Total Compensation. Frank Maschmann
BAG geht durchaus davon aus, dass in diesen Systemen – häufig „Bewährungsaufstieg“ oder „Zeitaufstieg“ genannt – nicht ausschließlich der Zugewinn der Arbeitnehmer an Erfahrungswissen honoriert wird;5 rechtliche Bedenken sind hiergegen nicht zu finden. Allerdings sind solche Systeme auch durchaus mit Vorsicht anzugehen, denn teils werden auch Ausfallzeiten in die Bewährungszeit eingerechnet – etwa Zeiten nach dem ArbPlatzSchG.6
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Alternativen hierzu, die diesen „Moral Hazard“ nicht aufwerfen, sind Stücklohnvergütungssysteme. Reine Stücklohnsysteme7 (s. Kap. 2 Rn. 9, 25) finden sich zumindest in Deutschland praktisch nicht. Ein wichtiger Grund hierfür ist die große Schwierigkeit und der erhebliche Aufwand, mit arbeitswissenschaftlichen Instrumenten die jeweiligen Tätigkeiten exakt zu bewerten und zu bemessen. Während in der fertigenden Industrie und insoweit bezüglich häufig stücklohnzugänglichen Arbeiten die Bewertung an sich noch angehen mag, sind auch hier schon Wechsel z.B. der Produktionslinie, zumal in schneller Folge, kaum effizient abbildbar. Das kann innerhalb eines Betriebes ggf. jeweils durch Refa-Methoden gemessen werden, ist für betriebsübergreifende Entgeltsysteme jedoch unbrauchbar; und bei tariflichen Entgeltsystemen sprechen wir gerade von überbetrieblichen Systemen, zudem noch in fertigungstechnisch völlig unterschiedlichen Teilbranchen. Hinzu tritt die Erforderlichkeit verlässlicher Messungen, die unabhängig von Vorleistungen anderer Mitarbeiter, Maschinenausfällen etc. ist.8 Und schließlich impliziert ein reines Stücklohnprinzip, dass auch eine hinreichende Weisungsfreiheit besteht – wie etwa bei Heimarbeit, die regelmäßig im Stücklohn vergeben wird.
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Ein weiterer Grund, weshalb Stücklohn wenig geeignet erscheint, ist neuerdings auch das Mindestlohngesetz (s. Kap. 3 Rn. 60), das einfordert, dass eine etwaige Stücklohnvereinbarung letztlich doch wieder auf Stundenlohn umgerechnet werden muss.9
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Ebenfalls ist beachtlich, dass beim Stücklohn regelmäßig auch das Ergebnis selbst im Vordergrund steht, sodass letztlich eher ein Werkvertrag denn ein Dienstvertrag, der den Archetyp des Arbeitsverhältnisses darstellt, vorläge (z.B. beim Zeitungszusteller ist dem Unternehmer wichtig, dass die Zeitung ankommt, und dies vor einer bestimmten Uhrzeit – die Route, Geschwindigkeit etc. ist ihm regelmäßig jedoch gleichgültig. Gleichwohl der Zeitungszusteller allerdings nach Auffassung der überwiegenden Rechtsprechung – und dies selbst bei mehreren Auftraggebern – Arbeitnehmereigenschaft besitzen soll.10
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Indes, beim Zeitlohn verbleibt das Weisungsrecht vollständig beim Arbeitgeber – wodurch eine ineinandergreifende Arbeitsorganisation letztlich erst möglich wird. Allerdings bleibt auch das Qualitäts- und Leistungsrisiko damit letztlich vollständig beim Arbeitgeber. Dies ist ein Grund dafür, dass auf den Grundlohn häufig Zusatzleistungen aufsetzen, wie eben Akkordlohn (s. Kap. 1 Rn. 38) oder Leistungsvergütung (s. Kap. 20 Rn. 1).
2. Vergütungen jenseits der Grundentgelte
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Hinsichtlich der nachfolgenden Entgeltbestandteile wird sehr im Einzelfall zu entscheiden sein, ob diese zur tariflichen „Grundvergütung“ zu zählen sind oder ob ihnen ein anderer Charakter zuzubilligen sein wird. Für tarifliche Zulagen etc. definieren die Tarifverträge selbst regelmäßig auch, welche Entgeltbestandteile in die Berechnung einzubeziehen sind, teilweise auch sehr detailliert.
