Total Compensation. Frank Maschmann
Sonderzahlungen M+E Nordwürttemberg/Nordbaden, § 2: im Auszahlungszeitpunkt kein arbeitnehmerseitig gekündigtes Arbeitsverhältnis 1.12. 26 Vgl. hierzu BAG 15.3.1973, 5 AZR 252/72, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 78. 27 Die nach § 10.2 Manteltarifvertrag M+E Nordwürttemberg/Nordbaden bereits um 12:00 Uhr Mittag beginnt. 28 Eine der wenigen Ausnahmen bildet das sog. Optionsmodell in § 5a Tarifvertrag über Einmalzahlung und Altersvorsorge chemische Industrie. 29 BAG 18.11.2015, 5 AZR 814/14, NJW 2016, 2359. 30 Vgl. BAG 13.2.2002, 5 AZR 713/00, NZA 2003, 215.
II. Anwendung der tariflichen (Grund-)Vergütung, betriebliches Vergütungssystem oder einzelvertragliche Lösungen
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Im Grundsatz gilt, dass ein Arbeitnehmer dann Anspruch auf Tariflohn hat, wenn der Tarifvertrag auf das konkrete Arbeitsverhältnis Anwendung findet; dies kann durch unterschiedliche Rechtsakte erfolgen:
– Die originäre Tarifbindung ergibt sich aus § 3 Abs. 1 TVG; sie besteht, wenn der Arbeitnehmer in der tarifabschließenden Gewerkschaft organisiert ist, der Arbeitgeber im abschließenden Arbeitgeberverband oder aber selbst Partei des Tarifvertrages ist.
– Vertraglich kann die Geltung eines Tarifvertrages durch die sog. „Gleichstellungsklausel“ vereinbart werden, ebenso kommt die Einbeziehung eines Tarifwerkes durch betriebliche Übung in Betracht.31
– Und schließlich ist bei Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach § 5 TVG ein Tarifvertrag ebenso anzuwenden.
1. Unternehmen/Betriebe ohne Tarifbindung und Betriebsrat
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Die größten gestalterischen Möglichkeiten erhoffen sich regelmäßig Betriebe ohne Tarifbindung und ohne Betriebsrat. Das ist insoweit auch richtig, als zwingende tarifliche Vorgaben ebenso fehlen wie die arbeitnehmerseitige Mitbestimmung.
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Allerdings erfordert die Anwendung eines Vergütungssystems gerade hier besonders achtsame Vorgehensweise: Während kollektiv geltende – also durch Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag eingeführte – Systeme insoweit dynamisch sind, als sie letztlich jederzeit kollektiv – auch verschlechternd – abgeändert werden können (s. Kap. 19 Rn. 7 ff.), bestehen bei individualrechtlichen Systemen, soweit der Arbeitgeber sich Änderungen (auch verschlechternd) vorbehalten möchte, folgende Herausforderungen:
– Vertraglich unbedingte Zusagen sind nur einzelvertraglich änderbar; im Weigerungsfall eines Beschäftigten stehen dem Arbeitgeber praktisch keine wirksamen Änderungsmöglichkeiten zur Seite.
– Widerrufsvorbehalte bedürfen einer klaren Regelung, in welchen Fällen der Arbeitgeber vom Widerruf Gebrauch machen kann; während dies für Zulagen, Prämien etc. ggf. noch denkbar scheint, ist dies für ein Grundvergütungssystem letztlich kaum denkbar.32
– Die Ausgestaltung als freiwillige Leistung kommt für Vergütungsbestandteile, aber ebenfalls nicht für die Grundvergütung in Betracht.
– Eine Befristung von Vergütungsbestandteilen als einzelne Vertragsbestandteile ist möglich,33 jedoch nicht für die Grundvergütung.
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Es verbleibt im Grundsatz danach, eine (letztlich möglichst niedrigere) Grundvergütung fest zu vereinbaren und die Lücke zur marktgerechten Vergütung durch befristete, freiwillige oder widerrufliche Zusage zu gestalten. Auf den Bewerber mag eine solche Vertragsgestaltung vermutlich nicht besonders anreizgebend wirken.
