Flucht. Benjamin Withmer

Flucht - Benjamin Withmer


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es nicht. Sie werden uns in Denver suchen. Oder auf dem Weg nach Mexiko. Da, wo alle hingehen.«

      »Mir ist scheißegal, wohin wir gehen.« Mopars Gehirn fühlt sich an, als würde es seinen Kopf verlassen und gegen die Zimmerwände drücken. »Ich muss nur hier raus.«

      »Das ist seit jeher dein größtes Problem«, sagt Howard. Er ruft in Richtung Küche: »Seid ihr Hundesöhne alle fertig?«

      Warrington und Bad News kommen herein. Warrington trägt einen ledernen Reisekoffer. »Hab ich oben gefunden«, sagt er. »Hab einiges an Futter eingefüllt.«

      »Prima«, sagt Howard. »Und was hast du, Bad News?«

      Aber Bad News hört ihm nicht zu. Er starrt zum Weihnachtsbaum mit der Krippe darunter. Porzellanfiguren in Kleidern aus Sofakissenstoff. Josef und Maria und eine dieser Puppen, die sich selbst nassmachen können, als Jesus. Er geht hinüber, nimmt den Baby-Jesus aus der Futterkrippe. »Das ist eine Puppe«, sagt er. Klopft mit seinen Knöcheln gegen ihren Kopf und schlägt sie dann neben dem Baum gegen die Wand. »Es ist eine Puppe.«

      »Es ist eine Puppe«, sagt Howard. »Nicht mehr und nicht weniger.«

      Immer noch hält Bad News die Puppe an einem Arm fest, er nimmt ihren anderen Arm und zieht so lange daran, bis er nachgibt. Füllmaterial quillt heraus. Dann reißt er ihr auch noch den zweiten Arm aus und dreht ihren Kopf ab. »Eine verdammte Puppe.« Die Puppe in seiner Hand hat keine Arme mehr und keinen Kopf. Bad News steht mit hängenden Schultern da und schneidet ein Gesicht. Er lässt die Puppe zu Boden fallen, hebt eins der Geschenke hoch. Er hält es ans Ohr und schüttelt es. »Auch die Geschenke sind leer.« Ihm bricht die Stimme, als er das sagt.

      Howard sieht ihn an. »Die Welt ist dafür da, dir das Herz zu brechen«, sagt er. »Zeit, dass wir gehen, Blödsack.«

       6

       – Die Geächtete –

      Dayton legt Jeans heraus und ein ledernes Arbeitshemd. Sie zieht sich schnell und methodisch und ohne viel darüber nachzudenken an. So wie man es tut, wenn man sich für ein Ereignis anzieht, bei dem der Kopf mit anderen Dingen beschäftigt ist, zum Beispiel für eine Beerdigung. Zuletzt wirft sie die Arbeitsjacke für die Scheune über und steckt sich ein sorgfältig gefaltetes, verblichenes rotes Taschentuch in die Tasche. Es ist Ethans Jacke gewesen, aber als sie all die Arbeit übernommen hat, ist es ihre geworden. Als er das Haus nur noch für das Außenklo verlassen hat. Anfangs hat sie die Jacke aus Trotz getragen, weil sie gewusst hat, dass sie eins seiner Lieblingsstücke war. So ist das eben.

      Ethan ist nie ein besonders guter Farmer gewesen. Er kam als frischgebackener Lehrer aus Ohio, direkt vom College, und aus einem Haus, das von Ziersträuchern umgeben war. Aber er ließ sich einen Bart wachsen, hatte die Segeltuchjacke an und sah standesgemäß aus. Die Farm hatte er bar bezahlt.

      Um Chili zu essen und Bier zu trinken, war er manchmal am Abend in den Yard hinuntergekommen, wo sie arbeitete. Das Wichtigste an ihm war, dass er anders war. Es ist die Art Stadt, wo jeder von außerhalb gut aussieht, einfach deshalb, weil er nicht wie die andern ist. Es gibt hier nichts als Gefängniswärter mit Igelschnitt und Gesichtern platt wie Hammerhaie.

      Ethan spielte auch Billard. Nicht besser als die anderen Männer in der Stadt, aber bei ihm sah es besser aus. Er beugte sich so tief hinunter, dass er mit der weißen Kugel auf Augenhöhe war, sein ganzer Körper legte sich in die Richtung, in die er stieß. Die Männer machten sich zuerst darüber lustig, wie er seinen Hintern in die Luft reckte, sich mit seinem Queue lang machte. Aber die Frauen lachten nicht, und nach einer Weile gehörte er dazu. Nach einer Weile machte es nicht einmal mehr etwas aus, dass er etwas Hippiehaftes hatte. Und es störte sich auch niemand daran, dass er immer Geld hatte, um eine Runde auszugeben.

