Fränkisches Pesto. Susanne Reiche

Fränkisches Pesto - Susanne Reiche


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recht wie unrecht: Er hatte in der Tat keinen Urlaubsantrag abgegeben – aber vergessen hatte er es nicht. Er hielt nicht viel von bürokratischem Papierkram – ein Mann, ein Wort war seine Devise; und Wismeth hatte ihm die Freizeit ja zähneknirschend zugestanden. Immerhin war Mirjams Frage nach dem Grund von Wismeths Anruf berechtigt – was hatte sein Chef gesagt? Etwas von einer Leiche? Er würde ihn wohl zurückrufen müssen. Kastner tastete seine Hosentaschen nach dem Mobiltelefon ab – vergebens. Natürlich, er hatte sich geduscht und umgezogen. Aber …

      »Was ist los?«, erkundigte sich Mirjam.

      »Mein Handy ist weg. Es muss mir aus der Hand gefallen sein, als ich in die Pegnitz gesprungen bin.«

      »Na so ein Pech!«, sagte Mirjam mit einer wohldosierten Prise mitfühlenden Bedauerns. »Dann kannst du deinen Chef gar nicht zurückrufen?«

      *

      »Die Kollegen aus dem Landkreis haben uns offiziell um Hilfe ersucht«, erklärte Carsten Wismeth. »Und wie Sie sehr gut wissen, Kastner, habe ich hier über die Osterferien zu wenig Personal im Präsidium, um mal eben einen Kommissar aufs Land verschicken zu können. Und Sie sind direkt vor Ort – die Kräutergruppe, mit der Imthal unterwegs war, hat im Grünen Schwan einen Tagungsraum gemietet. Das ist doch Ihr Urlaubsquartier?«

      »Hm«, machte Kastner. Mirjam hatte sich geweigert, ihm ihr Handy zu leihen. Damit Wismeth dir irgendeine Ermittlung aufs Auge drücken kann? Vergiss es! Glücklicherweise verfügte der Grüne Schwan über einen Festnetzanschluss – einen olivgrünen Siebzigerjahreapparat mit Wählscheibe und Spiralkabel, der in dem schmalen Durchgang zwischen Gastraum und Küche auf einer hölzernen Kommode stand.

      »Diese Kräuterfreunde sind selbstredend dringend verdächtig«, fuhr Wismeth fort. »Sie waren zur Tatzeit am Tatort, einer von ihnen hat die Leiche gefunden … Der zuständige Beamte vor Ort, ein Kommissar Bauer, hat die Leute angewiesen, sich bis auf Weiteres zur Verfügung zu halten – man muss also nicht befürchten, dass die sich gleich in alle Himmelsrichtungen zerstreuen. Kastner? Hören Sie mir noch zu?«

      »Ja, ja.«

      »Rechtsmediziner und Kriminaltechniker sind bereits informiert und sollten in zwei, drei Stunden am Leichenfundort eintreffen. Es wäre gut, wenn Sie ebenfalls dort erscheinen und sich gleich einen Überblick verschaffen würden. Habe ich schon erwähnt, dass das Opfer Politiker war?«

      Das hatte der Polizeidirektor in der Tat bereits erwähnt. Während Wismeth erneut über öffentliches Interesse und Dringlichkeit referierte, nahm Kastner den Telefonhörer vom Ohr und hielt ihn mit ausgestrecktem Arm in Richtung der Küche, in der drei junge Frauen Gemüse schnippelten und in gusseisernen Pfannen rührten. Anders als seinem Chef war es ihm herzlich egal, ob ein Mordopfer zu Lebzeiten prominent gewesen war oder unter einer Brücke geschlafen hatte. Für manche Tötungsdelikte gab es nachvollziehbare Gründe, andere ließen ihn ob ihrer sinnlosen Grausamkeit an der Menschheit zweifeln. Aber so oder so: Von Notwehr einmal abgesehen gab es in seinen Augen keine Ausnahme von der Regel, dass ein Mensch dem anderen nicht das Leben nehmen durfte. Aus dieser Überzeugung heraus war er Kommissar geworden; und er liebte seine Arbeit. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er die Mordermittlung sofort übernommen – aber Mirjam würde ihm, völlig zu Recht, die Hölle heiß machen, wenn er den gemeinsamen Urlaub abbrechen und ihr die alleinige Betreuung von Claudias Kindern aufs Auge drücken würde.

      Eine Zwickmühle. Es sei denn …

      »Herr Wismeth?«, unterbrach er den andauernden Vortrag seines Chefs. »Ich muss das zuerst mit Mirjam besprechen. Falls sie einverstanden ist, bin ich es auch – unter einer Bedingung …«

      »Bedingung? Was denn für eine Bedingung?«, erkundigte sich Wismeth indigniert. »Sie sind Beamter, Kastner! Ich bin Ihnen gegenüber weisungsbefugt! Und unter uns gesagt: Mir liegt hier kein genehmigter Urlaubsantrag vor …«

      Obwohl Kastner die letzte Bemerkung seines Chefs sauer aufstieß, ging er nicht darauf ein – Wismeth liebte Gefechte auf Nebenschauplätzen und geriet dabei allzu leicht vom Hundertsten ins Tausendste. Am besten kam man mit ihm zurecht, wenn man sich beharrlich aufs Wesentliche konzentrierte und ihn ansonsten in dem Glauben ließ, er hielte die Zügel in der Hand.

