Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman. Toni Waidacher
Halb lachend und halb weinend fiel sie ihm um den Hals und drückte ihre Lippen auf seinen Mund.
*
»Der Großvater hat mich dort eingesperrt«, erzählte sie, nachdem sie sich begrüßt hatten.
Christian schüttelte den Kopf.
»Was ist nur in den Mann gefahren?« sagte er. »Der gehört eingesperrt.«
»Du darfst ihm net böse sein«, wendete Veronika ein. »Er ist krank, glaube ich. Er muß unbedingt von einem Arzt untersucht werden.«
Ihr Verlobter sah sich um.
»Wir müssen sehen, daß wir hier rauskommen«, sagte er. »Dein Großvater hat gedroht, die Hütte anzuzünden. Wenn er bemerkt, daß ich hier drin bin – wer weiß, was er dann alles anstellt.«
Veronika hatte unterdrückt aufgeschrien, als Christian ihr von Großvaters Drohung berichtete. Ihr Verlobter zog sie hastig in das Zimmer, durch das er eingestiegen war, da wurde die Tür aufgerissen und Urban Brandner stellte sich in den Weg. Offenbar hatte er doch etwas gehört.
Er sah schrecklich aus. Die Haare standen wirr von dem Kopf ab, und seine Augen flackerten unstet. Man mußte kein Mediziner sein, um zu erkennen, daß der Mann nicht mehr Herr seiner Sinne war.
Doch am schlimmsten war das brennende Holz, das er in den Händen hielt.
Christian schnupperte. Aus dem Gastraum zog der Geruch von Petroleum herein. Der Alte hatte es also wirklich ernst gemeint mit seiner Drohung, die Hütte anzuzünden.
»Großvater, ich bitt’ dich, gib mir den Scheit«, sagte Veronika.
Sie war furchtlos dem alten Senner gegenübergetreten, der sie merkwürdig durchdringend anschaute.
»Maria…?« kam es fragend von den Lippen.
Das Madel sah ihren Verlobten an. Christian nickte ihr aufmunternd zu.
»Ja, Vater«, antwortete sie da. »Was ist denn?«
Der Senner schaute von Veronika auf Christian, und wieder zurück.
»Die Kühe müssen gemolken werden«, sagte er und drehte sich um.
Die beiden jungen Leute sahen sich an, während der alte Urban in den Gastraum zurückging. Immer noch hielt er den brennenden Holzscheit in der Hand. Veronika und Christian folgten ihm vorsichtig. Plötzlich drehte er sich um und stierte sie beide an.
»Du bist net meine Tochter!« schrie er ungestüm und böse und warf das brennende Holz hinter sich.
»Großvater!« schrie das Madel entsetzt.
Hinter dem Alten breitete sich in Sekundenschnelle das Feuer aus.
*
Pfarrer Trenker und Dr.Wiesinger wurden allmählich unruhig. Seit einigen Minuten reagierte Urban Brandner nicht mehr auf ihre Rufe. Zuvor hatten sie sich noch mehr oder weniger unterhalten. Die Unterhaltung bestand im wesentlichen darin, daß Sebastian versuchte, Vorschläge zu machen, damit der Alte die Tür freiwillig öffnete, während Urban dies kategorisch ablehnte und weiterhin drohte, das Haus in Brand zu setzen.
Und von Christian Wiltinger war auch nichts zu sehen oder zu hören.
»Was geschieht darinnen nur?« sagte Toni Wiesinger. »Diese Stille ist beinahe unheimlich.«
Und Sekunden später schien die Hölle loszubrechen. Schreie und Gepolter waren aus der Hütte zu hören. Die beiden Männer sahen sich kurz an, dann stürzten sie zur Tür.
Sie war immer noch geschlossen, aber von irgendwoher drang Brandgeruch.
»Das Fenster«, zeigte der Arzt neben sich.
Ohne weiter zu fragen, nahm er den Ellenbogen und schlug die Scheibe ein. Den Haken zu lösen und das Fenster zu öffenen war eins. Dicker Rauch quoll nach draußen. Sebastian schwang sich nach dem Arzt in die Hütte hinein.
Die Flammen hatten sich weiter ausgebreitet, während Christian und Urban miteinander rangen. Toni Wiesinger kam Veronikas Verlobtem zur Hilfe, während Pfarrer Trenker sich dem Madel anschloß, das aus der Küche Wasser, Feuerlöscher und Decken heranschleppte, um das Feuer zu löschen.
