Fürstenkrone Staffel 6 – Adelsroman. Marisa Frank
ich habe gehört, daß es in alten Burgen geistern soll. Das ist romantisch.«
Rita mußte lachen. »Da verwechseln Sie Deutschland mit Schottland.«
»Ich habe aber gehört, daß es auch in Deutschland Gespenster gibt«, beharrte Stephan. »Da ist doch die Loreley! Ich habe keine Angst vor Gespenstern. Ich werde trotzdem zur Burg hinauffahren. Man kann doch hinauffahren?«
Rita wurde einer Antwort enthoben, denn eine Reisegruppe stürmte ihren Laden, und sie hatte in den nächsten Minuten alle Hände voll zu tun. Stephan ging, er nahm sich aber vor wiederzukommen.
*
Bereits am nächsten Vormittag fuhr Stephan wieder an der Donau entlang. Er suchte einen Parkplatz, stellte sein Auto ab und stieg dann, die äußere Mauer der Burg stets vor Augen, zu ihr hinauf. Bald kam er ins Schwitzen und mußte sein Jackett ausziehen. Er ließ sich deswegen jedoch nicht entmutigen. Mit dem Taschentuch wischte er sich den Schweiß von der Stirn, um die letzten Meter auch noch zu bewältigen. Der Pfad, dem er gefolgt war, wurde immer schmaler, er mußte immer öfter Dornenzweigen ausweichen, die in den Weg hineinrankten. Stephan stellte fest, daß dieser Weg kaum noch benutzt wurde. In ihm wuchs die Überzeugung, daß die Burg unbewohnt war.
Er kam direkt unter der äußersten Mauer heraus, und nun mußte er erst ein wenig suchen, bis er die ausgetretenen Steinstufen entdeckte. Ihnen folgte er, und so kam er zur Fahrstraße. Jetzt sah er sich um. Er hatte sich nicht geirrt, die Burg mußte einst sehr stattlich gewesen sein. Er setzte sich auf einen großen Stein und ließ seiner Phantasie freien Lauf. Dieser runde Turm, der nun in sich zuammenzustürzen drohte – war er einst von einem Burgfräulein bewohnt gewesen, das sehnsuchtsvoll nach ihrem Liebsten ausschaute? Er konnte sich gut vorstellen, daß aus dem Tor Ritter hervorgesprengt kamen. Sekundenlang glaubte er sogar das Wiehern von Pferden zu hören. Er horchte. Es war nur eine Biene, die sich summend an dem ersten blühenden Strauch ergötzte. Ein einsamer, verwunschener Platz! Hielt man hier etwa Dornröschen gefangen?
Laut lachte Stephan über seine eigenen Gedanken. Aber es war schön hier! Er, der die Hektik vom Broadway gewohnt war, der Harlem kannte, verliebte sich in die sonnenbeschienenen Mauern. Sein Blick folgte einer Eidechse, die blitzschnell in einer Mauernische verschwand. Er erhob sich, ging durch den Torbogen und kam so in den Innenhof. Hier sah er, daß zwischen den Mauern bereits Gras wucherte. Wie konnte man einen so schönen Besitz nur so verwahrlosen lassen? Der linke Trakt war fensterlos, und ganz links stand sowieso nur noch eine Mauer, die von der einstigen Größe der Burg zeugte. Nirgends versperrte ihm eine Tür den Weg, so ging er durch einen weiteren Torbogen und kam in den Garten. Hier stieß er auf Prinzessin Angela. Sie hatte ihr schulterlanges blondes Haar unter einem Kopftuch verborgen und trug eine Leinenschürze und Gummistiefel. Ihre Hände waren schmutzig von der Gartenarbeit.
Stephan war überrascht. Er war inzwischen zu der Überzeugung gelangt, daß er allein zwischen den Mauern weilte. Angela wischte sich die Hände an der Schürze ab. Sie sah ihn abwartend an.
»Verzeihen Sie, ich dachte, hier ist niemand. Ich wollte mich etwas umsehen. So etwas gibt es bei uns in New York nicht. Ich habe die Burg von der Straße aus gesehen.« Er fuhr sich durchs Haar. Das Jackett hatte er lose über die Schultern gehängt.
»Sind Sie zu Fuß hier heraufgestiegen?« fragte Angela erstaunt.
Stephan nickte. »Die Burg hatte es mir angetan. Man kann schon von unten aus sehen, daß sie einmal sehr groß gewesen sein muß. Warum läßt man das alles hier nur so verkommen? Verzeihen Sie, arbeiten Sie hier?«
»Ich sehe hier nach dem Rechten.«
»Es ist doch nicht verboten, sich hier etwas umzusehen?« Stephan deutete nach vorn. »Von dort muß man eine wunderschöne Aussicht haben.«
»Stimmt!« sagte Angela, und ein kleines Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.
