Die Vielgeliebte. Jörg Mauthe

Die Vielgeliebte - Jörg Mauthe


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Umstände, auch dem Betreffenden selbst, und sagte es nicht nur in Worten, sondern auch mit Lippen, Augen, Nasenflügeln, ihren Stirnfalten und Augenbrauen, mit denen sie umging wie ein Musiker mit seinem Instrument: sie vermochte mit ihrem Gesicht alles auszudrücken, was sie wollte – und an jenem Tag wollte sie und drückte Entzücken über diese Begegnung aus.

      Außerdem verfügte sie über eine zwar naive, aber doch sehr effektive und ihre Wirkung niemals verfehlende Technik des Hochlobens; wenn sie einen loben wollte, sagte sie nicht etwa einfach »Das hast du großartig gemacht!« zu ihm, sondern informierte möglichst sofort einen Dritten, indem sie den fragte: »… hat er das nicht großartig gemacht? War das nicht wunderbar, wie er das gesagt hat? Das hätt’ keiner so gut gekonnt wie er!« oder wie der Anlaß es halt mit sich brachte. Diese Technik verdoppelte ihr Lob um das des Zeugen und machte es damit sozusagen öffentlich und absolut. War es aber wirklich Naivität, die sie zu solchen Leistungen befähigte? Oder war es eine natürliche Begabung, die sich da zu Raffinement gesteigert hatte? Ich weiß es nicht, genau wußte es sicherlich auch sie nicht, und wie immer: es fiel ihr jeder drauf rein, ich von Anfang an, aber alle anderen ebenso; daß so viele Männer geradezu süchtig waren nach ihrer Gesellschaft, erklärte sich zum nicht geringen Teil aus diesem Umstand.

      Am schnellsten aber funktionierte es beim Lipkowitz; hatte er am Beginn unseres Treffen ihre Anwesenheit kaum wahrgenommen – oder nicht anders, als man eben eine Sekretärin oder sonstige Mitarbeiterin wahrnimmt, während man mit dem Chef verhandelt, so wandte er, nachdem das Geschäftliche erledigt war, seine Aufmerksamkeit umso intensiver ihr zu, ja er hatte während des Abendessens gelegentlich Mühe, sich daran zu erinnern, daß ja auch ich noch vorhanden war. Mir machte das nichts aus, im Gegenteil, es freute mich, denn sie hatte hart zu arbeiten bei mir und leistete das Dreifache dessen, was von ihr erwartet werden durfte, und da konnte ich ihr die Gesellschaft eines echten Fürsten, wie er in freier Wildbahn ja nur mehr selten anzutreffen ist, wohl von Herzen gönnen – samt seiner anschließenden Erlegung natürlich; denn spätestens beim Kalten Reis mit Früchten war mir klargeworden, daß der Lipkowitz hinfort ein weiterer Held oder Narr im Hofstaat meiner Freundin sein würde, neben dem Geschiedenen, dem Genie, neben mir, Tuzzi und einem Haufen anderer. Besorgnisse, wie später angesichts der Emphase des Medizinalrats, empfand ich nicht, denn anders als jener war der Lipkowitz ein ebenso feinfühliger wie beherrschter Mann.

      Beim Heurigen – denn auch der folgte, und natürlich fuhren wir zum Nagl-Karl, der ja ebenfalls zu ihrem Gefolge gehörte – fühlte sich der Lipkowitz anfänglich zwar nicht wohl, weil er gewiß noch nie zuvor in einem so schäbig-gemütlichen Lokal und unter so seltsam gemischtem Publikum gesessen war, aber als dann der Karli zu singen begann und meine Freundin einfiel (ich hatte gar nicht gewußt, daß sie singen, ja sogar sehr gut singen konnte) und die beiden alsbald einander ins Hochmelodisch-Gefühlvolle hineintrieben, war’s aus mit ihm. Er zeigte sich, um es mit einer Sauhatz-Vokabel zu sagen, ausgesprochen enflammiert und kaufte der Blumenfrau den ganzen Korb dunkelroter Rosen ab, selbstverständlich nicht mit prahlerischer Geste, sondern weil’s unter den gegebenen Umständen die beste Möglichkeit war, der Freundin zu zeigen, wie hingerissen er war.

      Sie zog daraufhin eine logische Heurigen-Konsequenz und forderte ihn auf, mit ihr Bruderschaft zu trinken; welcher Einladung der Fürst etwas überrascht, aber mit großer Freude nachkam.

      »Und wie heißt du denn?« fragte sie, als das Glas geleert und der Kuß ausgetauscht war.

      »Ferdinand«, sagte er.

      »Und alser ganzer?«

      »Mein vollständiger Name lautet Franz Ferdinand Maria von Lipkowitz und auf Zweyensteyn.«

      »Puh!« sagte sie. »Das ist ja ein ganzer Roman! Weißt’ was? Ich werd’ dich Maria rufen, ja?«

      »Wie du befiehlst!« sagte der Fürst, während ich innerlich ironisch Halali rief, denn nun hatte er den Blattschuß weg, den ich schon beim Kalten Hauswirth-Reis vorausgesehen hatte.

