Fränkisches Pesto. Susanne Reiche

Fränkisches Pesto - Susanne Reiche


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und die aufgeschneckelte Adipöse ist die Kräuterhexe höchstselbst – Isabel Lindemann.«

      Bauers Blick glitt über Bellas Körper und fiel dann verlegen zu Boden.

      Bella zog einen ihrer Werbeflyer aus dem Rucksack und drückte ihn dem Kommissar in die Hand. Die beiden Streifenbeamten lasen neugierig mit: Kräuterwanderungen für Anfänger und Fortgeschrittene, Wildkräuterküche, Heilpflanzen erkennen und richtig anwenden, Baum-Yoga, meditatives Waldatmen …

      »Wir sind heute Morgen vom Grünen Schwan aus in den Wengleinpark aufgebrochen«, erklärte Bella. »Gegen Mittag haben wir die Luisenhütte erreicht und eine Vesperpause gemacht – da war Julius noch wohlauf. Nach der Rast habe ich Bestimmungskarten ausgeteilt und die Kursteilnehmer gebeten, auf eigene Faust ein paar Frühlingskräuter zu bestimmen.«

      Bauer zog ein Notizbuch aus der Hosentasche und zückte einen Kugelscheiber. »Wann genau haben Sie sich getrennt? Hat jemand auf die Uhr gesehen?«

      »Es war fünf Minuten vor zwölf«, verkündete Hermann Dennerlein, ein in Erlangen ansässiger Ingenieur im Ruhestand. Er hatte den Kurs zusammen mit seinem Bruder und seiner Schwägerin gebucht, die nun zustimmend nickten.

      »Fünf vor zwölf war Herr Imthal demnach noch am Leben«, stellte Bauer fest und machte sich eine Notiz. »Hat ihn danach noch jemand gesehen? Ich meine: lebend gesehen?«

      Ratlose Blicke. Achselzucken. Kopfschütteln.

      »Nun gut«, seufzte Bauer. »Und wer hat den Toten gefunden?«

      Jörg schob die Blondine nach vorn. »Das war Nadja«, erklärte er.

      »Nadja und wie weiter?«, fragte Bauer.

      »Lipinski«, sagte die Blonde. Sie war so blass wie die Leiche.

      »Das war sicher ein Schock für Sie, Frau Lipinski«, sagte Bauer freundlich. »Fühlen Sie sich trotzdem imstande, mir den Hergang zu schildern?«

      »Natürlich«, sagte Nadja artig. »Ich …« Sie rang die Hände und suchte nach Worten.

      Bauer nickte ihr aufmunternd zu.

      »Ich war schon wieder auf dem Weg bergauf – wir hatten mit Bella vereinbart, uns um eins wieder an der Luisenhütte zu treffen«, erklärte Nadja. »Ich habe gerade ein paar blühende Küchenschellen am Waldsaum fotografiert, als ich am Wegkreuz jemanden sitzen sah. Ich habe mir zuerst nichts dabei gedacht.« Ihre Unterlippe zitterte.

      »Sie machen das sehr gut, Frau Lipinski«, behauptete Bauer.

      »Erst als ich weiterging und näher herankam, habe ich Julius erkannt«, fuhr Nadja fort, »und dann sind mir seine offenen Augen aufgefallen. Und all das – das Blut.«

      »Nadja hat laut geschrien«, fügte Jörg an, »und ich bin ihr zu Hilfe geeilt, so schnell es ging. Die Ärmste war völlig aufgelöst.« Er machte Anstalten, der Blondine tröstend den Arm um die Schultern zu legen.

      »Danke, Jörg. Es geht schon«, murmelte Nadja und wich seiner besitzergreifenden Geste geschmeidig aus.

      »Wie spät war es, als Sie den leblosen Körper am Wegkreuz bemerkt haben?«, fragte Bauer.

      Nadja starrte ihn an. »Wie spät es war? Ich habe keine Ahnung.«

      »Aber Sie haben die Fotos von den Pflanzen am Waldsaum – äh, Küchenschellen? – mit dem Handy gemacht?«

      Es dauerte eine Weile, bis Nadja begriff, worauf er hi­nauswollte. »Ach so. Ja, natürlich.« Sie zog ihr Mobiltelefon aus der Gesäßtasche und wischte durch die Fotogalerie. »Das erste Foto ist von zwölf Uhr achtundzwanzig.«

      »Danke«, sagte Bauer und klappte sein Notizbuch zu. »Sie dürfen jetzt gehen. Aber ich muss Sie alle bitten, sich bis auf Weiteres zur Verfügung zu halten und morgen Vormittag in die Polizeiinspektion Hersbruck zu kommen – wir müssen Ihre Aussagen schriftlich aufnehmen.« Er wedelte mit der Hand, um klarzustellen, dass Sie dürfen jetzt gehen nicht als Gunst, sondern als Befehl gemeint war.

