Die Vielgeliebte. Jörg Mauthe

Die Vielgeliebte - Jörg Mauthe


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Vermählung des Lipkowitz gegangen, nicht im Frack, versteht sich, sondern im schwarzen Sonntagsehrenkleid der Liberalen, womit ich nicht den geringsten Anstoß erregte, denn es waren genügend andere Gäste vorhanden, die sich zwar eine gepflegte Familientradition, nicht aber einen Frack leisten konnten.

      Er hatte sich seit unseren Schultagen nicht verändert, und auch jetzt ist er, so wie er da steht, die nur leicht erweiterte und korrigierte Ausgabe von früher.

      Die Braut, eine sportliche Person mit scharfem Gesicht, paßte zu ihm – ich sah sie mir freilich kaum an, denn da war auch das Aglaja-Wesen und nahm mir den Atem weg: es hatte sich in den Jahren seither sehr verändert, und zwar zum noch Schöneren hin. Sie war schon seinerzeit unvergleichlich gewesen, als sie noch, einen Fuß vor sich gestellt und den anderen in Kniehöhe gegen das Gitter gestemmt, unsere befangenen Blicke unbewegt übersehen hatte; nun aber, reifer geworden und sichtlich vertraut mit den Kunstgriffen der Kosmetik, der Grand Coiffure und der Haute Couture, war sie vollendet. Ich sage nicht, daß es angenehm war, sie anzuschauen; ein solches Gefühl empfand ich nicht, sondern eher ein gegenteiliges: denn die Natur hatte sich in dieser jungen Frau den Scherz geleistet, die Kunst an Perfektion zu übertreffen, doch was sie da geschaffen hatte, war, weil singulär, ein Monstrum. Ein Monstrum an Schönheit, gewiß, aber halt doch ein Monstrum.

      Es kann schon sein, daß ich mit diesen und ähnlichen Feststellungen ein wenig übertrieb und daß diese Gefühle vielleicht ein bißchen von jenem hilflosen Zorn beeinflußt waren, den die meisten Männer angesichts allzu perfekter Frauen empfinden, weil sie sich einfach nicht vorstellen können, wie man sowas ins Bett kriegen und was man dort damit anfangen sollte, worauf sich natürlich Impotenz-Ängste einstellen et cetera. Jedenfalls, und während mir der Duft nach Weihrauch und sterbenden Blumen, ein ziemliches Gedränge und die überlaute Orgelmusik das Denken schwermachten, zog das Aglaja-Wesen meine Aufmerksamkeit ganz ausschließlich auf sich, und nicht die Zeremonie vor dem Altar. Und darum war ich, während die Katholiken ringsum gebannt dorthin schauten – denn das Ritual erreichte eben seinen Höhepunkt, der einzige, der bemerkte, daß von dieser Schönheit nicht nur etwas Erschreckendes, sondern auch etwas Herzzerreißendes ausging; diese Aglaja schien mir den zahlreich hinter ihr aufragenden Marmorengeln verwandter als den Menschen neben ihr, nur daß die Engelsfiguren auf ihren Piedestalen lebendiger waren als sie, weil sie leise hinund herschwankten – aber diese momentane optische Verwirrung verflog gleich wieder, und ich erkannte, neuerlich erschreckend, daß es keineswegs die Engel waren, die umzufallen drohten, sondern vielmehr das Aglaja-Wesen offenbar am Rande einer Ohnmacht zitterte.

      Ich wollte hin zu ihr, aber es standen zu viele Hochzeitsgäste zwischen uns, und es war auch nicht notwendig, denn sie fiel nicht um, sondern hielt sich mit starkem Willen aufrecht; dann aber, während der Priester mit der Verlesung des Ehegelöbnisses begann, wurde das über alle Vorstellungen schöne Gesicht erst blutleer und versteinerte gleich danach so, als ob sich die entleerten Adern mit irgendeiner schnell erstarrenden Flüssigkeit füllten, und das immerhin doch lebendige Gesicht verwandelte sich in ein schönes weißes Marmording, womit die Übereinstimmung der Natur mit der Kunst endgültig erreicht war.

      In genau diesem Moment drehte sich der Lipkowitz um, während seine Frau ihm noch den Ring an den Finger steckte, und blickte in dieses Medusengesicht, versteinerte aber nicht auch noch, sondern sah es nur mit sehr viel Mitleid an. Ich hoffe jedenfalls, daß es Mitleid war. Gleich darauf, als das Aglaja-Wesen schließlich doch zusammenfiel – nein, sie fiel nicht zusammen, sie kippte stocksteif zur Seite und in die Arme der Nächststehenden –, drehte sich auch die nunmehrige Fürstin Lipkowitz-Zweyensteyn um. Aber ihre Augen drückten durchaus kein Mitleid aus, sondern herzliche Freude.

      Es war dies eine schlimme Geschichte; und ich dachte, daß ich mich der unruhigen und verworrenen Empfindungen angesichts der Arm in Arm von der Schule hinwegspazierenden Lipkowitz-Geschwister gar nicht so hätte schämen müssen, damals, als wir noch in die Schule gingen.

