Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman. Toni Waidacher
des ganzen Trubels saß. In der Hand hielt es ein Weinglas und schaute zu den Tanzenden hinüber. Gern hätte Christel Hornhauser sich ebenfalls in den Armen eines feschen Burschen über den Tanzboden gleiten lassen, doch bisher hatte niemand sie aufgefordert. Dabei war Christel wahrlich kein Mauerblümchen. Mit den dunkelbraunen Augen wirkte sie zwar wie ein scheues Reh, doch das kleine kecke Näschen und die vollen roten Lippen konnten einen Mann schon verzaubern.
Das mußte wohl auch Tobias Hofer gedacht haben. Der Bursche, Knecht im dritten Jahr auf dem Lechnerhof, schob sich an den Tanzenden vorbei, direkt auf das Madel zu, das er schon eine ganze Weile im Blick hatte.
»Möchtest’ tanzen?« fragte er Christel.
Die schaute ihn überrascht an.
»Wie bitte?«
»Ob du tanzen möchtest?«
Das Madel sprang auf und stellte das Glas ab.
»Sehr gerne.«
Die Kapelle spielte gerade einen Walzer, und Christel glaubte zu schweben. Stundenlang hätte sie so tanzen mögen, und dazu mit solch einem feschen Partner.
Unverschämt gut schaute er aus, der Tobias. Christel hatte ihn einige Male gesehen, wenn sie auf den Hof kam.
Das Madel war mehr als sechs Monate im Jahr droben auf der Jenner-Alm, wo es zusammen mit der Mutter die Sennenwirtschaft betrieb. Nur heuer, zum Geburtstag der Altbäuerin, war sie heruntergekommen.
Ja, fesch ist er schon, und du mußt aufpassen, daß du dich net in ihn verguckst, dachte Christel. So einer war doch bestimmt schon in festen Händen. Die anderen Madeln mußten ja mit Blindheit geschlagen sein, wenn sie so einen frei herumlaufen ließen!
Sie seufzte innerlich. Was soll’s, morgen war sie wieder droben auf der Alm, und der Tobias würde sie sicher schon nach diesem Tanz vergessen haben.
Aber Tobias dachte gar nicht daran. Er tanzte diesen Walzer mit ihr, und den nächsten Tanz und den übernächsten, und Christel spürte ihr Herz vor Aufregung pochen. Dann führte er sie an die Theke, und sie tranken prickelnden Sekt, und nach dem zweiten Glas ging es zurück auf die Tanzfläche.
»Wirst’ gar net müd?« fragte das Madel lachend, als Tobias auch weiterhin auf dem Tanzboden blieb.
»Du etwa?« fragte er zurück und zwinkerte mit dem Auge.
»Nein, aber ich glaub’ ich muß bald gehen, es ist schon spät.«
»Schad’. Wo wohnst denn? Ich bring’ dich heim.«
»Eigentlich auf der Jenner-Alm, aber heut’ übernachte ich bei der Tante, drüben, in Sankt Johann.«
Wie selbstverständlich hakte er sie unter und brachte sie aus der Scheune.
»Da drüben steht mein Wagen«, zeigte er auf ein kleines rotes Auto.
*
Christels Herz klopfte noch schneller, als sie neben ihm saß. Viel zu schnell waren sie in Sankt Johann angekommen, und nun hielt der Wagen vor dem Haus der Tante.
»Ja, also, ich geh’ dann mal«, sagte sie und reichte ihm zum Abschied die Hand. »Vielen Dank fürs Herbringen.«
Tobias nahm ihre Hand und zog sie ganz zu sich heran.
»Weißt du eigentlich, daß du wunderschöne Augen hast?«
Christel erschauerte unwillkürlich. Langsam zeichnete sein Finger die Konturen ihres Gesichts nach, und seine Augen schienen auf den Grund ihrer Seele zu blicken. Sie ließ es geschehen, daß er sie in die Arme nahm, und sein suchender Mund fand ihre Lippen.
Christel löste sich aus seinen Armen. Sie lächelte.
»Ich muß gehen.«
»Sehen wir uns wieder?« fragte er hoffnungsvoll.
