Der neue Sonnenwinkel 74 – Familienroman. Michaela Dornberg
du das Baby angeschaut hast. Willst du mir nicht verraten, wer es ist?«
Was ihr zunächst undenkbar erschienen war, war plötzlich ganz einfach. Sie erzählte ihm von dem Wunder, wie Adrienne in ihr Leben gekommen war.
Er sagte zunächst nichts, dann kam ein leises: »Es ist kein Wunder, dich hat da jemand ausgeguckt, der wusste, was für ein wundervoller Mensch du bist. Wirst du das Baby adoptieren, Roberta?«
Sie nickte.
»Ich würde es gern, doch vermutlich wird es dazu nicht kommen. Man sucht noch immer nach der Kindesmutter, und ehrlich gesagt, wünsche ich mir, dass man sie findet. Auch wenn es schmerzlich für mich sein wird, Adrienne wieder abgeben zu müssen, gehören Mutter und Kind zusammen, und ich werde alles tun, sie in jeder Weise unterstützen.«
Er erhob sich unvermittelt, trat auf sie zu, ergriff ihre Hand, küsste sie. »Roberta, du bist wunderbar. Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, dass du so was wie ein Himmel auf Erden bist? Zumindest stellt man sich ihn so vor …, ich bin sehr froh, gekommen zu sein. Ich danke dir sehr, dass du mich nicht achtkantig aus dem Haus geworfen hast, dazu hattest du allen Grund. Ich muss mich jetzt verabschieden, ich bin mit Ruthchen verabredet, die allerdings sehr enttäuscht sein wird, dass sie mir das Ärztehaus nicht schenken darf. Du glaubst überhaupt nicht, wie unendlich reich sie ist. Für sie ist ein solches Geschenk nicht mehr als ein Spielzeug.«
Sie erhob sich ebenfalls, wollte ihn zur Tür begleiten. Wenn man die beiden so nebeneinander sah, musste man neidlos zugeben, was für ein attraktives Paar sie waren. Das dachte auch Alma, die sich gerade erkundigen wollte, ob sie noch etwas tun könne. Ein bisschen Besorgnis und Neugier waren auch dabei, denn sie fragte sich schon, was die beiden so lange miteinander zu besprechen hatten, weswegen er überhaupt gekommen war.
An der Haustür standen Roberta und Max sich gegenüber, schauten sich an, nicht begehrlich, sondern eher vertraut.
»Danke, dass du mir nichts an den Kopf geworfen hast, ich meine, nicht nur verbal. Ich bin sehr froh, gekommen zu sein, pass auf dich auf, Roberta, god bless you.«
Er zögerte kurz, dann umarmte er sie spontan, und es fühlte sich nicht einmal unangenehm an, nein, vertraut. Wer hätte das gedacht.
»Schön, dass du da warst, Max, deine Entschuldigung für dein Verhalten löst viel Bitterkeit in mir. Pass auch du auf dich auf.«
Er zögerte noch einmal, dann küsste er sie auf die Stirn, ließ sie los, rannte durch den Vorgarten, und wenig später stieg er in seinen auffallenden Sportwagen, der bestimmt so viel gekostet hatte wie eine Eigentumswohnung in einer erstklassigen Wohnlage.
Er hupte kurz, dann brauste er mit aufheulendem Motor davon.
Ihr Exmann hatte sie besucht, das musste sie erst einmal verdauen, wenngleich es schön gewesen war. Natürlich war es vorbei, für sie auf jeden Fall und für ihn gewiss ebenfalls. Er führte das Leben, das das richtige für ihn war, sorglos, mit viel Geld, und wenn man das erst einmal hatte, konnte man auch Ruthchen mit in Kauf nehmen.
Stopp!
Roberta begann sofort, sich schlecht zu fühlen, weil es nicht ihre Art war, so zu denken. Vor allem kannte sie die Frau überhaupt nicht und bildete sich schon ein Urteil. Zudem ging es sie nichts an.
Sie verspürte in sich so etwas wie ein bisschen Frieden. Nun konnte sie unter ihre Vergangenheit einen endgültigen Schlussstrich ziehen und zulassen, dass nicht alles schlecht gewesen war. Wenn man enttäuscht und verletzt war, und das war sie weiß Gott gewesen, da konnte man die Welt nur tiefschwarz sehen.
Sie ging ins Haus zurück, Alma stand da, schaute sie besorgt an.
»Alles ist gut, Alma, Max wollte nichts von mir, und irgendwie scheint er zur Besinnung gekommen zu sein, er hat sogar so etwas wie Herz gezeigt. Aber vielleicht war es auch nur sein schlechtes Gewissen.«
Und dann erzählte sie Alma von dem Gespräch, so etwas war nicht außergewöhnlich. Wenn man so eng beieinander wohnte, vor allem so vertraut, wie es bei ihnen war, dann ging man sich nicht aus dem Weg, sondern war offen und ehrlich miteinander.