      Das fernere Schicksal des Aglaja-Wesens gestaltete sich dann übrigens völlig undramatisch: es wurde nicht lange danach geheiratet, von keinem Supermann, ganz und gar nicht, sondern von einem Versicherungsmensehen mit wohlklingendem Namen und geringem Geist, der keinerlei Begriff von der exquisiten, ja monströsen Schönheit seiner Frau hatte – aber Schönheit ist wohl etwas, dem leider nur die Dummen gewachsen sind. Die Einbußen, die dabei fällig werden, treffen dann auch nicht sie, sondern die Schönheit, weshalb denn auch die Aglaja bald danach, wenn sie im Eiles oder im Landtmann Bridge spielte, zwar immer noch recht ansehnlich wirkte, aber nicht das geringste Erschrecken mehr auslöste.

      Den Lipkowitz selbst traf ich nach seiner Hochzeit wiederum viele Jahre lang nicht. Ich las nur irgendwann einmal in der Zeitung, daß sich seine Frau während eines Reitturniers das Genick gebrochen habe, kondolierte und erhielt zwei Tage später die Todesanzeige; diesem Stahlstich von Huber & Lerner entnahm ich, daß als einziges Kind eine Tochter namens Aglaja den Tod ihrer Mutter in tiefer Erschütterung, jedoch dem Willen Gottes sich fügend, betrauere.

      Hierauf vergingen abermals Jahre um Jahre meines Lebens, in denen der Lipkowitz wiederum nicht auftrat. Nur wenn ich auf der Nordautobahn nach Krems fuhr, die Auwälder des linken Donauufers entlang, und nahe vor Tulln eine Sekunde lang zwischen den Bäumen einen gelben Schimmer sah, fiel er mir ein, denn dort stand das Schloß, in dem er lebte. Aber ich fuhr selten nach Krems.

      Daß es nach so langer Zeit schließlich doch wieder zu einer Begegnung mit ihm kam, ergab sich eher zufällig. Wir hatten in unserem kleinen Verlag ein dickes Repräsentations-Buch zusammenzustellen, eine von der Landesregierung und den Fremdenverkehrsstellen subventionierte Angelegenheit, die uns wenig Lust und viel zeitraubende Recherchierarbeit bereitete, aber dem Unternehmen Geld einbrachte; in diesem Wälzer tauchte der Name Lipkowitz-Zweyensteyn mehrfach auf, sowohl in historischen als auch in wirtschaftlichen Zusammenhängen; mein ehemaliger Schulkamerad hatte nämlich auch weiterhin tüchtig gearbeitet, sein Familienerbe um ein paar holzverarbeitende Betriebe ansehnlich vergrößert und sich, wie man so sagt, zu einem beachtlichen Wirtschaftsfaktor herausgewachsen. Die ihn betreffenden Daten hätten wir uns zwar leicht von der Handelskammer besorgen können, aber ich wollte mir Zeit ersparen, und schließlich war’s doch ein Anlaß, ihn wieder einmal zu sehen, außerdem waren noch Fotos zu machen von ihm, seinen Betrieben und dem Schloß – kurz, ich schrieb ihm, und kaum hatte er den Brief erhalten, kam er auch schon, ohne sich vorher anzumelden, in unser Büro.

      Er hatte sich, ich stellte es mit Neid und einer leichten Aufwallung des Sauhatz-Syndroms fest, auch nach dieser nun doch schon beträchtlichen Zeit kaum verändert; und was sich im Detail doch verändert hatte, war wiederum nur leichte Korrektur der ersten und inzwischen sowieso schon geringfügig verbesserten Ausgabe. Es war alles da, wie eh und je, der schwarze Lodenanzug, das Lächeln, die Dachsfett-Strähne im schwarzen Drahthaar; hinzu war lediglich jene gewisse Sicherheit getreten, die einem der Berufserfolg beschert; auch legte er jetzt eine unvermutete Fertigkeit an den Tag, ein Gespräch zu beginnen und zu unterhalten – aber vielleicht hatte er diese Vorzüge auch schon früher besessen und war nur nicht dazugekommen, sie zu gebrauchen.

      Die Lipkowitz-Daten gaben mehr her, als zu vermuten gewesen war; er erzählte mir einige Anekdoten aus dem Leben seines Vaters, die zu den Ereignissen von 1934 und 1944 bemerkenswerte Fußnoten lieferten; seine kommerziellen Interessen waren verzweigter, als ich angenommen hatte; und in seinen Besitzungen befanden sich kulturhistorisch interessante, aber noch nie fotografierte Dinge, die dem Illustrationsteil des Buches eine unerwartete Bereicherung sicherten.

      Eine lange Rederei wurde daraus, als hätten wir die endlosen Dialoge nachholen wollen, die unter Siebzehnjährigen geführt werden, sobald sie Freundschaft miteinander schließen; wir gingen vom Büro zu einem gemeinsamen Mittagessen, entdeckten dabei, daß noch viel mehr Informationen auszutauschen waren, kehrten infolgedessen wieder ins Büro zurück, redeten weiter, ließen uns Kaffee kochen und waren sehr angetan voneinander; dann lud er uns, sie und mich, zum Abendessen ein, ins Hauswirth in der Otto-Bauer-Gasse – und die ganze Zeit hindurch rührte sich meine alte Sauhatz-Allergie nur ein einziges Mal: als sie während einer kurzen Abwesenheit des Fürsten »Man sollt’s nicht glauben, daß es sowas noch gibt!« ausrief; das gab mir doch einen Stich.

      Daß der Fürst meinem Roten Falken sehr gefiel, war von Anfang an nicht zu übersehen


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