Borrowing Blue. Lucy Lennox
Und alles, was ich sagte, war: »Meh.«
Nun war er an der Reihe, mich zu schlagen, aber stattdessen küsste er mich. »Bleib«, sagte er mit leiser Stimme. »Bitte bleib.«
An diesem Punkt flutete die Stimme des Zweifels mein Hirn. Schlaf nicht bei einem Gast. Fang in der Woche, in der dein Bruder heiratet, nichts an. Dieser Kerl wird bald weiterreisen und nächste Woche nicht mehr da sein. Was dann? Oh, und er ist ein Kerl.
Aber noch während mein Hirn nach Antworten suchte, glitt mein Körper – nackt unter der riesigen Bettdecke, angeschmiegt an den warmen, sinnlichen Mann neben mir – in den Schlaf. Blues Körper roch leicht nach Zitronen und dem eindeutig männlichen Geruch eines Körpers nach einem langen Tag. Ich atmete tief ein, als wäre es Lachgas und ich beim Zahnarzt, verzweifelt danach, es auf der Suche nach süßer Unterwerfung in meinen Körper zu bekommen.
Ich wachte einige Stunden später wieder auf und musste dringend aufs Klo. Als ich zu mir kam, fühlte ich Brusthaar unter meiner Hand und erschrak kurz, bis ich mich daran erinnerte, dass es Blue war. Dann sank ich zurück zu ihm, wollte bloß einen Augenblick lang vollkommen mit ihm verbunden sein, bevor ich ins Bad ging.
Meine Lippen fanden sein Schulterblatt und ich küsste es sanft, streckte meine Zunge heraus, um seine Haut zu schmecken. Ich hatte unrecht gehabt, als ich Wein mit Ambrosia verglichen hatte. Der wahre Nektar der Götter war die Haut dieses Mannes.
Schließlich zwang ich mich, aufzustehen und ins Bad zu gehen. Ich verfluchte die Drinks, die zu dieser drückenden Blase geführt hatten. Ich ließ die Lichter aus und tat mein Bestes, um leise zu sein, aber als ich zurück zu Blues warmem Körper kroch, wusste ich, dass er wach war.
»Entschuldige«, flüsterte ich. »Ich wollte dich nicht wecken.«
»Is’ okay«, murmelte er verschlafen. »Muss auch auf’s Klo.«
Als er zurückkam, grinste er mich an. »Hast dich ja gar nicht aus dem Staub gemacht.«
»Nope. Ich bin unerschrocken«, scherzte ich. »Außerdem bist du warm und kuschelig. Und flauschig. Das ist wie Schmusen mit einem Welpen oder so.«
»Ist das eine ausgefallene Art, mir zu sagen, dass ich deine Schlampe bin?«, fragte er.
»Ich würde dich niemals so nennen. Außer wir wären im Gefängnis. In dem Fall, ja. Ich wäre erfreut, dich als meine Schlampe zu haben, und es wäre eine Ehre, dich meine Knastschlampe nennen zu können. Genauer gesagt, nun, da ich zum ersten Mal darüber nachdenke, seit ich herausgefunden habe, dass ich mich zu dir hingezogen fühle: Wir sollten auf einen Raubzug gehen und uns gefangen nehmen lassen. Denk an all den Sex, den wir haben könnten, während wir einsitzen. Jemand würde sogar für uns kochen. Da sollte man mal drüber nachdenken.«
»Klingt herrlich. Ich sag dir was: Du versuchst es zuerst und lässt mich wissen, wie es war.« Er kicherte in meine Brust. Ich hob einen Arm, sodass er näherkommen und seinen Kopf auf meiner Schulter ablegen konnte. Es fühlte sich gut an. Es fühlte sich richtig an. Ich küsste ihn auf den Kopf, atmete den Duft seines Shampoos ein.
Ich schob meine Zehen unter eine seiner Waden und zog sein Bein näher zu mir. Besser. Er legte den Kopf schief und sah mich an, aber ich konnte seinen Gesichtsausdruck in dem dunklen Raum nicht erkennen.
»Was ist los?«, fragte ich und hätte ihn fast, fast, »Baby« genannt. Was zur Hölle? Vielleicht war ich gestürzt und nun in einer Art künstlichem Koma. Ich war am Morgen aufgewacht und als ganz gewöhnlicher Hetero-Kerl zur Arbeit gegangen. Und nun lag ich hier im Bett, nackt, mit einem fremden Mann, den ich mit Zuneigung überschütten wollte.
»Nichts«, sagte Blue.
»Lügner.«
»Verdammt, Tristan. Es ist zu spät für tiefgründige Gedanken. Lass uns einfach wieder schlafen.«
Ein Teil von mir wollte weiterdrängen. Wollte wissen, welche tiefgründigen Gedanken in seinem Kopf herumgingen. Aber er hatte recht. Es war wirklich spät und ich musste am nächsten Tag arbeiten. Außerdem musste ich irgendwie aus diesem Zimmer kommen, ohne dass meine Angestellten mich das Undenkbare tun sahen: den Gang der Schande aus dem Zimmer eines Gastes.
