Das Phantom vom Pfaffenteich. Marc Kayser

Das Phantom vom Pfaffenteich - Marc Kayser


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ich den Rolli …?«, wollte das Mädchen wissen, beendete aber die Frage nicht.

      »Gern«, sagte er.

      Sie wandte sich von ihm ab, griff nach dem Rollstuhl vor der Tür in der Einfahrt und zerrte ihn die beiden Stufen hoch. Kaum in der Wohnung und noch die Hände am Rollstuhl, packten sie von hinten ein Arm am Bauch und eine Hand am Gesicht. Sie besaß nicht die geringste Chance, sich gegen die Kraft des Mannes zu wehren, dessen Hände und Arme so hart wie Eisen an ihr zogen und ihr den Atem nahmen. Das Mädchen bäumte sch auf, versuchte, zu schreien, doch die riesige Hand des Mannes presste ihm die Nase und den Mund zusammen, es bekam keine Luft …

      Die Schülerin strampelte wild mit den Beinen, versuchte, sich gegen die Wand im Wohnungsflur zu stemmen – vergeblich. Der Mann zog sie, wie eine Riesenspinne ihre Beute, Stück für Stück tiefer in die Wohnung hinein. Er ließ erst ein wenig von der Jugendlichen ab, als er seine Küche erreicht hatte. Doch ihre Atemnot hatte sie geschwächt. Mit einem kräftigen Ruck riss er den weißen Nylonvorhang von seinem Küchenfenster aus der Schiene. Er schleuderte die Wehrlose herum. Sie krachte mit dem Gesicht gegen die Fensterscheibe. Blitzschnell umwickelte er ihren Hals und zog dann fest zu. Betäubt vom Schmerz und wegen des Luftverlustes rutschte sie kraftlos zu Boden. Der Mann ließ erst von ihr ab, als sie sich nicht mehr rührte. Er zog das leblose Mädchen zurück in seinen Flur. Dort legte er es ab und öffnete eine als mannshoher Spiegel getarnte Tür, hinter der eine Treppe in die Tiefe führte. Vorsichtig zog er den Leichnam mit sich und schritt, sichtlich angestrengt, Stufe für Stufe die Treppe hinab.

      Mit aller Kraft hievte er sein noch körperwarmes Opfer auf ein großes Bett. Er entkleidete die Leiche bis auf ihren Slip, durchsuchte ihre Taschen, fand ihren Ausweis und beugte sich dann unter das Matratzengestell. Er zog einen quadratischen Karton hervor, öffnete ihn, warf den Ausweis hinein und entnahm ihm vier schwarze Lederfesseln und eine Kapuze von der Form der Kopfbedeckung eines Ku-Klux-Klan-Anhängers. Er band dem leblosen Mädchen beide Arme über dem Kopf zusammen und fesselte die Leiche an das Kopfende des Bettgitters. Er spreizte ihre Beine weit auseinander und fixierte sie mit den beiden anderen Lederfesseln links und rechts an die seitlich verlaufenden Gitterstäbe.

      Der Mann war so konzentriert bei der Sache, dass er sich unglaublich erschrak und zusammenzuckte, als es an der Wohnungstür klingelte.

      »Verdammt«, fluchte er. Besuch bekam er hier nicht. Bis auf seine Mutter und die Vermieterin, die zwei Stockwerke über ihm wohnte, wusste niemand, dass er sich hier einquartiert hatte. So war er sicher, ungestört agieren zu können. Nervös geworden, eilte er aus dem Souterrain nach oben in seine Wohnung, klappte leise den Spiegel in seine Halterung und blickte durch den Türspion. Er sah eine Frau mit hellen Haaren, gut frisiert, junge Ausstrahlung. Sie trug eine schwarze Tasche. Sie stand unterhalb der beiden Stufen und blätterte, so schien es ihm, in einem Magazin. Zögerlich öffnete er die Wohnungstür.

      »Sie müssen verzeihen«, sagte er zu der Frau, »aber ich hatte etwas gelegen. Nachtschicht, Sie wissen schon. Was kann ich denn Gutes für Sie tun?«

      »Schon Erwachet! gelesen?«, fragte die junge Frau forsch. »Es erleuchtet Sie.«

      »Zeugen Jehovas?«, fragte er.

      »Jehovas Zeugen«, korrigierte ihn die Dame. »Sie wissen Bescheid.« Sie lächelte ihn an und drückte ihm eine Zeitschrift in die Hand. »Ich kann Ihnen auch zwei oder drei Exemplare dalassen. Können Sie gern weitergeben.«

      »Nein, nein, lassen Sie mal«, wehrte er ab. »Mich kann derzeit nur ausreichend Schlaf erleuchten.«

      Er trat schnell in seine Wohnung zurück, hob die Hand, in der er die Zeitschrift hielt, zum Abschied und verschloss dann fest die Tür. Er blickte durch den Türspion. Die Frau war verschwunden.

