Wenn die Träume laufen lernen 2: LANZAROTE. Gabriele Ketterl
Restaurant, in das Sergio uns führte, war das Hauptlokal der Anlage. Eigentlich schön ausgestattet, mit – den Inselfarben geschuldet – grün-weißen Holzmöbeln und leuchtend grünen Tischdecken, über die weiße Tischläufer gelegt worden waren. Doch fehlten uns die sonst bei Costa Azul gewohnten, liebevollen Details. Keine schönen Windlichter auf den Tischen und anstatt der frischen Blumen lieblose Plastikteile in billigen Glasbehältern. Meine Stiefelsohlen klebten schon nach wenigen Augenblicken am Boden fest. Vorsichtig hob ich einen Fuß an.
»Igitt, haben die hier schon mal was davon gehört, dass man Böden wischen kann?« Ich war schlicht fassungslos.
»Das ist noch gar nichts, wartet, bis ihr das Essen probiert habt. Und wenn ihr was Nettes erleben wollt, dann kommt doch einmal mit. Dort hinten sind die Tische für die Herrschaften aus dem Animationsteam. Ihr werdet viel Freude mit ihnen haben.«
Er führte uns zu einem kleinen Durchgang zwischen zwei schmalen Säulen, die, ähnlich wie auf Ibiza, zu einem abgetrennten Bereich für die Crew führten. Auch hier fand man die »Kastenbauweise«: eine weiße Mauer mit zahlreichen Aussparungen, in denen auf Ibiza und Teneriffa wahlweise kleine Laternen mit Kerzen, Windlichter oder andere Dekorationsgegenstände standen. Hier fanden wir, zu unserer Überraschung, volle Aschenbecher und schmutzige Gläser.
»Ausgefallene Dekoideen, das muss man ihnen lassen. Nicht unbedingt alltäglich.« Roberta rümpfte deutlich angewidert ihr hübsches Näschen.
»Ja, nicht wahr? Sie geben sich wirklich Mühe.« Sergio ging voran in den hinteren Bereich.
Dort saßen an zwei Sechsertischen vier Leute – drei Männer und eine junge, schwarzhaarige Frau –, die uns missmutig entgegenblickten. Natürlich auf Englisch erfolgte dann auch prompt die zu erwartende, ausgesprochen freundliche Ansage.
»Ey, ihr müsst hier raus. Essen für Gäste ist vorne.«
Carlos lächelte den Sprecher sehr freundlich an und aktivierte umgehend sein Englisch. »Hombre, für den Fall, dass ich Gast wäre, hättest du jetzt ein ziemliches Problem. Diesen Ton gegenüber Gästen will ich ab sofort nie wieder, und zwar wirklich nie wieder hören. Ist das klar? Und ehe jetzt dumme Fragen kommen: Ich bin Carlos Hernandez, das hier ist das Team aus Ibiza, wir sind müde, hungrig und angesichts dessen, was wir hier bereits erleben durften, sehr ungehalten. Daher setzen wir uns jetzt an den anderen Tisch und morgen unterhalten wir alle uns sofort nach dem Frühstück.«
»Ey, Robert hat keine Besprechung angesetzt. Also was soll das?«
Manche Menschen wurden einfach dumm geboren und vergaßen im Laufe ihres Lebens noch die Hälfte.
Carlos stand mit nur einem Schritt neben dem Knaben, dessen rotblonde Haare in alle Windrichtungen abstanden und der es – wie auch die anderen – wohl nicht für nötig erachtete, auch nur einen Hauch an Höflichkeit an den Tag zu legen.
»Wenn ich sage, morgen ist Teammeeting mit allen, dann wird das nicht infrage gestellt, haben wir uns verstanden?«
Offenbar sah der junge Mann Carlos nun erst richtig an, denn er wurde zunehmend kleiner in seinem Stuhl. »Schon gut, Mann, könnte aber schwer werden, weil wir ja beschäftigt sind.«
»Irrtum, mein Freund. Jeder, der morgen nicht um Punkt zehn Uhr hier ist, kann gerne sofort seinen Koffer packen. Dann spare ich mir die Erklärungen, was mir auch entgegenkäme. Und jetzt ist die Diskussion beendet. Ihr gebt bitte den anderen aus eurem Team Bescheid, alles klar?« Ohne die Antwort abzuwarten, kam Carlos zu uns zurück. »Das wäre geklärt. Wenn sie morgen kollektiv ihre Koffer packen, wäre ich nicht traurig.«
Sergio nickte heftig. »Glaub mir, die Gäste und das restliche Personal auch nicht. Die führen sich auf, als wären sie Superstars. Sonderbehandlung, spezielles Essen, Reinigung ihrer Wohnungen und so weiter und so fort. Ihr könnt euch sicher vorstellen, wie beliebt die hier sind.«
»Reinigung der Wohnungen? Leute, wir machen echt was falsch.« Ich schüttelte entsetzt den Kopf.
