Borrowing Blue. Lucy Lennox
war so dezent, dass ich es beinahe nicht wahrgenommen hätte. Mein Daumen kreiste langsam in seinem Nacken, um ihn zu beruhigen.
»Ich bin Tristan«, stellte ich mich vor und streckte meine Hand aus. Brad nahm sie und schüttelte sie, während meine Worte über Blue und Jeremy noch nachwirkten. Dann war Jeremy an der Reihe und er schüttelte meiner Hand mit etwas zu viel Kraft. Ich erwiderte dies mit meiner eigenen.
Danach legte ich meinen Arm wieder um Blue. Jeremys Blick verfolgte jede meiner Bewegungen. Als seine Augen zu meinen zuckten, grinste ich wissend. Richtig, Kollege. Er ist mit mir hier.
Jeremy sah zurück zu Blue. »Ich hab gehört, du bist befördert worden und ziehst bald um.«
»Es wurde noch nicht öffentlich bekanntgegeben, aber ja, ich schätze, der Redakteur war von meinem Willen zur Wahrheit beeindruckt«, sagte Blue mit einem stechenden Blick zu Jeremy.
Jeremy sah zur Seite, seine Nasenflügel blähten sich.
Brad schien derweil seine Gedanken beisammen zu haben und entschied, dass es Zeit war, ein Wörtchen mit seinem Mann zu sprechen.
»Entschuldigt ihr uns bitte? Jeremy und ich sollten zu unserem Tisch zurückgehen«, sagte er und zog an Jeremys Hand. Ich fragte mich, ob er wohl das legendäre Temperament von Rothaarigen hatte. »Es war nett, euch beide kennenzulernen.«
Blue und ich drehten unsere Stühle zurück. Wir nahmen einen Schluck Wein und blieben für ein paar Minuten still. Dann tat Blue etwas vollkommen Unerwartetes.
Er drehte sich zu mir, lehnte sich in meine Richtung und vergrub sein Gesicht an meinem Hals. Ich legte sofort meine Arme um ihn und hielt ihn fest.
»Ist schon okay, ich versprech’s«, flüsterte ich in sein Ohr. »Bald wird’s dir besser gehen. Eine Woche noch und du bekommst deinen Neustart.« Ich rieb seinen Rücken in langsamen Bewegungen und schmiegte mein Gesicht an seinen Kopf. Gott, wie sehr wünschte ich, dass es anders für ihn sein könnte. Wenn er doch nur direkt in sein Zimmer gegangen wäre, statt zur Bar. Aber dann hätte ich ihn nicht getroffen und ich war nicht sicher, ob ich selbstlos genug war, um mir das zu wünschen.
Blue
Ich wünschte, ich hätte Tristan sagen können, wie viel es mir bedeutete, ihn in meiner Nähe zu haben, als Jeremy mit Brad näher gekommen war. Tristan wirkte wie ein guter Mann. Vielleicht weil er wusste, wie es war, sich zu trennen und mit all den Erinnerungen konfrontiert zu werden, oder weil er einfach von Grund auf eine empathische Person war. Seine unterstützende Berührung zu spüren und zu wissen, dass ich nicht aussah wie ein erbärmlicher Loser, der allein in einer Bar saß und aß, ließ mich erleichtert und besser fühlen.
Nachdem ich mich aus der Umarmung zurückgezogen und einmal tief durchgeatmet hatte, lächelte ich ihn voller Dankbarkeit an. Sein Gesicht war so offen und aufrichtig, dass ich keinerlei Unwohlsein ihm gegenüber verspürte. Bei irgendeinem anderen fremden Kerl hätte ich mich vielleicht geschämt, so bedürftig zu wirken. Dieser hier jedoch war jemand, den ich vermutlich nicht wiedersehen würde, und er wirkte, als würde es ihm nichts ausmachen.
Tristan winkte Frank und der trat zu uns. »Zwei Red Headed Sluts, bitte«, bestellte er mit starker, selbstbewusster Stimme.
Mir klappte der Mund auf bei seiner Bestellung und ich starrte ihn an. Er sah zu mir herüber und hob eine Augenbraue. »Was? Die sind gut«, sagte er. »Ist ja nicht meine Schuld, wenn der Drink, den ich mag, zufälligerweise noch besonders gut passt.«
Und schon lachte ich wieder. Wie machte Tristan das nur? In einem meiner schrecklichsten Momente seit Monaten brachte er mich zum Lachen.
Die Shots gingen leicht runter und er bestellte eine zweite Runde. Während wir auf Frank warteten, erzählte Tristan mir eine andere Geschichte aus seiner Vergangenheit, um mich abzulenken.
Wir stürzten unseren zweiten Shot hinunter, bevor Tristan Frank nach zwei Gläsern Eiswasser fragte. Ich blickte über meine Schulter und sah Jeremy, der nahe bei Brad saß. Sie lehnten ihre Stirnen aneinander. Unabsichtlich entkam mir ein Seufzen.