Urban schlug und trat um sich. Es schien, als verleihe ihm seine Wut auf die Eindringlinge Bärenkräfte. Doch gegen zwei Männer konnte er nichts ausrichten. Gemeinsam brachten sie den Alten nach draußen, wo er vor der Hütte zusammenbrach.
Die beiden Männer liefen wieder hinein, und halfen das Feuer unter Kontrolle zu bringen. Gottlob gelang es ihnen schnell und sie konnten verhindern, daß noch größerer Schaden angerichtet wurde. Der Gastraum sah zwar schlimm aus mit den verkohlten Balken und den Spuren von Rauch, aber alles andere war heil geblieben. Lediglich der Brandgeruch würde noch einige Zeit bemerkbar sein.
Erschöpft, aber glücklich trat Veronika ins Freie. Dr. Wiesinger hatte sich um den Großvater gekümmert und ihm eine Spritze gegeben. Beinahe apathisch saß er auf der Bank, in eine Decke gehüllt, die der Arzt aus seinem Wagen geholt hatte.
»Wird er wieder gesund werden?« fragte das Madel angstvoll.
»Es braucht alles seine Zeit«, erwiderte der Arzt. »Aber ich habe gute Hoffnung. Wenn man Ihren Großvater begreiflich machen kann, daß er Sie nicht verlieren wird, was auch immer geschieht, wenn Sie ihm das sagen, und er Sie wirklich versteht, dann glaube ich, daß er eines Tages wieder ganz gesund sein wird.«
Veronika wischte die Tränen aus den Augen und nahm Christians Hand. Zusammen traten sie vor Urban Brandner.
»Großvater, das ist Christian, mein Verlobter«, sagte das Madel. »Ich hab’ dir doch von ihm erzählt. Du mußt jetzt schnell gesund werden, Großvater. Der Christian und ich wollen doch heiraten, und du mußt unbedingt dabeisein.«
Urban hob den Kopf und schaute nur stumm.
»Es stimmt, was die Veronika gesagt hat«, bestätigte Christian. »Und wir wollen Sie net nur bei unserer Hochzeit dabei haben. Wenn Sie es wollen, dann würden die Vroni und ich uns freuen, wenn Sie ganz zu uns kämen.«
Das Madel drückte die Hand ihres Verlobten ganz fest. Es schien, als habe er ihre geheimsten Gedanken erraten. Denn, den Großvater zu sich zu nehmen, daran gedacht hatte sie auch schon, aber nicht gewagt, es auszusprechen.
Daß Christian es nun von sich aus vorschlug – war das schönste Geschenk, das er ihr machen konnte.
Sebastian Trenker klopfte dem alten Brandner auf die Schulter.
»Was sagst’ zu diesem Vorschlag?« fragte er. »Lang’ genug hast’ ja gearbeitet. Wird Zeit, daß du dich zu einem geruhsamen Lebensabend zurückziehst.«
Urban sah erst ihn an, dann schaute er auf Veronika und ihren Bräutigam, und ein leises Lächeln huschte über seine Lippen.
*
Ich dank dir, Herr, daß du noch alles zum Guten gewendet hast, betete Sebastian stumm. Allerdings steht mir noch ein schwerer Gang bevor.
Es war noch vor der Abendmesse, als der Pfarrer dieses Gebet verrichtete, und der schwere Gang, an den er dachte, sollte ihn zum Sterzinger-Bauern führen. Er hatte ja Kathie versprochen, sich für sie bei ihrem Vater einzusetzen. Sebastian wußte, daß das kein leichtes Unterfangen werden würde.
Er setzte sich in seinen Wagen und fuhr zu dem alten Bauernhof hinauf. Es war ein stolzes Anwesen, zu dem eine weitere Alm gehörte, die der Bauer verpachtet hatte, und mehrere Äcker, die er mit zwei Knechten bearbeitete.
Einen Sohn hatte der Sterzinger nicht, obgleich dies sein größter Wunsch gewesen ist. Statt dessen hatte seine Frau ihm ein Madel geschenkt, das der ganze Stolz des Vaters geworden ist.
Und das machte die Angelegenheit so schwierig. Wer immer auf dem Hof einheiratete – er würde schon etwas Geld mitbringen müssen, oder mit anderen Worten – so einer wie der Thomas Anderer kam für den Sterzinger schon gar nicht in Betracht!
Daran