Der neue Sonnenwinkel 37 – Familienroman. Michaela Dornberg

Der neue Sonnenwinkel 37 – Familienroman - Michaela Dornberg


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Papa so wichtig ist. Nein, ich meine damit Menschen, die ihr Herz auf dem richtigen Fleck haben. Das alles ist nur dein Verdienst allein, denn von Papa hatten wir früher wirklich nicht viel. Er war wie ein liebevoller Besucher, der mit Geschenken vorbeikam. Wir sahen voneinander nur unser Sonntagsgesicht, den Alltag, den haben wir mit dir allein geteilt, nicht mit Papa.«

      Inge wollte etwas erwidern, ihren Werner in Schutz nehmen, obwohl alles wirklich stimmte, wie Jörg es gerade erzählt hatte. Sie kam nicht dazu, denn unbemerkt war der Professor in den Raum getreten, er war frühzeitig zurück, weil ein Vortrag, den er gemeinsam mit seinem geschätzten Schwiegervater besuchen wollte, ausgefallen war.

      »Ihr habt gerade über mich gesprochen?«, erkundigte er sich, nachdem er sich zu seiner Frau und seinem Sohn an den Tisch gesetzt hatte und Inge automatisch aufgestanden war, um auch für Werner Kaffee und einen Kuchenteller hinzustellen. Wenn man sich so lange kannte wie sie und Werner, dann funktionierte man beinahe automatisch, weil man einander so gut kannte und auch ohne Worte wusste, was der andere wollte.

      »Ich habe Mama ein Kompliment gemacht und ihr gesagt, dass sie die beste Mutter der Welt ist, dass wir ihr zu verdanken haben, was aus uns geworden ist, weil wir von dir ja nicht viel hatten.«

      Professor Werner Auerbach besaß eine gewisse Eitelkeit, die in erster Linie davon kam, dass er bewundert und geschätzt wurde. Er war jedoch auch ehrlich, und so antwortete er auch direkt: »Das stimmt, mein Junge. Ich muss leider zugeben, dass ich ein grottenschlechter Vater war und die Erziehung von euch eurer Mutter überlassen habe. Ohne sie wäre ich niemals der geworden, der ich bin. Sie hat mir den Rücken freigehalten, sie ist eine unglaublich starke Frau. Dennoch bereue ich manchmal, dass ich alle Verantwortung auf sie abgewälzt habe. Es ist jedoch nichts rückgängig zu machen, und ich habe mich bei eurer Mutter mehr als nur einmal entschuldigt. Aber, und das kann ich voller Stolz sagen, wir waren und wir sind ein wundervolles Team.«

      Er blickte Inge an, die sich mittlerweile wieder gesetzt hatte, nachdem Werner versorgt war. Er ergriff ihre Hand, tätschelte sie.

      »Es ist ein Geschenk, jemanden an seiner Seite zu haben, mit dem man durch dick und dünn gehen kann.«

      Aus seinem Blicken, seinen Worten klang Liebe. Und es stimmte wirklich, die Auerbachs waren ein Team, auch wenn nicht immer alles eitel Sonnenschein gewesen war. Auch bei ihnen hatte es Krisen gegeben, Inge hatte an Trennung gedacht, sie hatte für eine Weile auf getrennten Schlafzimmern bestanden. Sie hatten sich immer wieder zusammengerauft, weil sie ohne einander nicht sein konnten. Und das nach so vielen Ehejahren sagen zu dürfen, das zeugte von Liebe.

      Das spürte auch Jörg, und eigentlich konnte er insgeheim seine Eltern nur beneiden, dass sie immer wieder die Kurve gekriegt hatten, dass sie ohne Blessuren davonzutragen durch viele Tiefen gegangen waren und dass die Höhen sie nicht übermütig gemacht hatten.

      Seine Ehe mit Stella war gescheitert. Sie war davongelaufen mit einem anderen, und er war mit seinen Schuldzuweisungen sofort da gewesen. Doch gehörten zu allem nicht immer zwei? Vielleicht hatte ihr in der Ehe mit ihm etwas gefehlt. Vielleicht versuchte sie mit diesem älteren Mann das nachzuholen, was ihr in ihrer Kindheit gefehlt, was sie schmerzlich vermisst hatte. Er musste sich darüber nicht mehr den Kopf zerbrechen. Es war vorbei. Sie hatten über das Scheitern ihrer Ehe nicht gesprochen, Stella hatte klammheimlich die Koffer gepackt und war mit dem Mann und den Kindern nach Brasilien gegangen. Und dass sie absolut konfliktscheu war, sah man auch daran, dass sie mit ihren Eltern bis heute nicht darüber gesprochen hatte.

      Stella war seine Vergangenheit, seine Gegenwart war gerade unerträglich, und seine Zukunft … Ja, er war sich sehr, sehr sicher, die sollte Charlotte gehören, und er würde alles daransetzen, zu Sven, deren Sohn, ein gutes, vorbehaltloses Verhältnis zu bekommen.

