Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman. Toni Waidacher
Verlobten, wenn ich Sie bitte, die Trauung vorzunehmen. Wir würden gerne in Ihrer herrlichen Kirche heiraten.«
Sebastian lächelte erfreut.
»Das ist ein Wunsch, den ich Ihnen gerne erfüllen will«, sagte er. »Ich weiß schon heute, daß Sie beide ein glückliches Paar sein werden. Der alte Urban hat es für seinen Lebensabend glücklich getroffen.«
Er reichte ihnen die Hand und verabschiedete sich.
»In einem Vierteljahr sehen wir uns wieder«, versprachen die beiden.
*
Sebastian Trenker hätte jauchzen mögen, so gut ging es ihm. Noch bevor die Sonne aufgegangen war, war er losgezogen. Über steile Hänge und blumenübersäten Wiesen führte sein Weg. Murmeltiere und Marder, Gamsböcke und Wildschafe kreuzten seinen Weg, und der Pfarrer konnte sich gar net satt sehen, an der Vielfalt der göttlichen Schöpfung.
Auf einer bewaldeten Anhöhe rastete er. In der Thermoskanne war heißer Kaffee, und in einer Dose befanden sich Speck und Käse. Dazu gab es das herrliche Brot, das die Haushälterin selber backt. Sebastian machte es sich am Stamm einer Birke bequem und ließ es sich schmecken. Er war mit sich und der Welt zufrieden. Wieder einmal hatte sich alles zum Guten gefügt, und Kummer und Sorgen waren vergessen.
Schon bald würde die Madonnenstatue wieder ihren Einzug in die Kirche feiern, und dann stand ja das große Fest an, an dem Urbans Enkeltochter vor den Traualtar trat.
Auch Kathie und Thomas hatten ihre Hochzeit schon angemeldet, und Sebastian war überzeugt, daß es eine glückliche Ehe werden würde.
Überhaupt war er mit seinen Schäfchen zufrieden, wenn es auch das eine oder andere schwarze Schaf darunter gab – wie den Brandhuber-Loisl mit seinen Arzneien.
Dennoch, das Schicksal meinte es gut mit den Leuten von Sankt Johann, dem liebenswerten Dorf in den Bergen, und wenn doch mal etwas schief lief, dann hatten sie ja immer noch ihren Bergpfarrer…
Es war eine laue Vollmondnacht, als eine dunkel gekleidete Gestalt durchs schlafende Sankt Johann schlich. Immer wieder schaute sie sich um und vergewisserte sich, daß ihr niemand folgte.
Alois Brandhuber, allgemein nur der »Brandhuber-Loisl« genannt, hatte seine Gründe dafür. Wieder einmal war es – nach den Geboten seines geheimnisvollen Zauberbuches – an der Zeit, auf die Suche nach Kräutern, seltenen Pflanzen und Wurzeln zu gehen, die der selbsternannte Wunderheiler des kleinen Bergdorfes
zur Herstellung seiner Tees, Salben und Tinkturen benötigte. Um die Wirksamkeit dieser Heilmittel zu garantieren, bedurfte es
bestimmter Faktoren, von denen das gesamte Gelingen abhing. Zum einen mußte es der rechte Zeitpunkt sein – unbedingt Vollmond –, es mußten die richtigen Worte gesprochen werden, um die Pflanzenkräfte zu beschwören, und es durfte niemand dabeisein und die Zauberworte hören, der nicht ein Eingeweihter war. Deshalb schlich Loisl kurz nach Mitternacht los – in der Hand einen Korb aus Weidenruten – wenn er sicher sein konnte, daß die Leute friedlich in ihren Betten lagen und schliefen.
Der Wunderheiler, wie er sich gerne von seinen Kunden nennen ließ, hatte schon sehnlichst auf diese Nacht gewartet, war sein Vorrat an Salben und Tees seit der letzten Dekade doch beträchtlich geschrumpft. Dies verdankte er weniger seinen dubiosen Künsten, als vielmehr seiner Fähigkeit, den Leuten Krankheiten einzureden, die sie gar nicht hatten, und ihnen dann seine Mittelchen zu verkaufen. Nicht wenige seiner »Patienten« sorgten durch Mundpropaganda für reißenden Absatz. Sehr zum Leidwesen des jungen Dorfarztes Dr. Toni Wiesinger.
Der sympathische Mediziner hatte größte Mühe, die Leute davon zu überzeugen, daß er ein ›richtiger‹ Arzt war. In Sankt Johann war man der Meinung, wer keine grauen Haare hatte und nicht gebückt ging, konnte kein Arzt sein. So war nämlich das Bild des verstorbenen Arztes, Dr. Bechtinger, gewesen, der mehr als vierzig Jahre in Sankt Johann praktiziert hatte. Vor einem guten halben Jahr war Dr. Bechtinger gestorben, noch bevor er den verdienten Ruhestand antreten konnte, und Dr. Wiesinger hatte die Praxis übernommen. Seitdem kämpfte er um seine Anerkennung gegen Aberglaube und Kurpfuscherei. Ein scheinbar aussichtsloser Kampf, denn immer wieder mußte er erleben, daß die Leute, anstatt zu ihm in die Praxis zu kommen, die armselige Tagelöhnerhütte aufsuchten, in der der Brandhuber-Loisl hauste.
