Fürstenkrone Staffel 6 – Adelsroman. Marisa Frank
Gespenster. Ich fürchte mich jedenfalls nicht vor ihnen.«
»Ich auch nicht«, sagte Stephan.
Dieses Mädchen wurde ihm von Minute zu Minute sympathischer. »Sie scheinen sich auch nicht vor dem Alleinsein zu fürchten. Ist es nicht recht einsam hier oben?«
»Oft verirrt sich nicht jemand hier herauf«, gab Angela zu und fügte hinzu: »Sie haben mir noch nicht gesagt, was Sie von dem Besitzer wollen.«
»Eine plötzliche Idee! Ich bin ohne Ziel nach Deutschland gekommen. Ich… ich bin nicht mittellos, kann tun und lassen, was ich will.« Wieder wurde Stephan unsicher. Er wollte vor diesem einfachen Mädchen nicht als Angeber dastehen.
Im ersten Moment verstand Angela ihn auch falsch. »Sie wollen hier arbeiten? Das müssen Sie sich aus dem Kopf schlagen. Hier ist kein Geld zu verdienen.«
»Ich dachte auch nicht ans Verdienen. Ich verfüge über Geld. Ich bin nach Deutschland gekommen, weil ich etwas Neues anfangen wollte.« Er merkte, daß mit dem Mädchen eine Veränderung vor sich ging. »Eigentlich weiß ich selbst nicht, was ich will«, schloß er, um in Gedanken hinzuzusetzen: Ich möchte mich noch länger mit dir unterhalten.
Angela hatte sich aber bereits entschlossen, zu ihrer Arbeit zurückzukehren. Seit sie allein hier lebte, war sie ein wenig zur Eigenbrötlerin geworden. Es war sowieso das erste Mal, daß sie sich länger mit einem Fremden unterhalten hatte.
»Ich muß weiterarbeiten. Es ist bald Mittag, und bis dahin muß ich noch einiges erledigen.« Ohne Stephan Zeit zu einer Antwort zu lassen, eilte sie davon. Erst als sie wieder ihrer vorigen Beschäftigung nachging, fiel ihr ein, daß der Mann sich ihr nicht einmal vorgestellt hatte. Dann wurde ihr bewußt, daß er sie für einen Dienstboten hielt, und sie mußte schmunzeln.
Angela hatte die Pflanzen eingesetzt, das bereits sprießende Unkraut ausgerissen, sie hatte an den Fremden nicht mehr gedacht. Als sie jetzt jedoch hinter der Mauer hervorkam, sah sie ihn. Er stand neben dem Ziehbrunnen. Rasch trat sie wieder hinter die Mauer zurück. Eine Zeitlang beobachtete Angela nun den Fremden. Offensichtlich schien er sich hier wohl zu fühlen. Nachdem er sich am Ziehbrunnen erfrischt hatte, schlenderte er herum. Schließlich setzte er sich in die Sonne. Angela schob eine vorwitzige Locke unter das Kopftuch zurück, band dieses fester, dann trat sie hinter der Mauer hervor. Sie achtete nicht auf den Weg, brachte dadurch einen Stein ins Rollen, und so hörte Stephan sie kommen. Er erhob sich sofort.
»Sie scheinen wirklich über viel freie Zeit zu verfügen«, sagte Angela.
»Das habe ich doch gesagt. Ich habe mich etwas umgesehen, das haben Sie mir vorhin gestattet, und außerdem habe ich auf Sie gewartet. Ich habe gehofft, daß Sie wieder einmal auftauchen würden. Jetzt ist gleich Mittag.« Erwartungsvoll sah er sie an und fragte: »Gehen Sie nun hinunter ins Tal?«
»Nein, ich bleibe auch über Mittag hier.«
»Schade! Ich hätte Sie gern begleitet.«
Normalerweise hätte Angela so einen Vorschlag empört abgelehnt, doch der Mann sah sie so offen an, daß sie lächelte, ohne sich dessen bewußt zu sein.
Stephan ging auf sie zu. »Ich habe mich Ihnen noch nicht vorgestellt. Ich heißte Stephan Dorr! Wenn Sie heute keine Zeit für mich haben, dann vielleicht morgen? Nein, nein…« Beschwichtigend hob Stephan die Hände. »Sie dürfen sich nichts Schlechtes denken. Ich bin nicht auf ein Abenteuer aus. Ich möchte mich nur unterhalten! Ich habe so viele neue Eindrücke, und ich kann mit niemandem darüber sprechen.«
Angelas Mißtrauen schwand sofort wieder. »Sie sind allein nach Deutschland gekommen?« fragte sie.
»Ja, meine Freundin wollte mich nicht begleiten. Verraten nun Sie mir, wie Sie heißen?«
Angela zögerte einen Augenblick, dann nannte sie ihren Vornamen, sie sah dabei Stephan jedoch nicht an.
»Darf ich Sie Angela nennen?« fragte Stephan erfreut.