      »Man sollt’s nicht glauben, daß es sowas noch gibt!« sagte sie noch einmal, als sie mich nach diesem wohlgelungenen Abend nach Hause fuhr (jemand mit ihrem alten Auto irgendwohin zu bringen, und zwar zu extremen Zeiten und womöglich zu schwer erreichenden oder weitab liegenden Zielen, war eine ihrer kleinen Leidenschaften, und ich nützte das schamlos aus). »Nein sowas! Und dir ist es wirklich recht, daß ich mich um die Fotografiererei bei ihm da draußen kümmer’«

      Aber sicher war mir das recht, ich war froh darüber, nicht selbst nach Tulln hinausfahren zu müssen, und zufrieden, die Arbeit mit den Lipkowitz-Materialien in zuverlässigen Händen zu wissen. Um die Freundin selbst machte ich mir keine Sorgen, denn wenn sich da, wider jegliches Erwarten, irgendwelche Gefühlsverwicklungen einstellen sollten, würde ich es rechtzeitig genug erfahren, dachte ich.

      Damit hatte ich recht. Aber was ich nicht vorausgesehen hatte, was mir nach der Aglaja-Episode in der Karlskirche und in meiner Sauhatz-Befangenheit einfach absurd erschienen wäre und worauf ich dann erst durch jene unerwartete Reaktion des Legationsrates aufmerksam gemacht wurde, war, daß der Lipkowitz sich ganz ernsthaft und über Hals und Ohren in sie verliebt – nein, »verlieben« ist da ein falscher Ausdruck; ein Lipkowitz-Zweyensteyn verliebt sich nicht, sondern liebt! – und sich mit großem Ernst, unveränderlichem Lächeln und der ihm eigenen Zähigkeit auf die Pirsch begeben hatte. Oder auf die Balz oder wie man sowas in diesem Milieu ironischerweise sonst nennt. Nicht, daß mich das zunächst veroder auch nur besonders gestört hätte, aber als Heiliger hatte ich aufmerksam zu sein und mußte auf alle Fälle beachten, daß der Lipkowitz halt doch ein von Natur aus Umwitterter, ein stets von Komplikationen Begleiteter war. Und wenn auch, auf der anderen Seite, der Legationsrat, dieses frei im Raum schwebende Problem, gleichfalls ein nobler und vorsichtiger Mann war, so konnten die beiden Wirkungen – Tuzzi hier, der Maria dort – doch eine Entwicklung zum Zweimühlsteinartigen nehmen, bei dem der Dritte, meine Freundin und Gläubige nämlich, unter Umständen zu Schaden kommen konnte.

      Darum also hatte ich zu den überraschenden Mitteilungen meines Arzt-Freundes so hartnäckig geschwiegen; die Kollektion interessanter Erscheinungen, die sich um meine Freundin und damit auch um mich ansammelte, war nachgerade schon groß und verwicklungsträchtig genug, und deren sorgsame Beobachtung erforderte sowieso schon mehr Zeit und Anspannung, als mein Geschäft eigentlich zuließ. Der Medizinalrat ging mir da wahrhaftig nicht ab; und erst recht nicht das von ihm so genannte Große Kaliber, das womöglich noch mit einer Zeitzündung versehen war. Mit einem Wort: es reichte mir.

      Aber ein Heiliger hat nicht nur mit seinen Verehrern Scherereien; über ihm stehen ja noch die Götter. Und die bereiten ihm auch noch Schwierigkeiten.

      Die Neubaugasse im Siebenten Wiener Bezirk ist zwar häßlich, aber zur Stimulierung des Lebensgefühles sehr geeignet. Ihre Fahrbahnen sind häufig verstopft von Lieferwagen, Autobussen und Taxis, ihre Gehsteige zu gewissen Zeiten dicht besetzt von Leuten, die möglichst schnell etwas kaufen oder verkaufen wollen, gerade von jemandem übers Ohr gehauen wurden oder einem anderen in der nächsten Minute das Weiße aus dem Auge nehmen werden, die dem Herzinfarkt nahe, aber geschäftlich auf der Höhe sind, unter heftigem Streß leiden, unter Streß-Entbehrung aber noch mehr leiden würden, die in lange ersehnte Urlaube fahren, diese aber am dritten Tag wieder abbrechen, um dringender Gründe wegen in die lärmende Neubaugasse zurückzukehren, in diese Gasse, die quer zu allen Winden steht, so daß die Abgase der Autos niemals weggeweht werden, sondern sich als ein dicker bläulicher Wurm träge die ganze lange Straße hindurchwinden, diese Gasse mit den unzähligen Geschäften, Büros und Kontoren, die von den Hausfronten her tief in die Hinterhöfe hinein und bis in die dritten Stockwerke hinauf wuchern, ein Kommerz-Mycel bildend, auf dem Gewinne und Verluste, Vertragsabschlüsse und Konkurse, Fusionen und Betrügereien, Projekte und Bilanzen üppig aufblühen, schnell unaktuell werden und neuen Platz machen, diese Gasse, in der man jede Ware, alle Kostbarkeiten und jeglichen Ramsch der Welt kaufen, bestellen, in Auftrag geben, in Empfang nehmen, ordern, fakturieren, unterschlagen, tauschen, importieren, exportieren und verschieben kann, denn hier gibt es alles: Pelze und Papier und Matratzen und Filme und Möbel und Puppen und Nordseefische und Südfrüchte und Bücher sowie Reformkost und Teppiche und Maschinen und Sanitärartikel und Haschisch und Schuhe und Büstenhalter und die Mode vom vorigen, heurigen


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