes bestimmt ist, finden auf das Arbeitsverhältnis jeweils die kraft Gesetzes zwischen Arbeitgeber und gewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmern jeweils verbindlichen Firmen- oder Verbandstarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung. Können unterschiedliche Tarifverträge anzuwenden sein, gilt der speziellere.
Insbesondere gelten die dort geregelten Ausschlussfristen, Kündigungsfristen, Regelungen zu zusätzlichem Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, Jahresleistung oder betrieblicher Sonderleistung sowie die tariflichen Öffnungs- und Abweichungsklauseln.
Durch diese Vereinbarung soll Arbeitnehmer für den Fall, dass er/sie nicht schon aufgrund Gewerkschaftszugehörigkeit tarifgebunden ist, einem tarifgebundenen Arbeitnehmer gleichgestellt werden. Entfällt die Tarifbindung des Arbeitgebers, gelten daher die Tarifverträge statisch in der zuletzt gültigen Fassung fort, soweit sie nicht durch andere Abmachungen ersetzt werden.
Derzeit gelten die zwischen Arbeitgeberverband A und IG B bzw. in deren Namen abgeschlossenen Tarifverträge des Bezirkes C und die entsprechenden unternehmens- oder betriebsbezogenen tariflichen Zusatzvereinbarungen bzw. die in diesem Rahmen vereinbarten betrieblichen Abweichungen.
5. Durchsetzung von Zahlungs- und Eingruppierungs-Ansprüchen durch den Mitarbeiter
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Hinsichtlich individualrechtlich denkbarer Ansprüche können zwei verschiedene Ausgangssituationen betrachtet werden: Ein Mitarbeiter reklamiert eine bestimmte Eingruppierung oder ein Mitarbeiter reklamiert eine bestimmte Vergütung.
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In beiden Fällen bedarf es zunächst einer Anspruchsgrundlage. Diese kann – entsprechend obiger Darstellung – der aufgrund gesetzlicher Regelung geltende Tarifvertrag (beiderseitige Tarifbindung oder Allgemeinverbindlichkeit) oder aber die individualrechtliche Geltung (Arbeitsvertrag oder betriebliche Übung) sein. Selten wird auch der Gleichbehandlungsgrundsatz heranzuziehen sein.
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Liegt eine Anspruchsgrundlage vor, ist im Fall einer Klage das Rechtsschutzbedürfnis zu prüfen. Da der Arbeitgeber den tariflichen Vergütungsvorschriften genügt, wenn er eine Vergütung zahlt, deren Höhe den tariflichen Sätzen entspricht, besteht für eine Eingruppierungsfeststellungsklage kein Feststellungsinteresse, wenn der Arbeitgeber zudem eine Erklärung abgibt, wonach alle Vergütungsbestandteile zukünftig auf der Basis einer Vergütungshöhe entsprechend der begehrten Lohngruppe gezahlt werden.49 Einer „reinen Eingruppierungsklage“ auf individualrechtlicher Basis wird in der Regel also kein Erfolg beschert sein. Nur, wenn die Vergütung aufgrund der eingeforderten Eingruppierung höher als die bisherige sein soll, wäre das Feststellungsinteresse gegeben – da allerdings hier eine Zahlungsklage