      Bella scharte ihre Schäfchen um sich und zählte sie zur Sicherheit noch einmal durch, ehe sie den Rückzug antrat.

      »Na, Dieter«, feixte die Rotwangige ihrem Streifenkollegen zu, sobald sie Bella außer Hörweite wähnte. »Das wär doch mal was für dich: meditatives Waldatmen mit einer tonnenschweren Kräuterhexe!«

      Dieter kicherte.

      Bella tat, als hätte sie nichts gehört. Sie war es gewohnt, dass man lieber über sie als mit ihr sprach, und sie war es gewohnt, dass niemand sie länger als nötig ansah. Es war absurd, aber je mehr sie wog, desto unsichtbarer schien sie zu werden. Um diesem Effekt entgegenzuwirken, trug sie bei der Arbeit einen himbeerfarbenen Kaftan, einen salbeigrünen Filzhut und eine Halskette aus klappernden Muschelschalen – ein Aufzug, in dem die braven Bürger des Landkreises Nürnberger Land selbst am Faschingsdienstag nicht das Haus verlassen würden. Die Botschaft war klar: Seht her, hier bin ich – ob euch das nun passt oder nicht.

      Tag 1/Ostermontag/Ruf der Wildnis

      »Hast du ernsthaft gedacht, du könntest die ganze Woche lang im Wirtshaus herumhocken?«, fragte Mirjam mit hochgezogenen Augenbrauen.

      Kastner, seines Zeichens Kriminalhauptkommissar des Dezernats Eins im Polizeipräsidium Mittelfranken und zurzeit im Urlaub, hatte sich gerade erst den Schlaf aus den Augen gerieben und das Frühstücksbuffet in groben Augenschein genommen.

      »Hm«, machte er und warf einen Blick auf die bunte Broschüre, die Mirjam auf seinem – ansonsten noch leeren – Frühstücksteller platziert hatte: Freizeittipps rund ums Pegnitztal. Offensichtlich assoziierte der Verfasser des Flyers mit dem Begriff Freizeit ausschließlich körperlich oder geistig anstrengende Tätigkeiten: Klettern, Wandern, Paddeln, Radfahren, Schwimmen, naturkundliche Führungen …

      »Wo sind eigentlich die Kinder?«, fragte Kastner, weniger aus Interesse als zur Ablenkung, und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. »Schlafen die noch?«

      »Das sind Kinder, Kastner«, erklärte Mirjam mit der aufreizenden Geduld einer Grundschullehrerin. »Die schlafen nicht bis halb zehn, die wollen was erleben. Ich habe schon vor zwei Stunden mit ihnen gefrühstückt, und jetzt koordiniert Jannik draußen im Biergarten die apokalyptische Schlacht diverser Plastikmonster, während Sofie ihm die Welt erklärt.«

      »Wunderbar!«, sagte Kastner. »Dann kann ich ja in Ruhe eine Tasse Kaffee trinken und eine Kleinigkeit essen.«

      Mirjam trommelte mit den Fingern auf den Wirtshaustisch. »Du hast Claudia dazu überredet, sich für den Höheren Dienst zu bewerben«, erinnerte sie ihn, »und du hast ihr angeboten, während der Schulung ihre Kinder zu beaufsichtigen. Also, bitte: etwas mehr Engagement!«

      Sie hatte recht. Claudia Wolfschmidt, eine junge Kriminalhauptmeisterin, hatte Kastner in der Vergangenheit hin und wieder bei seinen Ermittlungen unterstützt und sich dabei als ausgesprochen fähig erwiesen. Um der alleinerziehenden Mutter die Qualifizierung zur Kommissarin zu ermöglichen, hatte Kastner sich als Babysitter angedient; und Mirjam war mit diesem Arrangement aus frauensolidarischen Gründen einverstanden gewesen – was er ihr hoch anrechnete. Dass Claudias letzter Schulungsblock und die abschließende Prüfung in den Osterferien stattfanden, war eine glückliche Fügung: Den Alltag zweier Schulkinder mit dem eines Kommissars und einer städtischen Angestellten in einer quadratmeterarmen Zweieinhalbraumwohnung in der Nürnberger Südstadt zu vereinbaren, wäre, im Nach­hinein betrachtet, sicher schwierig geworden.

      Kastner hatte mit seinem Chef, Polizeidirektor Carsten Wismeth, hart darum gerungen, sich über Ostern freinehmen zu dürfen.

      »Sie machen mir Spaß!«, hatte Wismeth behauptet und dazu ein Gesicht gemacht, als hätte er in eine Zitrone gebissen. »Erst reden Sie der Wolfschmidt ein, sie müsse Kommissarin werden, und jetzt wollen Sie auch noch Urlaub?«

      Kastner wusste genau, was Wismeth missfiel: Claudia hatte als Streifendienstführerin den Laden im Griff gehabt, wie sein Chef es ausdrückte. Sie würde


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