»Mir ist unbegreiflich, warum hier niemand mehr lebt.« Stephan drehte sich um, sah auf das Gebäude zurück. »Es ist ein wunderschöner Ort. Der Besitzer ist zu beneiden.«
»Die Leute sind der Ansicht, daß alles hier zur Ruine wird.« Angela hatte Stephan nicht aus den Augen gelassen.
»Aber dem kann doch abgeholfen werden. Wie ich sehe, kümmern Sie sich um den Garten. Damit ist es jedoch nicht getan. Sämtliche Außenmauern gehörten erneuert. Kein Wunder, daß hier niemand mehr wohnt.«
»Sie scheinen nicht zu wissen, daß man dazu Geld benötigt«, meinte Angela leicht amüsiert.
»Natürlich, Sie haben recht! Ich habe keine Ahnung von den hiesigen Verhältnissen. Ich lebe in New York, aber ich hatte diese Steinwüste satt. Seit zehn Tagen bin ich nun in Deutschland.«
Er lächelte unsicher.
Es war dieses Lächeln, mit dem er bei Angela Sympathie erweckte.
»Und wie gefällt Ihnen Deutschland?«
»Von Deutschland habe ich noch nicht viel gesehen. Ich wollte mich zuerst in Bayern umsehen. So war ich in München, in Füssen, und nun bin ich in Passau gelandet.« Er sah sich erneut um. »Hier habe ich mich gleich zu Hause gefühlt. So habe ich mir meine Heimat vorgestellt.« Er fing ihren erstaunten Blick auf und erklärte: »Meine Vorfahren wanderten von Deutschland aus, doch dies ist schon sehr lange her, und ich weiß nichts von ihnen.«
Sie musterten sich, und Angela sagte spontan: »Ich liebe meine Heimat!«
»Sind Sie in Passau zu Hause?« fragte Stephan.
Angela biß sich auf die Lippen. Sie sah an sich hinunter. Kein Wunder, daß er sie für eine Angestellte hielt. Dann warf sie ihren Kopf in den Nacken und lächelte. Sie würde ihn in diesem Glauben lassen.
»In der Nähe von Passau.«
»Und Sie arbeiten hier ganz allein?« Dieses Mädchen begann ihn zu interessieren. »Bekommen Sie wenigstens genügend bezahlt?«
Übermütig blitzte es in Angelas rehbraunen Augen auf. »Ich arbeite gern hier.«
Stephan musterte sie. Er fand, daß dieses Mädchen bezaubernd aussah. Sie war so natürlich, wahrscheinlich ein Bauernmädchen aus der Umgebung. »Sie werden von dem Besitzer ausgenutzt«, stellte er fest.
Nun konnte Angela nicht anders, sie lachte hellauf.
»Warum lachen Sie?« erkundigte Stephan sich irritiert.
»Bei einer freiwilligen Arbeit kann man nicht ausgenutzt werden«, belehrte Angela ihn lächelnd.
»Das verstehe ich nicht«, gab Stephan zu.
»Mir macht die Arbeit Freude, das ist es.«
Jetzt nickte Stephan. »Das kann ich verstehen. Nur, sind Sie ganz allein hier?«
»Wie Sie sehen!« Angela senkte rasch den Blick. Sie amüsierte sich und wollte sich nicht verraten. »Sie können sich gern umsehen, Sie müssen nur auf die Sperrtafeln achten. Einige Mauern sind leider wirklich einsturzgefährdet.«
»Dagegen müßte etwas unternommen werden.« Erneut sah Stephan sich um, dieses Mal sehr nachdenklich. Dann wandte er sich mit der direkten Frage an Angela: »Sie können mir sicher etwas über den Besitzer sagen.«
Beinahe wäre Angela aufgefahren. Es fiel ihr schwer, ruhig zu fragen: »Was wollen Sie von dem Besitzer?«
»Eigentlich nichts!« Stephan lächelte sie an. »Ich habe diese Burg entdeckt, sie gefiel mir, und nun werde ich immer neugieriger. Gestern dachte ich bereits, daß ein Gespenst hier sein Unwesen treibt.«
»Wie kamen Sie zu dieser Ansicht?«
»Man tat so geheimnisvoll, als ich mich in einem Souvenirgeschäft nach der Burg erkundigen wollte. Eigentlich wollte ich nur eine Ansichtskarte kaufen.«
»Da waren Sie sicher bei Frau Geißler.«
»Kann sein, ich weiß es nicht.« Er beschrieb, wo sich das Souvenirgeschäft befand, und sie nickte. »Jedenfalls benahm sich die Frau so, daß ich an ein