Carlos legte seinen Arm um meine Schultern und drückte mich an sich. »Wir machen alles richtig, vertrau mir, Cara. Und nun sehen wir uns mal das Büfett an, ich bin gespannt.«
Als wir alle zwischen den Tischen hindurch zu einem der beiden am Rand des Restaurants aufgebauten Büfetts liefen, wurden wir von allen Seiten neugierig gemustert. Vor allem die Damen betrachteten Carlos, Fernando und Oliver mit großen, sehnsüchtigen Augen. Andy fiel wohl flach, da er Silvies Hand nicht einmal jetzt losließ.
Ratlos standen wir kurz darauf vor den Tischen und musterten mit fragenden Blicken das Angebot.
Pommes, panierte Schnitzel, panierter Fisch, Dosengemüse – und das auf den Kanaren! – Pommes, Würstchen, Fisch in seltsamer, brauner Sauce, Pommes, Gemüsesuppe, Tomatensalat, Gurkensalat, grüner Salat, Paprikastreifen, Hühnchen in roter Sauce. Oh, hatte ich die Pommes schon erwähnt?
Ich war so frei, mir einen Löffel zu holen und von den Saucen zu kosten. Sie unterschieden sich tatsächlich lediglich in der Farbe, abgesehen davon schmeckten sie leicht salzig und schlicht neutral.
»Bäh, das gibt’s doch nicht. Wir sind hier auf den Kanaren, wo ist das leckere Essen? Wo ist das Reisgericht, wo die Suppen, die Saucen, wo der gegrillte Fisch? Habe ich was verpasst?« Meine Begeisterung ob des Angebotes hielt sich in Grenzen.
Sergio zuckte die Schultern. »Cara, das wird alles auf Anweisung unseres Chefs zubereitet. Angeblich ist das kanarische Essen unverträglich für Touristen, also speziell für Engländer.«
»Unverträglich? Ich glaub es ja nicht. Der Kerl hat doch wirklich ein Rad ab. Außerdem gibt’s hier auch Deutsche und Italiener, oder?«
Fernando brachte es auf den Punkt. »Das nutzt alles nichts, wenn ich nicht bald was zwischen die Zähne bekomme, muss ich mich anderweitig orientieren.« Sein Blick ruhte nachdenklich auf Robertas Hals.
Die grinste lediglich. »Nimm dir Schnitzel und Pommes und dann iss schweigend.«
Nando drückte ihr einen Kuss auf die Wange, schnappte sich einen Teller, belud ihn, wenn auch mit zweifelndem Blick, mit Schnitzel und fettigen Pommes, dekorierte das Ganze mit Paprikastreifen und ging zurück zu den Crewtischen.
Ich entschied mich für frittierten Fisch mit Gurkensalat und beschloss, eher wenig Hunger zu haben.
Wenig später saßen wir in unserem Refugium und aßen sehr ruhig unser Abendessen. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus.
»Sergio, wer ist denn hier der Küchenchef?«
»Tino, ein echt netter Kerl, aber demotiviert wie die Hölle.«
»Ist er Spanier?«
»Besser! Canario.«
Ich schob mir den letzten Bissen meines gewöhnungsbedürftigen Dinners in den Mund, ehe ich die Gabel zur Seite legte.
»Carlos, Sergio, wenn ihr fertig seid, wollen wir dem Küchenteam mal einen Besuch abstatten? Ich denke je früher, desto besser.«
»Absolut deiner Meinung.« Carlos würgte seinen letzten Bissen hinunter, spülte mit eiskaltem San Miguel nach und stand auf.
Gemeinsam mit Sergio machten wir uns auf den Weg in die Küche. Mochte das Restaurant nicht der Hit sein, so überraschte uns die Küche positiv. Alles blitzte und blinkte und, was uns am meisten überraschte: Es roch appetitlich. Erstaunt sah ich mich um. Die Blicke des Personals waren nicht besonders freundlich.
Aus dem hinteren Küchenbereich schälte sich ein großer Kerl in einer weißen Kochjacke. Sein halblanges, dunkelbraunes Haar hielt er mit einem schwarzen Bandana in Schach und an den Unterarmen erspähte ich ausgesprochen interessante Tattoos. Mit leicht zusammengekniffen Augen kam dieses ansehnliche Exemplar von einem Mann auf uns zu.
»Perdon, aber ich mag es eigentlich nicht, wenn Gäste hier hereinkommen. Gibt nur Ärger.«
»Halt die Luft an, Tino. Das sind Cara und Carlos, zwei aus dem Team, das unsere Helden hier ablösen soll.« Sergio schob mich