Eigenständige Kinder – Entspannte Eltern. Damon Korb
sie diverse Möglichkeiten erwägen, das Gesamtbild beachten, und den besten Plan entwerfen.
Wir können nicht alle „Super-Eltern“ oder brillante Wissenschaftler sein. Aber wir können unsere organisatorischen Fertigkeiten benutzen, um alltägliche Probleme zu lösen. Von der Perspektive eines Kindes aus betrachtet, wimmelt es nur so vor Problemen, die gelöst werden wollen. Antworten auf Fragen wie „Wie schreibe ich einen Aufsatz?“, „Was wünscht sich mein Freund zu Weihnachten?“ und „Was soll ich tun, wenn ich gelangweilt bin?“ erfordern mehrere kognitive Fertigkeiten auf einmal. Viele Herausforderungen wie das Überwinden von Langeweile, Abwägen mehrerer Möglichkeiten, Erfinden einer Geschichte oder Perspektivenwechsel fordern gleichzeitig Sprache, Gedächtnis und Planung. Der Arbeitsspeicher, die mentale Tafel, wird bei der Problemlösung extrem gefordert. Zum Glück kann, wie bereits erwähnt, der Arbeitsspeiche durch Übung gestärkt werden. Dieser Aufwand wird Ihr Kind zu einem noch besseren Problemlöser machen.
Deshalb lautet die fünfte Erziehungsrichtlinie: „Fördere Problemlösung“. Mit anderen Worten: Ermutigen Sie Ihr Kind, das Gesamtbild eigenständig zu begreifen. Übernehmen Sie nicht alles selbst. Eltern können die kognitive Entwicklung von Kindern tatsächlich hemmen, indem sie zu viel für sie tun. Legen Sie nicht den gesamten Zeitplan Ihres Kindes fest, sondern erlauben Sie ihm auch mal, „nichts zu tun“ zu haben. Das kann sehr fördernd sein, denn nun muss Ihr Kind eigenständig herausfinden, was es mit der gewonnenen Zeit anfängt. Erlauben Sie Ihrem Kind, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen, in kleinem oder großem Ausmaß. Ermutigen Sie es, die eigenen Gedanken zu organisieren, das Gesamtbild zu begreifen, flexibel zu denken, fantasievoll und sozial zu sein. Diese Fertigkeiten werden häufig kognitive Funktionen höherer Ordnung genannt. Dies begründet sich aus den komplizierten Wechselwirkungen zwischen den für das Denken zuständigen Gehirnregionen.
Imagination und Kreativität
Vorstellungskraft ist eine organisatorische Herausforderung. Denn für kreatives Denken muss ein geistiger Plan erstellt werden. Kreativität ist komplizierter als lineares Denken. Imagination ist mit vielen Einflüssen verbunden: abstrakte Ideen, Erinnerungen an frühere Ereignisse, die Zukunft und manchmal unbegrenzte Möglichkeiten. Simple kreative Gedanken beginnen früh. Zum Beispiel lernen viele Kinder zwischen zwei und drei Jahren Rollenspiele. Aber sie wollen häufig immer die gleiche Rolle und das gleiche Drehbuch. Sie haben Schwierigkeiten, wenn Eltern oder Freunde ein anderes Szenario erfinden. Wenn Kinder älter werden, wird ihr Rollenspiel sowohl komplexer, als auch kreativer. Als meine drei Töchter beispielsweise alle zusammen im Alter von acht, sechs und drei Jahren spielten, haben sie Schulen konstruiert, einzigartige Lego-Welten gebaut und eigene Rollenspiele entworfen. Selbst meine dreijährige Tochter hat verstanden, dass ihre Rolle je nach Situation variiert.
Flexibles Denken
Flexibles Denken ist eine weitere kognitive Funktion höherer Ordnung. Um zu der besten Lösung zu gelangen, muss eine Person mehrere Möglichkeiten berücksichtigen. Meistens gibt es viele Arten, ein Problem zu lösen (z. B. eine Frage in einem Aufsatz beantworten, klären, was an einem regnerischen Tag gespielt werden sollte, wer das letzte Stück vom Dessert bekommt), und auch die komplexe soziale Komponente muss bei einer Entscheidungsfindung berücksichtigt werden. Flexibles Denken beinhaltet Effizienz, Pragmatismus und die Gefühle anderer.
Mit zunehmendem Alter gelingt Kindern flexibles Denken immer besser. Zweijährige Kinder sind ein klassisches Beispiel inflexibler Denker. Ein Zweijähriger, der versucht, etwas mit Blöcken zu bauen, wiederholt den gleichen Fehler vielleicht nochmal oder gibt frustriert auf. Im Alter von vier oder fünf Jahren besitzen Kinder häufig schon genug Problemlösungskapazitäten, um andere Optionen in Betracht zu ziehen. Dennoch sind sie aufgrund ihrer noch begrenzten Perspektive nicht zu Kompromissen bereit. Viele junge Kinder werden durch Regeln geleitet, sodass flexibles Denken für sie sehr schwierig ist. Sie sehen Dinge als richtig oder falsch an und tun sich schwer mit Dingen dazwischen.