      »Es ist eher ein Vorschlag«, sagte er treuherzig. »Ich würde gerne vorerst inkognito bleiben.«

      Wismeth schwieg.

      »Sie haben es selbst gesagt«, führte Kastner aus: »Ich bin direkt vor Ort, ein Urlaubsgast wie jeder andere. Ich schätze, man wird mir mit größerer Offenheit begegnen, wenn ich meinen Beruf nicht sofort an die große Glocke hänge.«

      »Ach was?«, sinnierte Wismeth. »Sie meinen – eine Art verdeckte Ermittlung?«

      Nein, dachte Kastner, ich meine einen Aushang am Schwarzen Brett: Ab sofort ermittelt Hauptkommissar Kastner aus Nürnberg inkognito.

      »Das haben Sie ganz richtig verstanden, Herr Wismeth«, sagte er.

      »Hm, ich weiß nicht – das klingt irgendwie nach einem schlechten Tatort.«

      *

      »Kommt nicht infrage«, würgte Mirjam Kastners Erklärungen ab, sobald sie den ersten Schock überwunden hatte. »Ich meine: Hallo?! Das hier ist unser erster gemeinsamer Urlaub seit gefühlten zehn Jahren! Urlaub in Anführungszeichen … Normale Menschen buchen Fotosafaris in Kenia oder Trekkingtouren auf Island; oder sie liegen zumindest auf einem bunten Badetuch am Strand von Malle herum und schlürfen Sangria aus Eimern …«

      »Von diesem Teil deiner geheimen Wünsche und Fantasien wusste ich bisher gar nichts, Hase«, unterbrach Kastner seine Lebensgefährtin. Es war immer besser, Mirjam zu bremsen, ehe sie richtig in Schwung kam.

      »Was soll das heißen?«, zischte Mirjam. »Glaubst du, so sieht mein Traumurlaub aus?« Sie machte eine den lauschigen Biergarten, das malerische Gasthaus und Kastners stattliche Gestalt umfassende Handbewegung und dazu ein Gesicht, als hätte man sie ohne ihr Wissen beim Dschungelcamp angemeldet.

      »Ich hab die Sache mit dem Eimersaufen gemeint«, erklärte Kastner und fügte, weil Mirjam ihn irritiert anstarrte, hilfsbereit an: »Du und ich auf einem bunten Badetuch, im Hintergrund ein romantischer Sonnenuntergang über türkisblauem Meer, im Vordergrund hundertzwanzig besoffen grölende, sonnenverbrannte Touristen …«

      »Lenk nicht ab«, sagte Mirjam streng und verschränkte die Arme vor der Brust. »Fakt ist, dass ich meine knapp bemessenen Urlaubstage aus rein partnerschaftlichen Gründen im fränkischen Outback und zusammen mit den betreuungsaufwendigen Kindern deiner Kollegin verbringe. Das ist purer Altruismus! Und jetzt stellst du diesen Minimalkonsens infrage, weil irgendjemand hier um die Ecke eine verdammte Leiche im Gebüsch gefunden hat?«

      »Deine Empörung ist völlig berechtigt, Hase«, gab Kast­ner zu. »Und wenn ich könnte, wie ich wollte … Aber leider bin ich Beamter und muss Wismeths Weisungen Folge leisten.«

      Mirjam schnaubte, zündete sich eine Zigarette an und bestellte beim Wirt trotz der frühen Stunde einen halben Liter roten Hauswein. Kastner nutzte die Gelegenheit, um für sich selbst ein Schinkenbrot und ein Seidla Kellerbier zu ordern.

      »Immerhin ist es mir gelungen, meine Haut so teuer wie möglich zu verkaufen«, erklärte er.

      Mirjam kniff die Augen zusammen. »Was soll das heißen?«

      »Ich werde vorerst inkognito ermitteln. Das heißt, wir können weiterhin Urlaub machen – Ausflüge, Brettspiele, solche Sachen. Ich werde einfach nebenbei Augen und Ohren offen halten und das eine oder andere Gespräch führen.«

      »Einfach nebenbei? Das soll wohl ein Witz sein.«

      Der Wirt stellte das Schinkenbrot und die Getränke auf den Tisch. Er schwieg diskret, offenbar erkannte er den beziehungspsychologischen Ernst der Lage.

      »Im Grunde habe ich keine Wahl, Hase«, sagte Kastner.

      Mirjam blähte die Nüstern. Sie suchte auf ihrem Wollpulli angestrengt nach Flusen, fand aber keine. »Eine Undercover-Ermittlung –


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