Konstruktive Rhetorik. Jürg Häusermann

Konstruktive Rhetorik - Jürg Häusermann


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das Biotop, in dem sich diese abspielt.

      Den Kontakt verstärken

      David Malan hat eine halbe Stunde lang sehr einfache Beispiele präsentiert, mit denen er in das Denken der Informatik eingeführt hat. Er hat gezeigt, wie sich Boolesche Operatoren, Funktionen und Ausdrücke unterscheiden. Dann verlässt er die Inhaltsebene und stellt das Team vor, das hinter dem Lehrprogramm steckt, die Mitarbeiterinnen, mit denen die Studierenden zu tun haben werden. Dies ist eine einfache Methode, den Kontakt auf Beziehungsebene zu verstärken. Natürlich hat er schon zu Beginn Kontakt aufgenommen, durch die Art der Ansprache, durch Blickkontakt oder Fragen. Aber das Interesse für die Personen, die hinter der Präsentation stecken, ist größer, wenn eine Basis gelegt ist. Nach einem ersten einführenden Teil macht es Sinn, die Assistentinnen kennenzulernen. Deren Namen und Aufgaben können jetzt mit den ersten Erfahrungen verknüpft werden; Informationen auf verschiedenen Ebenen werden nutzbringend miteinander verknüpft.

      Was sie nachher tun: die Weiterverwendung von Reden

      Buddha zog ein halbes Jahrhundert lang von Ort zu Ort und verkündete seine Lehre. Eine Gruppe von Mönchen begleitete ihn, und diese Mönche prägten sich ein, was der Meister zu sagen pflegte. Als er 483 v.Chr. starb, konnten sie die Reden und Aussprüche mit großer Genauigkeit aus dem Gedächtnis wiedergeben, und auch in den folgenden Jahrhunderten wurden diese kaum verändert von Mund zu Mund weitergegeben.57 Es gehört zur Tradition des öffentlichen Redens, dass seine Produkte mehr Bestand haben, als es die flüchtige Form vermuten ließe. Die Reden die Buddha vor zweieinhalbtausend Jahren hielt, wurden in einer Form festgehalten, die es leichter machte, sie weiterzugeben.58 Eine Mnemotechnik, eine Methode, das Gedächtnis zu aktivieren, war entwickelt worden, die der schriftlichen Aufzeichnung ebenbürtig war.59 Lange bevor die buddhistischen Mönche lesen und schreiben konnten, konnten sie sich auf einen Wortlaut für die Reden berufen, der für sie alle als gesichert galt.

      Auch in unserer Kultur haftet einer mündlichen Rede noch immer an, dass sie zur Weiterverwendung und Weiterwirkung dienen soll. Sie hat einen bestimmten Wortlaut, ist in gewissem Sinne ein Text, auf den sich Redner und Zuhörende berufen können. Im Parlament oder bei Gerichtsverhandlungen wird mitgeschrieben. Ein Protokoll wird erstellt, aufbewahrt und liegt zur Einsicht vor. Aber auch da, wo Mitschriften nicht üblich sind, wie in der Predigt, oder wo nur unvollständige Aufzeichnungen entstehen, wie bei der Vorlesung, kann der Redner auf seine Worte verpflichtet werden.

      Das gesprochene Wort ist nicht flüchtig

      Eine öffentliche Rede hat schon deshalb mehr Bestand, weil die Zuhörenden die Erwartung haben, etwas mitnehmen zu können. Um die Behaltensleistung zu erhöhen und die Wiedergabe zu erleichtern, wird auch im Zeitalter der elektronischen Aufzeichnung besondere Sorgfalt auf die sprachliche Form verwendet. Wer kompliziert redet, kann mit weniger Widerhall rechnen. Wer prägnant formuliert, findet eher Resonanz.