Ich sollte gehen, aber ich konnte mich nicht dazu durchringen, ihn zu verlassen. Nur ein kleines Bisschen länger. Nur ein paar Stunden mehr meine Haut gegen seine und das Gefühl seines warmen Atems auf meiner Brust.
Mein Handywecker ging um Punkt sechs und ich stellte ihn innerhalb von Sekunden ab. Zum Glück begann er erst leiser und ich reagierte so schnell, dass Blue nicht davon wach wurde. Mich von ihm wegzustehlen, brach mir fast das Herz, weil ich nicht wusste, wann ich ihn wiedersehen würde. Ich duschte schnell und zog mir die Jeans über, als ich mich an mein ruiniertes Shirt erinnerte.
Nachdem ich ein Notizbuch und einen Stift gefunden hatte, von denen ich wusste, dass sie im Nachttisch lagen, kritzelte ich eine Nachricht und ließ sie vor dem Badezimmerwaschbecken liegen.
Blue war gerade erst angekommen, also nahm ich an, dass er länger bleiben würde als eine Nacht. Das bedeutete, dass ich ihn vermutlich wiedersehen würde, aber würde er etwas von mir wissen wollen? Würde er mich wieder in sein Bett lassen? Oder würde er am Morgen aufwachen und alles bereuen?
Ich lehnte mich zu ihm und küsste seine Stirn. Er sah im Schlaf so friedlich und entspannt aus. Der Mann war umwerfend. Nicht perfekt, aber so wunderbar unperfekt, auf alle richtigen Arten. Ein Goldjunge. Ich musste mich selbst daran erinnern, dass ich ein verdammt glückliches Arschloch war, weil ich eine Nacht mit ihm verbracht hatte, selbst wenn ich nie wieder eine Chance bekommen würde, ihn zu berühren.
Ich griff ein graues T-Shirt aus Blues Koffer und schlüpfte hinein, bevor ich mich auf den stillen Flur stahl und mich durch eine Hintertür zu meinem Wagen schlich.
Ich fuhr die Viertelmeile zu meiner Hütte und sah Piper, die gegen den Zaun lehnte und mich aus dem Garten beobachtete. Sie sah angepisst aus. Ihre blauen Augen bohrten sich durch mich hindurch. Super. Genau das, was ich jetzt brauchte. Jemand, der Schuldgefühle weckte. Ich hatte es verdient. Ich hatte die Hütte letzten Abend verlassen und ihr versprochen, dass ich eine Stunde später zurück sein würde. Sie war nicht glücklich darüber gewesen, aber ich war trotzdem gegangen. Und dann war all das mit Blue passiert und ich hatte nicht mehr an sie gedacht.
Okay, vielleicht verdiente ich diese Schuldgefühle. Einmal mehr hatte ich die Liebe meines Lebens zurückgelassen, aber ich wusste nur zu genau, dass sie mir vergeben würde, wie sie es immer tat.
Blue
Als ich erwachte, war ich nicht wirklich überrascht, allein zu sein. Es war zu schön gewesen, um wahr zu sein. Dennoch war ich enttäuscht. Nein, das war ein zu schwaches Wort dafür. Niedergeschlagen. Ja, das war passender. Ich war verdammt niedergeschlagen. In den Armen eines wunderbaren, nackten Mannes war ich eingeschlafen, dessen bloße Stimme tausend kleine Glocken in mir zum Klingen brachte. Aber aufgewacht war ich allein. Ohne Arme um mich herum und ohne die kleinen Glöckchen in meinem Inneren. Gott, ich konnte mich nicht leiden.
Ich musste unbedingt damit aufhören. Verwandelte ich mich wirklich in einen jämmerlichen, liebeskranken Teenager? Fuck.
Als ich mich unter die heiße Dusche stellte, fühlte ich mich erbärmlicher als zu dem Zeitpunkt, als ich Tristan noch nicht getroffen hatte. Und schon da hatte ich gedacht, nicht erbärmlicher werden zu können … haha.
Ich drückte etwas Shampoo in meine Hand und erinnerte mich an den Song, den ich einmal in einem alten Film gehört hatte. Irgendwas darüber, dass man sich den Kerl direkt aus den Haaren waschen sollte. Ja, genau das. Das werde ich tun. Wenn ich aus der Dusche trete, werde ich über ihn hinweg sein.
Als ich mich umdrehte, um meinen Kopf abzubrausen, sah ich durch die Glastür und bemerkte etwas.
Augenblick. War das eine Notiz?
Eilig beendete ich die Dusche und trocknete mich gerade genug ab, um das Papier zu greifen, ohne es nass zu machen. Ich hatte Filme gesehen. Ich wusste, dass es das Ende bedeutete, wenn das Papier nass wurde, bevor man