Dr. Sonntag 13 – Arztroman. Peik Volmer
von mir, herzlichen Dank!«
»Schon recht, schon recht!«, rief Egidius heiter. »Ich hatte heute früh nichts Besseres zu tun! Und wenn es so glatt läuft wie bei Ihnen, dann macht es ja förmlich Freude! – Frau Kreuzeder, ich werde Ihnen nachher noch ein paar kleine Anweisungen aufschreiben, für zu Hause. Und sie benötigen noch ein Rezept über niedermolekulares Heparin! Ja, Herr Kreuzeder! Sie brauchen gar nicht so zu schauen! Schwester Karin hier …« – er legte den Arm um sie – »… wird Ihnen noch 14 Tage lang täglich eine Injektion verabreichen! Andernfalls muss ich Ihnen die Gemeindeschwester auf den Hals jagen! Mit der ist nicht gut Kirschen essen, das kann ich Ihnen flüstern! – So, mich entschuldigen Sie bitte! Das Hygiene-Institut der Universität hat den Übeltäter gefunden! Eine verdorbene Charge mit diesem Mascarpone-Zeugs! Bei uns liegt der Fehler Gott sei Dank nicht, und freundlicherweise sind insgesamt nur 5 Fälle aufgetreten, weil aus diesem Konvolut nur drei Packungen verwendet wurden! Herrn Barbrack konnte ich nur mit Mühe daran hindern, von einer Brücke zu springen! Immerhin, die Kollegin Schickenreuth hat es am ärgsten erwischt!«
Er senkte die Stimme.
»Und wenn Sie mich fragen, gebe ich diesem Umstand den Titel: ›Ein Gottesgericht‹!«
»Aber Herr Professor!«, sagte Frau Kreuzeder in gespielter Empörung. Aber sie konnte, genauso wie ihr Chef, sich ein Grinsen nicht verkneifen.
*
Erinnern wir uns kurz zurück: Chris und Philipp saßen mit Hannes im Eiscafé, als Chris’ Handy klingelte. Er hatte das Display Philipp gezeigt. HATICE, stand da zu lesen. Die Inhalte der letzten Anrufe brachten Trauer, Resignation, sogar Verzweiflung mit sich. Das alles schoss Chris durch den Kopf. Am liebsten hätte er den Anruf gar nicht entgegengenommen. Aber hätte es das besser gemacht?
Er hatte sich also gemeldet, distanziert, unter Nennung seines Nachnamens.
»Ich wollte euch nur sagen«, ertönte Hatices Stimme aus dem kleinen Gerät, »dass ich überfällig bin!«
»Überfällig womit?«, fragte Chris.
»Du bist manchmal wirklich wie vernagelt, mein Alter!«, lachte Philipp gutmütig. »Hallo, Hatice! Philipp hier! Und du meinst das …«
»Hallo, Philipp! Nein, ich meine nicht nur! Ich bin mir sicher.«
»Wie sicher?«
»98%!«
»Das ist aber schon sehr sicher! Hast du einen Test gemacht?«
»Ich gehe morgen lieber zu Antretter! Ich habe Angst davor, dass ich den einzig falsch negativen Test in der Apotheke erwische, und dann vielleicht umsonst meine Depressionen pflege! Das muss ja nicht sein!«
»Sagst du uns gleich Bescheid, wenn du Näheres weißt?«
»Ihr seid die Zweiten, die es erfahren. Vroni kommt mit, die hört die frohe Botschaft sozusagen live und in Farbe!«
Hannes kämpfte immer noch mit seinem Eisbecher.
»Was heißt überfällig?«, fragte er. »Ist Hatice überfallen worden?«
Chris sah Philipp sorgenvoll an.
»Dir ist schon klar, dass wir den Jungen aufklären müssen, oder? Mach du mal!«
»Wieso denn ich? Du kannst das viel besser! Du bist der Jüngere von uns zweien!«
»Aber als der Ältere bist du vielleicht weiser und findest eher die passenden Worte! Mach du!«
Hannes sah von einem zum anderen.
»Hallo? Ich bin bald zwölf, und habe uneingeschränkten Zugang zum Internet. Ich weiß, wie das geht, mit dem Sex, und so. Darüber haben wir auch schon in der Schule gesprochen. Ich wollte nur wissen, was das heißt, mit dem ›überfällig‹!«
»Dann weißt du auch, dass da in der Frau, wo sich die befruchtete Eizelle hinsetzt, ein dickes Kissen aus Blutgefäßen bildet, die das Kind ernähren sollen. Das passiert ganz regelmäßig, alle vier Wochen. Wenn nun aber keine Eizelle da ist, dann löst sich dies Kissen auf, und es kommt zu einer Blutung. Wenn die aber ausbleibt, dann ist das für die Frau ein Zeichen dafür, dass sich da doch jemand, der die Ernährung braucht, eingenistet hat!«
»Ach, das ist das mit dieser Blutung!«, stellte Hannes erleichtert fest. »Ich hatte mich schon gefragt, was da passiert! Alles findet man nicht im Netz!«
Philipp lächelte seinen Mann an.
