Fränkisches Pesto. Susanne Reiche

Fränkisches Pesto - Susanne Reiche


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      Susanne Reiche

      Fränkisches Pesto

      Kriminalroman

      ars vivendi

      Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (Erste Auflage Mai 2020)

      © 2020 by ars vivendi verlag GmbH & Co. KG, Bauhof 1, 90556 Cadolzburg

      Alle Rechte vorbehalten

       www.arsvivendi.com

      Lektorat: Stephan Naguschewski

      Umschlaggestaltung: FYFF, Nürnberg

      Motivauswahl: ars vivendi

      Coverfoto: © StockFood / Hendey, Magdalena

      Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag

      eISBN 978-3-7472-0160-2

      Inhalt

       Prolog

       Tag 1/Ostermontag/Ruf der Wildnis

       Tag 2/Dienstag/Brothers in Frankenwein

       Tag 3/Mittwoch/Blondinen bevorzugt

       Tag 4/Donnerstag/Arsch der Waldfee

       Tag 5/Freitag/Ein Cumulonimbus wie aus dem Bilderbuch

       Tag 6/Samstag/Am sechsten Tag

       Tag 7/Sonntag/Monsterkrake

       Vier Wochen später

       Die Autorin

      Prolog

      Die Luft war frühlingsmild. Durch die knotigen Äste einer alten Eiche zielte die Aprilsonne mit Lanzen aus Licht auf die filigranen Skelette verwelkten Laubs, Tautropfen lagen wie Perlen auf samtigen Moospolstern, und zwischen gelben Himmelsschlüsseln und blauen Duftveilchen entrollten Schildfarne ihre schuppigen Wedel. Aus allen Knospen platzte frisches Grün.

      Bella Lindemann saß auf einer Holzbank hinter der Luisenhütte – einem aus rohen Bohlen gezimmerten Blockhaus, das den Besuchern des Naturschutzzentrums Wengleinpark einen geschützten Rastplatz bot – und genoss die Ruhe: Die Teilnehmer ihres Kräuterkurses waren ausgeschwärmt, um Frühjahrsblüher zu bestimmen. Bella führte ihre Gruppen gern durch den Wengleinpark. Das vom Dörfchen Eschenbach im Hirschbachtal steil bis zur Hochfläche der Hersbrucker Alb ansteigende Gelände war durch einen Lehrpfad mit Schautafeln erschlossen und bot auf zwei Kilometern Länge und hundert Höhenmetern alles, was das Fränkische Schichtstufenland botanisch interessant machte: Wildgrasfluren, Halbtrockenrasen, Schlucht- und Kalkbuchenwälder, Felsvegetation …

      Bellas Handy surrte. Kursteilnehmer Jörg – drahtige Figur, kümmelförmige Beine in engen Jeans, das grelle Orange der Funktionsjacke wie ein Schlag ins Gesicht der in sanften Farben erwachenden Natur – schickte über WhatsApp ein Foto von sich selbst und einer knospenden Cypripedium calceolus, die er mitsamt der Wurzel ausgerissen hatte. Die Bildunterschrift lautete: Das ist doch eine Knoblauchsrauke?

      Nein!, antwortete Bella. Das ist, oder vielmehr: das war eine Frauenschuh-Orchidee. Sie steht auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.

      Während des Aufstiegs zur Luisenhütte hatte Bella mehrmals darauf hingewiesen, dass der Wengleinpark ein Rückzugsgebiet für seltene Pflanzen war, und alle darum gebeten, ohne vorherige Absprache nichts zu pflücken. Aber es gab in jedem Kurs ein oder zwei Typen wie nun diesen Jörg, die sich für die Krone der Schöpfung und nichts von Abmachungen hielten, und so sehr sie das auch ärgerte: Sie konnte wenig dagegen tun.

      Der Kunde war König.