Immerhin wurde Toni Wiesinger in seinem Kampf von Sebastian Trenker unterstützt. Der Pfarrer der St. Johanniskirche und der junge Dorfarzt waren sich schon beim ersten Augenblick ihres Kennenlernens sympathisch gewesen, und Pfarrer Trenker wurde nicht müde, von der Kanzel herunter gegen die Dummheit der Leute anzureden.
Doch nickten sie in der Kirche noch beifällig und schüttelten den Kopf über den Leichtsinn anderer, sich dem Loisl anzuvertrauen, so liefen sie bestimmt nach dem Kirchgang in seine Hütte, wenn ein Zipperlein sie plagte.
*
Toni Wiesinger wälzte sich schlaflos in seinem Bett hin und her. Das Haus mit der Praxis stand in einer kleinen Straße, die zum Kirchplatz führte, und genau darüber stand der volle Mond, dessen Licht in das Schlafzimmer des Arztes fiel.
Dr. Wiesinger sah auf den Wecker auf dem Nachtkästchen. Gerade Mitternacht vorbei. Vielleicht würde es etwas helfen, wenn er ein Glas Milch trank und dann noch ein wenig in der Zeitung blätterte. Seufzend warf er die Bettdecke ab und setzte sich auf. Die Hausschuhe standen vor dem Bett. Der Arzt schlüpfte hinein und ging hinunter in die Küche. Mit dem Milchglas in der Hand öffnete er die Tür zum Wohnzimmer. Den Lichtschalter brauchte er nicht zu betätigen, das Mondlicht erhellte den Raum genügend. Neben dem Fenster stand ein Tisch, auf dem allerlei Zeitungen und Illustrierte lagen, darunter auch eine medizinische Fachzeitschrift, die zu lesen Toni noch nicht die Zeit gehabt hatte.
Während er nach der Zeitschrift suchte, fiel sein Blick aus dem Fenster. Stirnrunzelnd nahm er die dunkle Gestalt wahr, die eben an seinem Haus vorbeischlich, in Richtung Kirche.
Dr. Wiesinger wurde sofort aufmerksam. Wenn jemand um diese Zeit so durch das Dorf ging, konnte das nichts Gutes bedeuten, und vor nicht allzu langer Zeit hatte es erst einen Einbruch in die Kirche gegeben, bei dem eine wertvolle Madonnastatue geraubt worden war.
Die Polizei hatte die Diebe zwar dingfest machen können, und die Statue war längst wieder an ihrem angestammten Platz, doch Nachahmer gab es immer wieder. Allerdings wollte der Doktor, ohne einen konkreten Verdacht, nicht gleich die Pferde scheu machen, darum beschloß er, die merkwürdige Gestalt zunächst einmal alleine zu verfolgen und herauszufinden, wer sie war und was sie vorhatte.
Er eilte ins Schlafzimmer und zog sich blitzschnell an. Dann rannte er die Treppe hinunter, schloß die Haustür auf und lief auf die Straße. Von der Gestalt war nichts zu sehen, doch der Arzt ahnte die ungefähre Richtung, in die sie gegangen sein mußte. Und richtig – als Toni Wiesinger an der Kirche um die Ecke bog, schlurfte sie in einigen Metern Entfernung vor ihm.
Die Kirche war also nicht das Ziel, dennoch war Toni neugierig geworden, zumal ihm die geheimnisvolle Gestalt zumindest von der Statur her bekannt vorkam. Der Arzt folgte in einigem Abstand und achtete darauf, immer im Schatten der Häuser und Bäume zu bleiben, an denen er vorüberkam.
Es war schon sehr merkwürdig, wie der Dunkelgekleidete sich verhielt. Ab und zu blieb er stehen, schaute sich um, warf einen Blick zum Himmel und schlurfte dann weiter, aus dem Dorf hinaus. Einmal, als er wieder zum Himmel hinaufschaute, drehte er sich dabei in Tonis Richtung, und der Arzt erkannte, wen er da vor sich hatte.
Den Brandhuber-Loisl!
Na, Bursche, dir bleib’ ich auf den Fersen, dachte der junge Mediziner, wenn du hier nächtens durch die Gegend schleichst – dann willst’ bestimmt irgendeinen Schabernack aushecken!
*
Der Brandhuber war an einer großen Wiese angekommen, die bis an den Berghang heranreichte. Unmengen von Blumen und Wildkräutern wuchsen auf ihr. Bärlauch und Enzian, Rittersporn