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Eine andere Situation besteht, wenn ein Arbeitgeber die „Last der Tarifbindung endlich abgestreift“ haben mag. Nach Wegfall einer Tarifbindung besteht zunächst einmal Nachwirkung, bis diese durch eine anderweitige (ggf. individuelle) Abmachung ersetzt wird,34 sodass die gewünschte Gestaltungsfreiheit für Bestandsmitarbeiter nicht ohne Weiteres erreicht wird. Lediglich für Beschäftigte, die erst im Nachwirkungszeitraum eingestellt werden, wie auch bei Anschlussbeschäftigung eines bis dahin befristetet Beschäftigten besteht die Gestaltungsfreiheit – wobei eine Andersbehandlung wegen des Tarifentfalls nicht zu einer Diskriminierung führt.35
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Ist der Arbeitgeber – und nur dieser – tarifgebunden (durch Verbandsmitgliedschaft oder aber er ist selbst Tarifpartei) braucht er sich gegenüber nicht tarifgebundenen Beschäftigten ebenfalls nicht an das Tarifwerk binden, die Vereinbarung eines Entgelts (auch nach an sich unzutreffender Entgeltgruppe) ist in diesem Fall zulässig.36
2. Betriebsrat und Mitbestimmung – Reichweite und Grenzen
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Im Falle des Bestehens sowohl eines Tarifvertrages als auch eines Betriebsrats stehen dem Betriebsrat zunächst die Rechte aus § 99 BetrVG zu: die Mitbestimmung bei Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung. Von Bedeutung ist dabei, dass jede der personalen Maßnahmen eine eigene Einbeziehung des Betriebsrats erfordert – und dieser auch gesondert zustimmen oder widersprechen kann: So wird anlässlich einer Einstellung zumeist auch eine Eingruppierung parallel erfolgen, anlässlich einer Versetzung häufig eine Umgruppierung. Dies ist aber nicht zwingend (Versetzungen ohne Umgruppierung etwa).
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Unter Eingruppierung versteht man regelmäßig die Einordnung der Tätigkeit eines Mitarbeiters in ein kollektives Entgeltschema.37 Es wird also i.d.R. nicht abstrakt der Arbeitsplatz bewertet, sondern jeweils der entsprechende Stelleninhaber bzw. dessen konkrete Tätigkeit. Außerdem setzt das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats voraus, dass der Arbeitgeber aus bestimmten Rechtsgründen zur Eingruppierung verpflichtet ist – Tarifbindung, vertragliche Inbezugnahme oder betriebliche Übung. Eine Eingruppierung kommt jedoch nicht in Betracht, wenn der Arbeitgeber bei der Einstellung von Arbeitnehmern eine Vergütung ohne solche Inbezugnahme aushandelt, keine Tarifbindung besteht und damit kein Vergütungsschema angewandt werden muss.38 Andererseits muss eine Eingruppierung erfolgen, wenn ein Vergütungssystem tatsächlich oder rechtlich Anwendung findet oder finden muss,39 wobei keine Rolle spielt, ob die Vergütung selbst sich lediglich im Rahmen der tariflichen Vergütung bewegt, deren Anspruch sich direkt aus der Eingruppierung ergibt, oder sie der Höhe nach außer- oder übertariflich ist: Fällt die Tätigkeit selbst in das Eingruppierungssystem, ist eine Eingruppierung auch in diesen Fällen vorzunehmen.
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Dieses Mitbestimmungsrecht besteht selbst dann, wenn ein Tarifvertrag an sich vorsieht, dass nur die zu besetzenden Stellen selbst gemeinsam durch Arbeitgeber und Betriebsrat (ggf. in einer „paKo“ – paritätischen Kommission) bewertet werden und sodann der Mitarbeiter bei Einnahme dieser Stelle „automatisch“ der so gefundenen Entgeltgruppe zugeordnet wird.40
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Das Mitbestimmungsrecht bei der Eingruppierung ist kein Mitgestaltungsrecht des Betriebsrats: Der Arbeitgeber alleine legt im Rahmen des Vertrags und des Direktionsrechts die Tätigkeit des Arbeitnehmers fest. Ist diese allerdings festgestellt, erfolgt der Normenvollzug – die Anwendung des Eingruppierungssystems. Insoweit ist das Mitbestimmungsrecht bei Eingruppierungen ein Mitbeurteilungsrecht.41
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Dem entspricht auch, dass das Widerspruchsrecht zur Ein- oder Umgruppierung unabhängig von dem der Einstellung oder Versetzung