»Vergiss die beiden, Blue. Du verdienst was Besseres als diesen Kerl«, sagte Tristan mit leiser Stimme, sodass nur ich ihn hören konnte.
»Mein Kopf weiß das«, gab ich zu. »Aber es ist trotzdem schwer, das zu sehen. Es ist nicht mal so, dass ich ihn will. Ich will nur diese Intimität, verstehst du? Berührungen. Ich vermisse es, mit jemandem zusammen zu sein.«
»Du sagtest, du hast dich mit einigen getroffen seit der Trennung?«, fragte er mich.
»Ja, aber es ist scheiße, wieder in der Situation zu sein. Sobald man in seinen Dreißigern ist, scheint es, dass alle entweder schon in einer Beziehung sind oder bloß einen Club-Aufriss machen wollen. Was ist mit dir? Hast du seit der Scheidung andere Frauen getroffen?«, fragte ich.
»Nicht wirklich. Ich war ein paar Mal aus, aber … Ich weiß nicht. Irgendetwas fehlt. Ich hab irgendwie aufgehört, es zu versuchen. Und ich gebe dir recht, dass es in unserem Alter schwerer ist als noch vor ein paar Jahren.«
Ich beobachtete seine Lippen, während er sprach. Diese vollen, roten Lippen, die von dunklen, glänzenden Stoppeln umrahmt wurden. Bartstoppeln, die sich kratzig an meiner Haut angefühlt hatten, aber die gegen Morgen möglicherweise weicher würden. Seine Lippen waren perfekt. Rot und noch immer feucht von dem Schluck aus seinem Wasserglas. Während ich ihn anstarrte, fuhr er mit der Zunge über seine Unterlippe. Meine Augen zuckten ertappt nach oben und ich bemerkte einen Blick in seinen Augen, den ich nicht erwartet hatte. Verlangen.
Bestimmt lag ich falsch. Der Kerl war hetero. Ich musste aufhören, zu trinken. Eilig griff ich nach meinem Wasserglas und stürzte es hinunter. Versuchte ich etwa, die Aufregung zu löschen, als wäre sie eine Art Feuer? Auf alle Fälle war sie heiß wie ein Feuer. Kam das von den Drinks oder von der Anziehung, die der Hetero-Mann neben mir auf mich ausübte? Was zur Hölle dachte ich da? Da lief ich Jeremy über den Weg und hatte nichts Besseres zu tun, als mich an den ersten Kerl zu hängen, der mir begegnete? Ich musste hier raus.
»Ähm«, stammelte ich. »Frank, ich glaube, ich bin bereit für die Rechnung, bitte.«
»Nein, nein«, sagte Tristan. »Ich mach das. Frank, das geht auf mich.«
»Das kann ich nicht«, sagte ich und zog meine Geldbörse heraus. Tristans Hand legte sich auf meine.
»Bitte lass mich zumindest dein Abendessen bezahlen, Blue. Ich habe deine Gesellschaft genossen und andernfalls hätte ich allein gegessen. Ich werde ein Nein als Antwort nicht akzeptieren.« Er schenkte mir ein Lächeln, das ich automatisch erwiderte.
»Danke Tristan. Das schätze ich sehr.«
Als ich meine Geldbörse wieder in meine hintere Hosentasche schob, bemerkte ich, dass Jeremy mich anstarrte. Tristan drehte sich um, um zu sehen, was ich sah, und musste ihn auch gesehen haben.
Dann sah ich, wie Tristan von Jeremy zu mir sah, mein Gesicht in beide Hände nahm und sich vorlehnte, um mich direkt auf die Lippen zu küssen. Und es war nicht nur ein Schmatzer. Der Kuss passierte in einer Art sanfter Zeitlupe. Zärtlich, liebkosend, mit Zunge und Lippen. Alles zusammen kam in einer Explosion aus Sternen, die mir den Atem nahm.
Tristans Mund war warm und schmeckte nach Red Headed Slut. Ich saugte ihn auf und wollte mehr. Meine Hände legten sich auf seine Hüften, während mein Hirn versuchte, eine rote Warnflagge zu hissen, die schrie: ›Er ist hetero, er ist hetero!‹
Mein Schwanz hisste eine andere Flagge. Diese war schwarz-weiß kariert und schrie: ›Auf die Plätze, fertig, los!‹
Tristans Finger vergruben sich in meinem Haar und zogen meinen Kopf noch näher zu seinem. Meine eigenen Finger fanden Gürtelschlaufen, hakten sich ein und zogen seine Hüfte näher. Seine Zunge wirbelte umher und erkundete meinen Mund. Ich fühlte seine steife Länge gegen meinen Bauch drücken und schauderte, als mir klar wurde, dass er ebenso hart war wie ich.
Warte. WARTE. Was zur Hölle passierte gerade? Das hier fühlte sich genauso wenig nach einem Fake-Kuss an