      Schon seit Jahren verkaufte sie auf den Bauernmärkten zwischen Neuhaus und Hersbruck frische Würz- und Heilkräuter und bot über das Internet Hausgemachtes an: Pestos, Chutneys, Kräuteröle und Teemischungen mit zeitgeistigen Namen wie Kraft der Natur oder Tanz der Waldfee. Diese Arbeit machte ihr Spaß, und die Einnahmen waren eine hübsche Ergänzung zu Thorstens Gehalt als Spediteur gewesen; aber seit er sie vor einem halben Jahr sitzen gelassen hatte, war sie aus finanziellen Gründen gezwungen, auch Coachings, Kurse und Führungen anzubieten. Ihre Kunden waren mehr oder weniger sympathische Menschen, die sich mehr oder weniger für heimische Kräuter interessierten … Bella hatte Verständnis für Teenager, die sich lieber YouTube-Videos ansahen, anstatt ihr zuzuhören; sie respektierte ältere Damen, die in der Natur lediglich eine romantische Kulisse für lang entbehrte Sozial­kontakte sahen; und sie ertrug Hobbybotaniker, die mit vom Ehrgeiz zerfressenen Mienen ihre Einschätzung einer seltenen Unterart infrage stellten – aber wenn sie eine Wahl gehabt hätte, dann hätte sie das ganze Pack lieber heute als morgen zum Teufel gejagt. Der Wald war Bellas Kathedrale, die Stämme der Eichen und Buchen trugen das Dach ihrer Kirche, in deren grüner Halle rauschende Bäche und der Chor der Vögel die Götter melodischer priesen als Orgeln und Sängerknaben; und in ihren Ohren war das eitle Geplapper ihrer Kunden ein ketzerischer Frevel gegen das Gebot der Stille und Demut, die ihr Glaube verlangte.

      Aber sie hatte keine Wahl. Thorsten hatte sich quasi über Nacht nach La Gomera abgesetzt, ohne eine Postadresse zu hinterlassen oder Unterhalt für die Kinder zu zahlen. »Ich will mich da im Moment nicht so festlegen«, hatte er ihr während des ersten – und letzten – Telefongesprächs nach seiner Abreise erklärt, »ich muss zuerst einmal meine innere Mitte wiederfinden«. Ein Vorhaben, das sich nach Bellas Einschätzung hinziehen konnte, da Thorstens Ansatz vermutlich ausschließlich darin bestand, dicke Haschtüten zu rauchen und ein mageres Flittchen namens Jenny zu vögeln, das er in einem Burger-Drive-in bei Forchheim aufgelesen hatte …

      Just in dem Moment, als Jenny den von Thorsten bestellten Cheeseburger über den Verkaufstresen schob, traf beide wie ein Schlag die Erkenntnis, dass ihre Seelen füreinander bestimmt waren – so schilderte Thorsten die schicksalhafte Begegnung einige Tage später seiner Frau. Auf Nachfrage räumte er ein, dass es bei den Seelen nicht geblieben war. »Solche Dinge kommen vor«, kommentierte Bellas Schwiegermutter schmallippig. »Anstatt zu jammern, solltest du besser drüber nachdenken, welchen Anteil du an dieser Entwicklung hast …«

      Bella schluckte ihren Schmerz hinunter. Sie ließ sich vom Friseur einen modischen Bob schneiden und tauschte ihr Flanellnachthemd gegen einen Fummel aus schwarzer Spitze, der Alice Schwarzer zu Recht auf die Barrikaden getrieben hätte. Eingedenk des Umstands, dass Liebe (auch) durch den Magen geht, servierte sie Thorsten jeden Abend ein kulinarisch ausgefeiltes Drei-Gänge-Menü, das er kommentarlos hinunterschlang, ehe er den Fernseher einschaltete und auf dem Sofa die Füße hochlegte. Nur zwei Wochen später teilte er ihr Folgendes mit: »Ich brauche eine Auszeit, Schatz. Ich werde eine Weile auf La Gomera leben. Bitte erklär es den Kindern.«

      Bella übersetzte den ehebrecherischen Sachverhalt für Viola und Iris in kindgerechte Worte – eine Reise aus beruflichen Gründen, Papa hat euch lieb und ähnliche Lügen. Nachdem die Zwillinge im Bett waren, setzte sie sich an den Küchentisch, starrte aus dem Fenster in die mondlose Nacht und spülte eine XXL-Tafel Nougat-Nuss-Schokolade mit zwei Flaschen Rotwein hinunter. Sie weinte nicht, aber sie hatte gute Lust, sich vor die Regionalbahn nach Neuhaus/Pegnitz zu werfen, und nur wegen der Kinder sah sie schließlich davon ab. Sie gestand sich ein, dass sie das Unheil hätte kommen sehen müssen; spätestens seit dem Abend, als sie im Badezimmer auf der Waage gestanden und die Digitalanzeige ERROR geblinkt hatte.


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