      Viele große Reden leben anhand von eingängigen Zitaten weiter: In Winston Churchills erster Rede als Premierminister war es die Aussicht auf „Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß“.60 John F. Kennedy ist in Erinnerung mit seiner Aufforderung: „Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann; fragt, was ihr für euer Land tun könnt.“61 Aus Helmut Kohls Rede vor der Knesset 1984 (und vielen anderen Reden) ist es die Formel von der „Gnade der späten Geburt“.62

      Prägnante Formulierungen können eine öffentliche Rede zu einem literarischen Ereignis machen. Rhetorik ist da wie schon im Altertum die Kunst, seine Sache schön und gut zu sagen (lat. ars bene dicendi). Aber den Schwerpunkt auf den stilistischen Schmuck zu legen, ist für den unmittelbaren Dialog nicht relevant. Es demonstriert vielmehr den monologischen, oft propagandistischen Charakter einer öffentlichen Rede. Wer dagegen den Dialog sucht, wird die Schwerpunkte anders setzen.

      Verstärkt wird die sprachliche Leistung durch den Einsatz weiterer Medien, die Visualisierung mit einer geeigneten Software oder die Diskussion eines Demonstrationsobjekts. Aussagen werden verstärkt, indem mehrere Sinne angesprochen werden, nicht nur der akustische. Die Ethnologin projiziert die Flugbahn eines Bumerangs auf ein Panorama der Heimatstadt ihrer Zuhörenden, so dass sie die Aussage: „Flugdistanz 427,2 m“63 besser begreifen. Der Zoologe bringt ein Nashorn zum Streicheln mit, um die Dicke der Haut nachvollziehbar zu machen. Die Genetikdozentin verteilt Papiere, die mit der Verbindung PTC getränkt sind, so dass jeder Zuhörende überprüfen kann, ob er das Gen für den bitteren Geschmack hat oder nicht. Die Kombination der Sinne sorgt dafür, dass die gewonnenen Informationen besser behalten und weiterverwendet werden. Denn autonome Weiterverwendung gehört zur Vorstellung von Öffentlichkeit. Die Adressaten bringen, was sie gehört haben, in andere Diskurse ein. Sie übernehmen Fakten und Argumente daraus, sie kommentieren oder widerlegen es. Jede Rede ist deshalb auch nur einer von vielen Bausteinen im thematischen Gebäude, das im öffentlichen Diskurs erstellt wird. In einer modernen Gesellschaft gehört zur Aktivität des Publikums auch, dass es weitere Quellen zur Verfügung hat. Es kann die Fakten anhand journalistischer und wissenschaftlicher Texte überprüfen und sich bei den verschiedensten Medien nach weiteren Informationen und Meinungen erkundigen.

      Dass Reden zur Weiterverwendung gedacht sind, weist auf die aktive Rolle des Publikums ebenso wie auf die Verantwortung der Rednerin hin. Es kann für diesen aber auch eine Erleichterung bedeuten, zu wissen, dass sein Text nur eine von vielen Wortmeldungen zum Thema ist.

      imageDas Publikum macht immer mit

      Sogar für klassische Reden gilt: Nicht nur Rednerin und Veranstalter sind aktiv, sondern auch das Publikum. Es beteiligt sich durch:

      imageMitdenken

      imageemotionale Reaktionen

      imagekreative Mitarbeit

      imageorientierendes Vernetzen

      imageWeiterverwenden

      Die traditionelle öffentliche Rede kann im Publikum potenziell alle diese verschiedenen Ebenen aktivieren – die inhaltliche, die emotionale, die kreative und die orientierende. Wer sie erkennt und nutzt, tut einen wichtigen Schritt in Richtung konstruktive Rhetorik.

      7Das Problem: Monolog statt Dialog

      Als die ketzerische Bevölkerung von Rimini keine Lust zeigte, den Predigten des Heiligen Antonius zu lauschen, begab sich dieser zum Strand und sprach zu den Fischen. Als er sie rief, schwammen sie in dichten Schwärmen herbei und sie blieben, bis er ihnen den Segen erteilte.64

      Dagegen, dass Antonius seine Redebegabung auch der Tierwelt zuteil kommen ließ, ist natürlich nichts einzuwenden. Für die Fische in der Adria war es sicher eine willkommene Abwechslung und es wird ihnen nicht geschadet haben. Merkwürdig ist, dass dieses Wunder die verstockten Leute von Rimini dazu animierte, sich ebenfalls an den Strand zu begeben, vor dem Prediger auf die Knie zu gehen und ihm ebenso brav zuzuhören.

      Dabei war die Situation so einseitig, wie es nur geht: Einer sprach, die anderen hörten


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