»Wenn du willst…«
»Ob ich will?« rief Tobias aus. »Madel, ich bin bis über beide Ohren in dich verliebt. Natürlich will ich dich wiedersehen. Morgen, übermorgen – jeden Tag, den der Herrgott werden läßt!«
Er hielt inne und schaute sie fragend an.
»Magst’ mich auch? Vielleicht ein bissl’?«
Christel nickte glücklich.
»Ja, Tobias, und net nur ein bissel, sondern sehr.«
Er küßte sie noch einmal, und für Sekunden war die Welt um sie herum versunken.
Daher bemerkten sie auch nicht die Gestalt, die in einiger Entfernung hinter einem Baum stand und den kleinen roten Wagen beobachtete.
Ein paar Meter weiter stand ein anderes Auto, das dem der Christel und Tobias vom Lechnerhof gefolgt war. Lore Inzinger kochte vor Wut, als sie Tobias den ganzen Abend mit dem anderen Madel tanzen sah, und als er dann die andere dann auch noch nach Hause brachte, da war der Kessel kurz vorm explodieren. Tobias war ihr Freund, seit mehr als einem Jahr! Gut, sie hatte, wie schon so oft, einen Streit vom Zaun gebrochen und ihn wieder einmal zum Teufel gejagt. Aber das war doch nicht ernst gemeint, und Tobias wußte das! Sich gleich an eine andere heranzumachen – wart’ Bursche, so haben wir net gewettet.
So leicht wirst’ mich net los, dachte Lore. Du wirst noch an mich denken – ihr beide werdet an mich denken. Die Flausen werd’ ich euch austreiben!
Wütend stieg sie in ihren Wagen und brauste davon. Die beiden jungen Menschen, die sich gerade erst gefunden hatten, ahnten nichts von der dunklen Wolke, die da auf sie zuschwebte.
*
Das beständige Klopfen an die Tür seiner Dienststelle riß Max Trenker aus tiefstem Schlummer. Um ihn herum drehte sich alles, und sein Schädel dröhnte, als marschiere eine ganze Armee darin.
Verschlafen zog er seine Uniform an und eilte zur Tür.
»Was gibt’s denn? rief er und drehte den Schlüssel um. Draußen stand Dr. Wiesinger. Er sah ziemlich wütend aus.
»Herr Doktor, ist was passiert?«
»Das kann man wohl sagen«, schnaubte Toni. »Ich möchte eine Anzeige erstatten.«
Max gähnte und sah auf die Uhr, während er Toni Wiesinger eintreten ließ. Schon halb acht. Wäre der Arzt nicht gekommen, dann hätte er glatt seinen Dienst verschlafen!
Mühsam versuchte der Polizeibeamte sich zu erinnern, was am Vortag geschehen war, und langsam fiel es ihm auch wieder ein – die Geburtstagsfeier bei Maria Leitner…
»So, eine Anzeige wollen Sie erstatten«, wiederholte er die Worte des Arztes. »Gegen wen denn, und warum?«
Sie waren mittlerweile im Dienstzimmer angekommen, und Max bot den Stuhl vor seinem Schreibtisch an, während er sich auf seinen dahinter setzte.
»Gegen Alois Brandhuber«, sagte Toni erregt. »Wegen Kurpfuscherei und Schlarlatanerie.«
Max sah den Beamten nichtverstehend an.
»Was ist denn vorgefallen?« fragte er.
Dr. Wiesinger schilderte, wie er den selbsternannten Wunderheiler verfolgt und beobachtet hatte.
»In der Nacht zu gestern, sagen Sie?«
Max Trenker zuckte die Schulter. Zwar hatte er ein Blatt Papier in die Schreibmaschine eingespannt, um das Protokoll aufzunehmen, aber noch kein Wort geschrieben.
»Also wissen S’, Herr Doktor, ich glaub’ net, daß wir weit damit kommen«, sagte er und riß das Papier wieder aus der Maschine. »Es gibt kein Gesetz, das dem Brandhuber-Loisl verbietet, nachts Kräuter zu sammeln, egal ob bei Mondschein oder Regen.«
Er hob beide Hände, als der Arzt protestierend den Mund öffnete.
»Ich weiß, die Sache mit dem Lärchner-Bauern.«
Ignaz Lärchner, ein Bauer aus Sankt Johann, wäre beinahe an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben, weil seine Frau