      Im Bad erleichterte er seine Blase, öffnete dann seinen Spiegelschrank und entnahm ihm ein unauffälliges leeres Kulturtäschchen. Er riss sich mit einem kurzen Ruck den Oberlippenbart ab, streifte die Perücke herunter, klappte die Brille zusammen und zog sich zwei der Silikonplättchen vom Gesicht, die seine Unterlider wulstig und alt gemacht hatten. Er verstaute die Utensilien. Der Mann, der eben noch wie Mitte fünfzig gewirkt hatte, trocknete sein Originalhaar mit einem Handtuch halbwegs trocken, legte Haupt- und Deckhaar wieder in Form, wusch sich sein Gesicht und begutachtete das Ergebnis. Sein Spiegelschrank zeigte ihm das Gesicht eines attraktiven Endzwanzigers vom Typ südländischer Verführer.

      8

      Zurück im Flur, lugte er erneut angespannt durch den Türspion. Niemand zu sehen. Vorsichtig öffnete er seine Wohnungstür, sprang behände die beiden Stufen hinunter und spazierte nur wenige Meter zu seinem Briefkasten, entriegelte ihn und sah nach Post. Ein mittelgroßes Kuvert war angekommen, das an den Namen Jonas Lipsky adressiert war. Er riss es auf. Kontoauszüge. Er blickte auf sein Guthaben. 41.395 Euro. Er lächelte fein.

      Zurück in seiner Wohnung, warf er den Umschlag achtlos auf ein Beistelltischchen im Flur, klappte die als Spiegel getarnte Tür auf und verschwand erneut im Souterrain.

      Obwohl das Bett riesig war, nahm es dennoch nicht den gesamten Raum ein. Den noch verbliebenen Platz teilte es sich mit einem schmalen Metalltisch, auf dem ein Computerbildschirm samt Tastatur und Maus und ein kleines Mischpult standen. Direkt vor dem Bett war eine Kamera auf einem Stativ aufgebaut und starrte mit ihrem Objektiv direkt aufs Laken. Von den vier Ecken an der Decke des Raumes blickten die Linsen vier weiterer Überwachungskameras auf das Geschehen darunter. Links und rechts des Bettes waren Mikrofone auf Ständer geschraubt und ebenfalls auf das Bett gerichtet. Etwa fünf Zentimeter dicke Styroporplatten, die an die Wände geklebt waren, sollten Hallgeräusche verhindern.

      Lipsky schwang sich auf seinem Drehstuhl vor den imposant großen Bildschirm, der bereits im Stand-by-Modus auf ihn wartete. Er drückte auf einen Knopf. Das Standbild eines Videos im Ruhemodus flammte auf. Der Mörder des Mädchens drückte auf record. Kamerabilder zeigten in eigenen Bildsplits das Bett mit dem toten Mädchen. Er zoomte die Kamera jetzt unverschämt dicht an das Mädchen heran und suchte sich das Areal unterhalb des Bauchnabels. Er erhob sich, entkleidete sich, zog sich eine Maske über die Augen und glitt nun selbst als Akteur in das Bild hinein, zerschnitt mit einer kleinen Schere ihren Slip und machte sich an dem Mädchen mit der Zunge, Fingern und seinem Geschlechtsteil zu schaffen. Den fünf Kameras entging dabei nichts, was der Mann nicht auch freiwillig zeigen wollte. Je mehr Zeit verstrich, umso brutaler sein Vorgehen. Das erregte Stöhnen des Mannes war deutlich zu hören, das sich in der Folge seiner augenscheinlichen Vergewaltigung in eine Art ekstatisches Geheul steigerte. Etwa bei Minute einundzwanzig entlud sich Lipsky auf dem nackten Körper, glitt einen Moment später aus dem Bild der Kameras, stoppte die Aufnahmen, ein Standbild erschien. Nackt wie er war, die Maske weiter auf dem Gesicht, sah sich Jonas Lipsky das Video an, masturbierte und beendete sein Tun nur kurze Zeit später röchelnd und mit verzerrtem Gesicht. »Mehr, ich will mehr …«

      Er wusch sich die Hände und kehrte an seinen Computer zurück. Er speicherte die Datei, rief eine verschlüsselte Seite über einen Browser namens Tor im Darknet auf und schrieb eine kryptisch klingende Nachricht an einen User, der sich Hadraniel5211 nannte. Er versetzte seinen Bildschirm in den Ruhemodus. Er löschte alle Lichter und warf sich neben die Leiche auf das Bett. Er zog eine Decke über sich und das Mädchen und schlief ein.

      Eineinhalb Stunden später erklang ein scharfes, hoch tönendes Signal. Verschlafen richtete sich Lipsky auf. Der Computer-Bildschirm war in den Betriebsmodus zurückgekehrt und beleuchtete mit einem kalten Licht düster den Raum. Lipsky verließ das Bett, setzte sich vor den Bildschirm, rief die Datei mit dem Video auf, lud es in den Orbit des Internets hoch und versandte es an die Adresse,

       die ihm Hadraniel5211 per Nachricht hatte zukommen lassen. Er wartete. Die Datei war hochgeladen. Er wartete erneut. Er erhielt eine Nachricht mit einer Überweisungskopie. 2.500 Euro. Zahlungsgrund: »Technische Dienstleistungen«.

      Unbekümmert und wie eine Ratte, die ans Tageslicht will, verließ er sein Kellerloch und kehrte eine Etage darüber in seine Küche zurück. Er setzte seine Espressomaschine unter Strom. Er war zufrieden, das Geschäft mit seinen gierigen Kunden lief wie geschmiert.

      Nur wenig später duschte er, kleidete


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