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Beispiel:
Manteltarifvertrag für die chemische Industrie, Protokollnotiz
Die Tarifvertragsparteien verstehen im Manteltarifvertrag:
1. unter „Tarifentgelt“ die gemäß § 8 BETV in den bezirklichen Entgelttarifverträgen als Stunden- bzw. Monatssätze ausgewiesenen Tarifentgelte;
2. unter „Monatsentgelt“ das monatliche Tarifentgelt, die tariflichen und die übertariflichen Zulagen, soweit diese regelmäßig monatlich gezahlt werden und nicht von der Arbeitszeit abhängig sind;
3. unter „laufende Monatsbezüge“ das Monatsentgelt und alle anderen monatlich regelmäßig gezahlten Beträge einschließlich Pauschalen für Mehrarbeit, Nachtarbeit, Sonntags- und Feiertagsarbeit;
4. unter „Arbeitsverdienst“ die laufenden Monatsbezüge.
5. Bei der Entgeltfortzahlung ohne Arbeitsleistung können Entgeltbestandteile, die monatlich regelmäßig, aber nicht in gleicher Höhe anfallen, nach den durchschnittlichen Verhältnissen der letzten 12 abgerechneten Kalendermonate oder eines anderen durch Betriebsvereinbarung festzulegenden Zeitraums berechnet werden; ...
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Im Sinne des Bundesurlaubsgesetzes, § 11 Abs. 1 BUrlG, wird die Grundvergütung mit dem Durchschnittsverdienst der letzten 13 Wochen zu definieren sein – mit Ausnahme der Mehrarbeitsvergütung –, also Akkordlohn, Provision etc. eingeschlossen.11 Für Fortzahlung des Entgelts im Krankheitsfall und bei Feiertagen sieht dies § 4 EfzG vergleichbar, lediglich nicht in einer Retrospektive, sondern gemäß Lohnausfallprinzip; d.h., dass außer Zahlungen mit Auslagenersatz und der Mehrarbeitsvergütung (§ 4 Abs. 1a EfzG) im Grundsatz alle Vergütungsbestandteile Berücksichtigung finden müssen.12 Einmalzahlungen sind nach beiden Regelungen indes nicht zu berücksichtigen.13
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Anders indes im Sinne des Kündigungsschutzrechts, dort §§ 1a Abs. 2, 10 Abs. 3 KSchG: Danach ist maßgeblich der regelmäßige Verdienst des Endmonats inklusive Geld- und Sachleistungen, und insbesondere Einmalzahlungen wie Tantieme, Jahresabschlussbeteiligung etc. sind auf den Monat umgelegt einzubeziehen.14 Ein einheitlicher Begriff eines (tariflichen) Grundentgelts ist daher nicht zu sehen.
a) Leistungssysteme
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Um Leistungsanreize zu setzen und unternehmerische Risiken und Chancen auch auf Arbeitnehmerebene zu spiegeln, werden häufig auf den Grundlohn Zusatzleistungen aufgesetzt oder Teile des Grundlohns15 leistungsorientiert ausbezahlt; diesbezüglich sei auf die diese Entgeltbestandteile ausführlich behandelnden Kapitel verwiesen (Akkordlohn s. Kap. 1 Rn. 38, Leistungsvergütung s. Kap. 20 Rn. 1 ff.).
b) Zusätzliches Urlaubsgeld
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Nahezu alle größeren Flächentarifverträge sehen ein zusätzliches Urlaubsgeld – häufig vereinfacht „Urlaubsgeld“16 genannt, im Gegensatz zum „Urlaubsentgelt“, das die laufenden Bezüge während des Urlaubs darstellt – vor. Dabei finden sich folgende Erscheinungsformen:
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Höhe des Urlaubsgeldes: Hier finden sich zwei Grundmodelle. Das eine regelt einen festen Entgeltbetrag je Urlaubstag (z.B. in der chemischen Industrie 20,45 EUR17). Das andere orientiert sich mit seiner Berechnungsformel an der Grundvergütung (ggf. auch mit Zulagen) (so z.B. in der M+E-Industrie 50 % von 1/21,75 tel des täglichen Entgelts18).
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Fälligkeit und Rückerstattung des zusätzlichen Urlaubsgeldes: Zur Fälligkeit ist das Urlaubsgeld üblicherweise im Zusammenhang mit dem tatsächlich gewährten Urlaub gestellt (meist streng akzessorisch) oder aber, durch entsprechende Öffnungsklauseln im Tarifvertrag19 abgesichert, mittels Betriebsvereinbarung zu regeln.
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Rechtsqualität des Urlaubsgeldes: Das Urlaubsgeld kann sowohl als (voll rückzuzahlende) Gratifikation wie auch als (teilrückzuzahlende) Vergütung