»Warum nicht?« sagte Angela. Sie mußte aber sofort daran denken, daß Oliver mit ihrem Verhalten nicht einverstanden gewesen wäre. Er hatte ständig Angst, daß ihr in ihrer selbstgewählten Einsamkeit einmal etwas zustoßen könnte. Er wollte ihr auch nicht glauben, daß sie noch nie belästigt worden war.
»Angela, wenn Sie noch arbeiten müssen, will ich Sie nicht aufhalten. Ich möchte nicht, daß Sie meinetwegen Schwierigkeiten bekommen. Wenn Sie mir sagen, wann Sie Feierabend machen, dann kann ich Sie vielleicht hier abholen. Ich habe gesehen, daß auch eine Fahrstraße heraufführt.«
Er meint es nett, und Angela wollte sich auch nicht über ihn lustig machen, trotzdem amüsierte der Vorschlag sie. »Ich kann Feierabend machen, wann ich will.« Sie lächelte, fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Sie schwitzte unter dem Kopftuch. Es war ein wolkenloser Tag und für Mai fast zu heiß. »Haben Sie auch Durst?« fragte sie.
»Ja, ich habe mich vorhin schon umgesehen. Zu kaufen bekommt man hier oben wohl nichts?«
»Nein, aber ich werde uns etwas holen.« Sie machte einige Schritte, dann besann sie sich. »Kommen Sie doch mit, das ist einfacher.«
Stephan folgte ihr in den Innenhof. Er stieg hinter ihr die Stufen zum rechten Seitentrakt hinauf und wunderte sich, daß sie so einfach die Tür aufstieß und eintrat. »Kommen Sie doch«, forderte sie ihn auf, als er zögerte.
»Ich hätte nicht gewagt, die Burg zu betreten«, sagte Stephan. »Kann ich mich hier auch umsehen?« Sein Blick glitt durch die Halle, die spartanisch eingerichtet war.
»Warum nicht? Es ist leider nichts Wertvolles mehr vorhanden. Aber kommen Sie, wir wollen zuerst etwas trinken.« Ehe er weiterfragen konnte, eilte sie leichtfüßig die Treppe hinauf. Er ging hinter ihr her, bis sie stehenblieb und eine Tür öffnete. »Nehmen Sie Platz«, bat sie, und als er sich umschaute, fand er sich in einem gemütlich eingerichteten Wohnzimmer wieder. »Ich bin gleich zurück.« Mit diesen Worten verschwand sie.
Stephan begriff nicht ganz. Wohnte das Mädchen hier? Derjenige, der dieses Zimmer eingerichtet hatte, der hatte Geschmack. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß er sich geirrt hatte. Die Burg war bewohnt. Verwirrt versuchte er seine Gedanken zu ordnen, da erschien Angela bereits wieder. Sie hatte sich umgezogen. Ihr Haar fiel nun in großen Locken auf ihre Schultern. Das Blond paßte ausgezeichnet zu der blauen Seidenbluse, die sie nun trug. Stephan konnte sie nur anstarren.
»Was wollen Sie trinken?« fragte Angela lächelnd. »Ich habe allerdings keine große Auswahl. Ich kann Ihnen einen Orangensaft anbieten, eine Zitronade, selbstgemachten Himbeersaft, aber…«
Stephan fiel ihr ins Wort: »Wer sind Sie?«
»Ich heiße Angela, das habe ich Ihnen doch gesagt.« Angela hatte sich noch nie so leicht gefühlt.
Stephan konnte den Blick nicht von ihr lassen. »Sie sind kein Bauernmädchen.«
»Das habe ich auch nicht behauptet.« Langsam kam sie auf ihn zu. Sie gab den Blick zurück, und ein prickelndes Gefühl durchlief ihren Körper. Seitdem sie nicht mehr in der Gesellschaft verkehrte, lebte sie völlig zurückgezogen. Sie hatte das Flirten fast verlernt.
»Sie machen sich über mich lustig! Sie kommen mir vor wie…« Stephan überlegte. »Es gibt da ein Märchen. Meine Mutter hat es mir oft erzählt, als ich noch ganz klein war. Ja!« rief er dann erfreut. »Aschenputtel heißt es. Ich lernte Sie als Aschenputtel kennen, und nun sind Sie zur Prinzessin geworden.«
Darauf entgegnete Angela nichts, sie holte den selbstgemachten Himbeersaft und füllte zwei Gläser.
»Lassen Sie mich das machen!« Stephan trat an ihre Seite. »Eine Prinzessin hat ihre Diener.«
»Im Märchen«, entgegnete Angela, und in ihren Augen war ein Funkeln, das Stephan nicht deuten konnte. Sie reichte ihm ein Glas.
»Ich liebe Märchen«, sagte Stephan. »Als Kind konnte ich nie genug davon bekommen.« Er griff nach dem Glas. Nun stand er dicht vor ihr. Er war etwas größer als sie und sah daher auf sie hinab. Ihre Blicke versanken ineinander. Angela war