Alma atmete erleichtert auf.
»Was ist denn, Alma?«, wollte Roberta wissen, die das natürlich mitbekommen hatte.
»Ich bin einfach nur froh, Frau Doktor. Ich hatte solche Angst, dass er Sie wieder verletzen würde.«
Gewiss hätte sie noch mehr dazu gesagt, doch in diesem Augenblick begann nebenan Adrienne zu weinen, erstaunlich laut, und beide Frauen waren wie elektrisiert, sie rannten los, als gelte es, einen Wettkampf zu gewinnen.
Roberta war großzügig, sie ließ Alma den Vortritt, dann näherte auch sie sich dem Stubenwagen.
Adrienne hatte aufgehört zu weinen. Sie war ganz friedlich, und etwas von diesem Frieden schwappte zu Roberta hinüber.
Das Schicksal ging wirklich seine eigenen Wege. Man konnte planen, sich Ziele setzen, und auf einmal war nichts mehr davon da, alles durcheinander. Und dann geschah etwas, was man niemals auch nur angedacht hätte, und es passierte. So wie das mit Adrienne. Auch wenn sie wusste, dass es kein Glück von Dauer sein würde, so war es für den Augenblick ganz besonders, ein Geschenk. Und das Max so einsichtig gewesen war, eigentlich sogar nett, das war ebenfalls etwas, womit sie nie gerechnet hätte. Sie hätte jede Wette verloren. Aus welchem Grunde er in den Sonnenwinkel gekommen war, darüber dachte sie nicht eine Sekunde nach. Das Ärztehaus, das machte ihr keine Angst, auch wenn einige ihrer Patientinnen und Patienten gewiss dorthin abwandern würden.
Adrienne lächelte, und für sie und Alma ging die Sonne auf.
*
Inge Auerbach und Rosmarie Rückert waren nicht nur familiär miteinander verbandelt, sondern sie waren mittlerweile richtig gute Freundinnen geworden. Und das war mehr als nur angenehm. Sie waren ganz offen miteinander, und so war es auch überhaupt kein Wunder, dass Inge ihrer Freundin brühwarm alles erzählte, was sich ereignet hatte und auch das, was sich noch ereignen würde. Eigentlich hatte Inge das in aller Ruhe und Ausführlichkeit tun wollen, doch wenn das Herz übervoll war …
Der Wochenmarkt war nicht unbedingt der richtige Ort dafür.
Da sie sich zufällig getroffen hatten, bot es sich an. Und sie mussten ja nicht zwischen Rotkohl, Suppengrün und Petersilie miteinander reden, sondern konnten in das kleine Straßencafé gehen, was mittlerweile längst ein schöner Treffpunkt für viele Menschen war. Noch war es für die Bewohner hier etwas Besonderes, doch das würde nicht so bleiben. Im Neubaugebiet war auch ein Café vorgesehen. Es würde sich vieles verändern. Doch darüber dachten Inge und Rosmarie jetzt gewiss nicht nach. Sie waren einfach nur froh, sich getroffen zu haben. Und sie mochten diesen Platz, auch wenn alles sehr einfach, aber zweckmäßig war. Das musste es auch sein, denn schließlich hatte das Café keinen festen Platz im Sonnenwinkel, sondern musste immer wieder abgebaut werden, wie der gesamte Bauernmarkt. Was sollte es. Der Kaffee war hervorragend und der Kuchen schmeckte ausgesprochen lecker, das musste selbst Inge neidlos zugeben, und die konnte Kuchen backen wie eine Weltmeisterin.
Inge und Rosmarie saßen an einem der kleinen Tischchen auf Klappstühlen, und sie hatten ausgesprochenes Glück gehabt, weil gerade jemand aufgestanden war. Sonst hätte es trübe für sie ausgesehen. Sie hätten überhaupt keinen Platz ergattern können.
Inge bestellte einen normalen schwarzen Kaffee und dazu ein Stückchen Mohnkuchen, den man ja längst auch nicht mehr überall bekam. Rosmarie entschied sich für einen Cappuccino und dazu ein Stück Donauwelle. Auch das war etwas, was die Jugend kaum noch kannte, nichts damit anzufangen wusste, und so wurde auch die Donauwelle längst nicht mehr überall angeboten. Das war ebenfalls so schön hier, man bemühte sich, die Kuchen nach alten Rezepten zu backen. Inge und Rosmarie schwelgten in romantischen Erinnerungen.
Danach unterhielten die beiden Frauen sich ganz allgemein, sie hatten sich immer etwas zu sagen. Doch dann hielt Inge es nicht länger aus, sie erzählte von dem letztmaligen Kollegentreff von Werner. »Und diesmal und das zum ersten Male sind auch die Frauen mit dabei. Und stell dir bloß vor,