Inflexibles Denken wird häufig mit negativem Verhalten verknüpft. So haben inflexible Denker Probleme damit, wenn Dinge nicht nach ihren Wünschen laufen und mühen sich daher mit Planänderungen, Übergängen und manchmal mit dem Verlieren bei Spielen. Um Frustration zu vermeiden, spielen sie daher häufig allein oder bestehen in Gruppen darauf, Dinge auf ihre Weise zu machen. Die Lösung liegt darin, diesen Kindern flexibles Denken beizubringen, indem man ihnen ein Gefühl für Problemlösung vermittelt.
Vor Jahren habe ich mit einem Teenager und seiner Mutter gearbeitet, die sich uneinig über die Bearbeitung der Hausaufgaben und die Aufsicht der Mutter waren. Als die Situation eskalierte, bestand der Teenager, wie viele vor ihm, auf mehr Unabhängigkeit und sagte: „Meine Mutter kontrolliert mein Leben.“ Das Argument der Mutter war, dass ihr Sohn „sich um nichts kümmern“ würde. Ich habe die Problemlösung eingeleitet, indem ich beide gefragt habe, was genau sie jeweils wollten. Die Mutter wollte, dass ihr Sohn seine Hausaufgaben erledigt. Der Sohn wollte nicht ständiges „Genörgel“ wegen der Hausaufgaben hören. Also überließ ich das Dilemma dem Sohn: „Was könntest du tun, damit deine Mutter aufhört zu nörgeln?“ Nach einer kurzen Diskussion war die Lösung, dass der Sohn seine Hausaufgaben eigenständig macht und sie vor 19:30 Uhr auf den Küchentisch legt. Wenn die Hausaufgaben nicht wie abgemacht bereit lagen, stand es der Mutter frei, sich zu beschweren. Problem fast gelöst, bis ich aufzeigte, dass der Sohn bei diesem Kompromiss die ganze Arbeit macht. Also habe ich gefragt, was passiert, wenn die Mutter vor 19:30 Uhr nörgelt. Der Sohn entschied, dass die Mutter ihm eine Packung Gummibärchen kaufen müsse, wenn sie sich frühzeitig beschwert. Beide waren zu Flexibilität fähig, sobald ich sie dazu bringen konnte, ihre Forderungen auszudrücken.
Drei Wochen später kam der gleiche Teenager niedergeschlagen mit seiner Mutter. Diese beschwerte sich über das unordentliche Badezimmer. Also sagte ich: „Sie wollen ein aufgeräumtes Badezimmer und er will keine ständige Nörgelei Ihrerseits,“ und bevor ich meinen Satz zu Ende bringen konnte, sagte der Teenager: „Ich weiß es. Wenn ich das Badezimmer jeden Tag bis 19:30 Uhr aufräume und sie vorzeitig nörgelt, muss sie mir eine weitere Packung Gummibärchen kaufen.“ Der Teenager hat die Dinge besser erkannt als seine Mutter. Vielleicht aufgrund des hohen Blutzuckers! Kindern Flexibilität bei der Problemlösung beizubringen, macht es für alle Beteiligten einfacher.
Perspektivenwechsel
Soziale Interaktion kann für manche Kinder schwierig sein und sie herausfordern. Gefühle anderer zu beachten und eigene mitzuteilen, ist nicht intuitiv. Für ein heranreifendes Kind scheint es daher häufig sinnvoller, immer als Erster dran zu sein, kein Spielzeug zu teilen und immer recht haben zu wollen. Das Konzept des Allgemeinwohls bedeutet einem jungen inflexiblen Menschen nichts. Eine der ersten erworbenen sozialen Fertigkeiten ist das Sich-Abwechseln. Aber wie erklärt man Abwechseln einem Kind, das denkt, Dinge nur auf seine Weise lösen zu können? Kindergartenkinder verstehen, dass man Dinge auf verschiedene Weise tun kann. Aber sie fangen gerade erst an, andere Perspektiven einzunehmen und die Meinungen anderer zu berücksichtigen. Daher schlussfolgern sie meistens, dass ihr Weg der beste ist. Perspektivenwechsel, wie in dem Werk der Logopädin Michelle Garcia Winner „Thinking about You, Thinking about Me“ beschrieben, ist sehr kompliziert. Gute soziale Interaktion heißt, den Standpunkt des Anderen mit zu berücksichtigen. Die Perspektive zu wechseln bedeutet manchmal, eine für einen selbst weniger vorteilhafte Entscheidung zu treffen. Zum Beispiel erkennt ein sozial achtsames Kind, dass sein Kumpel im Sport dreimal hintereinander als Letzter gewählt wurde. Also entscheidet es (das Kind), ihn als Ersten zu wählen, auch, wenn damit eine Niederlage im bevorstehenden Spiel einhergeht. Denn das höhere Wohl liegt darin, dem eigenen Freund ein besseres Gefühl zu verleihen. Viele Auseinandersetzungen und Vorurteile kommen von mangelnder Fähigkeit, andere Perspektiven anzunehmen. Je mehr wir unseren Kindern andere Perspektiven und Ideologien erklären, desto besser können diese die Gedanken anderer verstehen. Wie bei jeder Problemlösungsfertigkeit braucht es Übung, um einen Fortschritt zu erzielen. Eltern sind Vorbild für den Perspektivenwechsel.
Überwindung von Langeweile
Zur Überwindung von Langeweile werden Kreativität und Flexibilität benötigt. Ein Kind mit begrenzter Kreativität kehrt bei Langeweile immer