      Klar hielten ihn alle für ein wenig verrückt. Aber wer ist das nicht selbst ab und an. Ein Großteil solcher komischen Kauze landet dann hier. Diese Stadt ist ein Ort, an dem man versackt. Es gibt ein paar Familien hier, die sich bis zur Großelterngeneration zurückverfolgen lassen, aber das ist eher die Ausnahme. Die meisten Leute sind nach diesem oder jenem Krieg hier gestrandet, wollten eigentlich weiterziehen, sind aber geblieben – wie Kaffeesatz in einer Tasse. Es ist ein Ort, der für jemanden wie Ethan wie gemacht ist.

      Und er sah einfach gut aus mit seinem Bart, der Jacke und den langen Haaren, länger als die von jedem anderen Mann in der Stadt. Jedenfalls empfand Dayton das so. Er war der Einzige, der mit ihr flirten durfte. Der Einzige, bei dem sie sogar zurückflirtete.

      Es kam so weit, dass Ethan wartete, bis Dayton mit der Arbeit fertig war, sie einen Joint zusammen rauchten und durch die Stadt spazierten. Gras hatte er immer. Schließlich fing er an, sie abzuholen und mit rauf zur Farm zu nehmen. Wie sich zeigte, konnte er dort ein wenig Hilfe gut brauchen, sie hatte eh nie gern im Yard gearbeitet.

      Es war ungezwungen und leicht. Für knapp zwei Monate.

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      Es passierte an einem kühlen Sommernachmittag. Ethan war wegen Viehfutter in die Stadt gefahren. Dayton hatte die Haustür offen stehen, das Fliegengitter wackelte im Luftzug. Sie hatte die Wäsche von der Leine genommen und den Stapel auf den Küchentisch gelegt, um alles zusammenzulegen. Stattdessen aber trank sie Tee und lauschte dem kleinen Kofferradio. Ein Rock’n’Roll-Sender spielte gerade einen Song von Bob Dylan: … Tief im Herzen weiß ich, dass ich nicht entkommen kann …

      Sie hörte, den Truck über die Auffahrt fahren, schenkte ihm aber keine Beachtung. Denn da war diese fette schwarze Fliege, die um sie herumsurrte. Dayton verfolgte sie mit den Augen. Sie hoffte, das Insekt möge sich irgendwo niederlassen und ihr die Zeit geben, die Fliegenklatsche vom Wandnagel zu nehmen. Dayton stellte sich schon den Blutfleck vor, den es gleich geben würde.

      »Kannst du die Tür aufmachen?«, fragte Ethan da mit einem Mal durch das Fliegengitter.

      Als sie ihn ansah, griff sie zur Fliegenklatsche. Sie wusste nicht genau warum, aber plötzlich war sie in ihrer Hand.

      Seine beiden Augen waren purpurschwarz, die Nase zerschlagen und geschwollen, der Nasenrücken aufgeplatzt, sein Bart voller Blutfäden.

      Er sagte: »Ich kann die Tür nicht aufmachen.« Mit der rechten Hand hielt er dabei seinen linken Unterarm fest.

      Sie ließ die Fliegenklatsche fallen und stieß die Tür auf.

      »Danke«, sagte er. Er schlurfte herein, ging um sie und den Küchentisch herum ins Wohnzimmer. Als er auf der Couch lag, warf er seinen Kopf zurück wie ein Vogel, der aus einem Wasserglas getrunken hat.

      Sie öffnete den Küchenschrank neben der Spüle und brachte ihm Desinfektionsmittel und Verbandsmaterial. Er hatte seinen linken Arm in den Schoß gelegt, hielt die rechte Hand und studierte sie. Die Knöchel waren völlig unverletzt. Was immer sie mit ihm gemacht hatten, es war ohne Widerstand geschehen.

      »Wer war es?«, fragte sie.

      »Du weißt, wer es war«, sagte er. Er holte tief Luft durch den Mund. Ein Pfeifen war zu hören. Ethan sah sie an und öffnete den Mund. Einer seiner Vorderzähne war schräg abgebrochen.

      »War es das Marihuana?«

      Er grinste sein neues Zahnlückengrinsen. »Sie hätten mich umgebracht.«

      »Und dann?«

      Durch seine blutunterlaufenen Augen schielte er sie an. »Was denkst du übers Heiraten?«

      Das war es, was er sie fragte.

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      Dayton sperrt die Hütte hinter sich ab. Der Wind treibt den Schnee den Berghang hinunter, über die Wiese, ihr hart ins Gesicht. Sie steckt die Hände in die Taschen, marschiert über die Auffahrt, an ihrem Truck vorbei zum Feldweg. Dayton geht nicht gern zu ihren Nachbarn. Sie weiß,


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