      Aus diesen Gedanken heraus sagte er: »Papa, ich fliege morgen nach Schweden zurück, und ich will alles daransetzen, mich mit Charlotte zu versöhnen.«

      »Das ist großartig, mein Junge«, rief der Professor ganz spontan. »Charlotte ist eine so großartige Frau, und ich finde, ihr passt so gut zueinander.«

      Am liebsten hätte Jörg sich jetzt bei seinem Vater erkundigt, ob er von Charlotte als Mensch begeistert war oder ob es ihn faszinierte, dass sie eine so erfolgreiche Handchirurgin war. Er ließ es bleiben. Was sollte es, er wollte an seinem letzten Tag keinen Streit haben, und seinen Vater konnte man eh nicht mehr ändern. Er war wie er war. Und so schlimm war er ja nun auch nicht, denn seine Familie war ihm sehr wichtig. Und darauf kommt es an.

      »Ich würde euch, natürlich unsere Pamela und die Großeltern zum Abschied gern in den ›Seeblick‹ einladen. Wie ich Mama kenne, würde sie sonst jetzt alle Hebel in Bewegung setzen, um ein mehrgängiges Menü auf den Tisch zu zaubern.«

      Jörg wandte sich seiner Mutter zu. »Mama, du hast großartig für mich gesorgt, du hast mich, ohne viele Worte zu machen, aufgefangen. Das Essen im ›Seeblick‹ soll auch so etwas wie ein kleines Dankeschön sein.«

      Inge hatte Tränen in den Augen, als sie ihm bewegt antwortete:

      »Jörg, mein Junge, ich freue mich. Wir gehen alle sehr gern in den Seeblick.«

      Sie wandten sich anderen Themen zu. Und das war auch etwas, was alle Auerbachs gemeinsam hatten, sie waren an allem interessiert, und sie unterhielten sich gern.

      Wofür ein großer, alter Familientisch nicht wundervoll war.

      *

      Roberta wurde mitten in der Nacht wach. Sie schreckte hoch, weil etwas sie berührte. Doch ehe sie die Nachttischlampe anknipsten konnte, hörte sie ein weinerliches Kinderstimmchen.

      »Ich habe schlecht geträumt, darf ich zu dir ins Bett kommen?«

      Es war der kleine Philip. Seit er da war, brannte zwar im Haus überall eine Notbeleuchtung, doch es wunderte Roberta schon, dass er nicht geweint hatte, sondern zu ihr gekommen war. Das bedeutete auf jeden Fall, dass er sich mittlerweile nicht nur im Haus auskannte, sondern dass er angstfrei war und sich wohlfühlte.

      »Natürlich, mein Schatz«, rief Roberta und rückte bereitwillig beiseite. »Warum hast du denn nicht gerufen? Alma oder ich hätten dich gewiss gehört und wären sofort zu dir gekommen.«

      Philip kuschelte sich an sie, und für Roberta war es unglaublich schön, diesen kleinen, warmen Kinderkörper zu spüren.

      »Ich möchte aber lieber in deinem Bett mit dir schlafen, weil ich weiß, dass die bösen Träume nicht zu dir kommen. Sie haben Angst vor dir, weil sie wissen, dass du eine Ärztin bist und mit allem fertig wird, auch mit Träumen.«

      Na, wenn das kein Kompliment war!

      Gerührt drückte Roberta den kleinen Philip an sich, strich ihm liebevoll über das strubbelige Haar.

      »Ich werde alle bösen Träume verjagen, mein Herz, du kannst jetzt ganz ruhig weiterschlafen. Denn wenn du jetzt die Augen zumachst, dann kommen nämlich die guten, die bunten Träume bei dir vorbei.«

      Sie hatte es nur dahergesagt, weil sie Angst hatte, er könne auf die Idee kommen, etwas vorgelesen haben zu wollen. Darauf hatte sie keine Lust, doch sie kannte mittlerweile erkannt, dass Philip für jede Überraschung gut war.

      Sie hatte ins Schwarze getroffen, der Gedanke gefiel ihm, und ehe er die Augen schloss, erkundigte er sich rasch: »Und kommen auch blaue Träumchen?«

      »Ja, Philip, sie kommen in allen Farben, die du haben möchtest. Das ist ja das besondere an Träumen.«

      »Dann nehme ich auch noch gelb und grün«, murmelte er, und danach dauerte es nicht lange, und er war wieder eingeschlafen.

      Roberta ließ ihn los, und dann musste sie sich ganz an den Rand des Bettes quetschen, denn Philip hatte es sich gemütlich gemacht, und mit ausgebreiteten Armen und Beinen schlief er wieder tief und fest. Im Gegensatz zu Roberta. Die war jetzt hellwach, und viele Gedanken schossen ihr durch den Kopf.

      Es war so bereichernd, den kleinen Philip im Haus zu haben, solange seine Mutter in Amerika war. Doch sie hatte auch längst schon festgestellt, dass ein Kind im Hause zu haben kein


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