»Wir müssen dringen aufhören, den Jungen zu unterschätzen«, sagte er. »Mit elf ist man heutzutage deutlich weiter, als wir es zu unserer Zeit waren!«
»Fast zwölf«, beharrte Hannes. »Und ich möchte jetzt nach Hause!«
Zu neuen Ufern
Schwester Marion war wieder zurück. Gastein hatte ihr gutgetan. Vermutlich nicht nur die Heilstollen, sondern auch die Abwesenheit des Herrn, der zu Hause auf sie wartete. Also, er wartete natürlich nicht zu Hause. Das sagt man eben so. Nein, er verbrachte die meiste Zeit in seiner Kneipe und in diesen Spielotheken, die einen ziemlichen Anteil seines Lohns verschlangen.
Beim Betreten ihres Häuschens wäre sie fast über den Stapel Wäsche gestürzt, der sich im Flur türmte. Wenigstens hatte das eine Art System. Dort entkleidete er sich und ließ alles fallen, wo er sich gerade befand. Kalter Rauch umfing sie mit der Zähigkeit eines Sumpfes. Sie konnte genau sagen, wo er seine von ihr sorgfältig vorbereiteten Mahlzeiten eingenommen hatte. Überall waren die Plastikdosen verteilt, jede mit etlichen Bierflaschen garniert. Einige Bierflaschen waren umgefallen und hatten dunkle, feuchte Flecken im Teppichboden hinterlassen. In der Küche war offenbar der Filter der Kaffeemaschine verstopft gewesen. Immerhin hatte er sie ausgestellt. Leider erst, nachdem sie übergelaufen war. Die Haare in der Dusche, der Schmutzrand im Waschbecken und die verräterischen Flecken um die Toilette herum erzählten ihr eine Geschichte, für die sie selbst so lange taub und blind gewesen war. Eine Geschichte von Lieblosigkeit und Vernachlässigung. Von Grobheit und Einsamkeit. Von mangelnder Achtung – aber auch von mangelnder Selbstachtung.
Sie fühlte sich plötzlich schwach, entkräftet.
Achtlos kippte sie eine Programmzeitschrift mitsamt der auf ihr liegenden Chips-Tüte von einem der Esstisch-Stühle, und ließ sich auf diesen sinken.
War es das wert? Sollte das jetzt immer so weitergehen? War das die gemeinsame Zukunft, von der sie beide geträumt hatten? Warum bloß war ihre Liebe abhanden gekommen? Wer trug die Schuld daran?
Sie war von Raum zu Raum gegangen und hatte überall Spuren der Verwüstung gefunden. Mechanisch öffnete sie die Fenster, sammelte die Wäsche ein, trennte sie sorgfältig und startete die Waschmaschine im Keller. Die beiden leeren Bierkästen auf der Terrasse füllte sie mit den Flaschen. Die Plastikdosen wanderten, zusammen mit den entleerten Aschenbecher, in den Geschirrspüler. Sie bezog die Betten frisch, putzte Bad und Küche, saugte Staub und wischte die Regale. Nachdem sie ihre Pflicht erfüllt hatte, legte sie ihren Schlüssel auf den Tisch, ergriff ihre Jacke, den Koffer, und zog die Tür hinter sich ins Schloss.
*
»Timon, wohnst du eigentlich noch immer bei Emmerich, oder hast du inzwischen was Eigenes?«
Ludwig barst fast vor guter Laune. Timon Süden erschrak, als weckte man ihn aus einer Art Trance-Zustand.
»Nein, ich habe zwar gesucht, aber noch nicht wirklich etwas gefunden, was mir gefiel. Komisch! Irgendwie bin ich offenbar dabei, mich daran zu gewöhnen, mit ihm zusammenzuwohnen! Das ist ja schlimm, oder? Es sollte ein Provisorium sein! Einige Tage – nur, bis ich was gefunden habe! Von wegen! Ich habe mich da wirklich reingezeckt!«
»Keine Sorge, Timon. Du weißt doch, wo ich wohne, oder? Diese drei Häuser am Wald? Mit den Eigentumswohnungen!«
»Ja, du Scherzkeks. Von denen jede mindestens 1,2 Millionen Euro kostet. Ich habe zwei unterhaltspflichtige Kinder. Gott sei Dank arbeitet Philine. Trotzdem, wie soll ich mir das leisten?«
»Ich kenne